von Uli Kniep, edel records
Übersetzung: Lars Wehmeyer
ROTD ist ein reines
Rock-Album
Roger: Wir sind eine Rockband und wir haben mit dem Album
angefangen, nachdem wir zwei Jahre mit "Bananas"
auf Tour waren. Folglich waren wir auf der Bühne
richtig fit. Nachdem wir so lange in der ganzen Welt
gespielt hatten, gab es einen gewissen Drang, zurück
ins Studio zu kommen und neue Songs zu schreiben. Aber das
ist eigentlich eine Sache, die im Unterbewusstsein
abläuft. Wir entscheiden nicht bewußt, in
welche Richtung ein Album gehen soll. Wir beginnen mit
einem leeren Buch und beschreiben dann die Seiten. Den
Zustand, in dem sich die Band befindet, hört man
dabei auch durch. Wir planen nicht von vornherein das
ganze Projekt durch. Und wenn die Leute dann sagen, es
klingt härter, wie ein Hard-Rock-Album eben, dann ist
das doch toll.
Ian über die Bedeutung von
"Rapture Of The Deep"
Der Ausdruck "rapture of the deep"
(Tiefenrausch) wurde geprägt von Jaques Cousteau und
beschreibt den Zustand eines Tauchers, der sich in einen
Druck von mehr als drei Atmosphären begibt, das
entspricht 30 Metern. Man hat dabei euphorische
Gefühle, es ist ein seltsamer physiologischer Effekt
auf den Geist und den Körper. So ähnlich, wie
wenn man betrunken oder stoned ist - nicht, dass ich
wüsste, wie das ist (lacht). Ein Fan hat uns ein
kleines Bild geschickt: in einer kleinen Ortschaft in
England gab es einen Teich, und davor war ein Schild mit
der Aufschrift "Gefahr - tiefes Wasser"
("Danger - Deep Water"), und jemand hatte das
Wort "Water" durchgestrichen und durch
"Purple" ersetzt. Das hatten wir uns gemerkt,
und "Tiefenrausch" beschreibt ziemlich genau die
Art und Weise, wie ich zu dieser Zeit gedacht habe: Wenn
man in einem solchen Rausch-Zustand ist, denkt man anders
über die Dinge nach. Außerdem gibt es da
durchaus einige spirituelle Inhalte in vier oder fünf
Songtexten. Man sollte den Titel auf jeden Fall nicht
wörtlich nehmen - es ist mehr ein Wort-Bild.
Ian Gillan über
"Junkyard Blues" (1)
Das ist einer meiner Lieblingstracks auf der Platte, er
erinnert mich an meine Kindheit: wir haben auf
Schrottplätzen gespielt, und ich habe in alten
Autowracks geschlafen, mit bellenden Hunden... All diese
Dinge dort gehören niemandem, bis jemand kommt und
irgendetwas nützlich findet - kleine elektrische
Teile, alte Teppiche und Kühlschränke und
Knochen! Wo kommt das alles her? Es war einfach nur
faszinierend.
Ian über "Junkyard
Blues" (2)
Wir sind mit dem Blues aufgewachsen, besonders in England
war er sehr verbreitet. Wir haben diese Platten
gehört, vertrieben von kleinen Labels - Jazz und
Blues, und das alles im Nachkriegs-England, wo es sowieso
nicht viel gab, aber wir hörten diese Musik: drei
Akkorde, einfache Rhythmen, die eine Geschichte
erzählten. Und natürlich war es ganz einfach,
wenn man eine Gitarre in die Hände bekam, und dadurch
wurde es sehr beliebt: Blues-Bands haben die
traditionellen Jazz-Bands abgelöst, und das war ein
fundamentaler Schritt in der Geschichte des
Rock'n'Roll. Ein Freund von mir hat gesagt: "Weisse
können keinen Blues spielen, zumindest sollten sie
keinen Blues spielen. Welches Recht haben sie, Blues zu
spielen?". Und ich sagte: "Hör mal zu, ich
habe viele Blues-Nummern gehört, und nicht alle
handeln von Sklaverei und so. Es gibt zum Beispiel viele
Blues-Songs über das Trinken und über Frauen, es
gibt viele simple Themen im Blues". Es ist einfach
wunderbar, und man kann den Blues in vielen unserer Songs
hören: "Black Night", "Strange Kind Of
Woman", man fühlt ihn in Shuffles oder in
traurigen Liedern wie "When A Blind Man Cries".
Ich finde, das ist ein wunderschönes Bild:
Worüber beschweren wir uns eigentlich? Wenn ein
blinder Mann weint, dann sollten wir uns Sorgen
machen!
Roger über sein
Lieblingsstück
Oh Mann, das ist eine schwere Frage - das ändert sich
jeden Tag. Ich habe mir das Album jetzt schon ein paar
Wochen nicht mehr angehört. Ich finde "Junkyard
Blues" echt toll, und ich ertappe mich dabei, wie ich
die seltsamsten Dinge singe: "MTV",
"Clearly Quite Absurd" - manchmal wache ich mit
dieser Melodie im Kopf auf. Ich glaube, der Song, der mir
die meiste Energie gibt, ist "Wrong Man" - es
ist so ein treibendes Riff und es macht einfach wahnsinnig
viel Spaß, es live zu spielen.
Ian über den Bonus Track
"MTV"
Eigentlich geht es dabei um die
Classic-Rock-Radiosender. Meine persönliche Meinung
ist, dass mehr Unfälle durch Classic-Rock-Radio
verursacht werden als durch Trunkenheit am Steuer - die
Leute schlafen am Steuer ein, weil diese Sender immer
wieder und wieder die selben alten Lieder spielen! Es gibt
aber noch eine andere Geschichte dahinter: Roger hat ein
halbstündiges Interview für einen New Yorker
Radiosender gegeben, und er hat hauptsächlich
über die neue Platte "Bananas" gesprochen,
aber die Interviewerin wollte immer wieder etwas über
die alten historischen Classic-Rock-Geschichten wissen. Am
Ende des Interviews sagte sie: "Viel Glück mit
der neuen Platte, danke, dass Du hier warst, und jetzt ein
Song von Deep Purple, yeah: Smoke On The Water!". Sie
haben nichts von der neuen Platte gespielt. Ich glaube, es
ist eine sehr gesunde Grundhaltung, solche Sachen ein
bisschen zu verarschen und sich darüber lustig zu
machen.
Roger über Radiosender und die
neue Platte/Single
Wir waren noch nie gut darin, eine Single
auszuwählen. Wir treffen immer falsche
Entscheidungen. Ich glaube, bei "Bananas" hatte
Michael Bradford, unser Produzent, ein besseres Gespür
dafür, was im Radio erfolgreich sein könnte, aber
er hat die Sache uns überlassen, und wie man sieht,
werden wir nicht im Radio gespielt, außer auf den
amerikanischen Classic-Rock-Sendern, wo sowieso immer nur
"Smoke On The Water" läuft. So gesehen ist es
für uns nicht das höchste Ziel, dass wir im Radio
gespielt werden - Songs zu schreiben, die uns etwas
bedeuten, ist unser Ziel, und natürlich Songs, die live
gut rüberkommen.
Ian über "Money
Talks"
Der Song basiert auf dem Prinzip, glaube ich zumindest, dass
Geld als Währungseinheit ein wesentliches Element der
menschlichen Zivilisation ist. Wenn Geld allerdings zum
Alltagsgegenstand wird, wird es sehr schnell sehr
unangenehm. Wenn einige Leute nur mit Geld handeln um mehr
Geld zu machen, müssen andere das bezahlen! Darum geht
es, und um Korruption. Ich meine, es ist nicht falsch, wenn
man Geld verdient, es ist nichts dagegen zu sagen, wenn man
das Leben genießt, aber der Song ist gegen die Gier
und die Korruption die man überall findet, und das nur,
um Reichtum auf anderer Leute Kosten
anzuhäufen. Deshalb beschreibt der Song auch die
Situation, wenn man mehr Essen auf dem Teller hat, als man
eigentlich braucht - aber man muss sich keine Sorgen machen,
denn schließlich stehen ja Wachen am Tor. "Das
Geld kommt immer zum Geld zurück, Geld macht mehr Geld,
und es flüstert mir ins Ohr, es lacht mich aus - es
korrumpiert".
Roger über den Produzenten
Michael Bradford
Michael Bradford ist ein Tontechniker, ein Songwriter, ein
Bassist, er ist ein Gitarrist, er kann eine Menge Dinge - er
kann auch unheimlich gut reden, und er ist ein guter
Koch!
Ian und Roger über das
Aufnahmestudio
Wir haben die Platte in Michael Bradfords Studio in Los
Angeles aufgenommen: er ist in ein neues Haus in einer
netten Umgebung umgezogen. Es ist ein kleiner Raum mit einer
Küche, in der wir stehend die Songtexte geschrieben
haben, und ein kleiner Aussenhof, wo man sich erholen und
mit einem Bierchen in der Sonne sitzen kann. Wir haben dort
von 12 Uhr mittags bis um 6 Uhr abends gearbeitet, 6 Tage
die Woche. Sonntags haben wir nicht gearbeitet, Michael
wollte einen freien Tag haben, und es ist gut, wenn man den
Kopf mal freibekommt. Wir haben fünf Wochen
gebraucht. Ja, es war alles sehr interessant, sehr
spontan. Manchmal macht man eine Schreib-Session, wo man die
Songs schreibt, dann eine Aufnahme-Session,
während der man die Songs aufnimmt. Bei diesem Album
passierte das ziemlich gleichzeitig: wir kamen ins Studio,
schrieben die grundsätzliche Idee für den Song
auf, wechselten in den Aufnahme-Modus und haben es
aufgenommen. Michael ist sehr gut darin, uns zu stoppen,
wenn wir anfangen, den Perfektionismus zu
übertreiben. Normalerweise haben wir nur zwei
Anläufe gebraucht, dann war die Aufnahme im Kasten. Wir
haben alle zusammen gespielt, und das gibt dem ganzen Album
hat sehr spontanes Feeling. Wenn wir das immer wieder und
wieder gespielt und neu aufgenommen hätten, wäre
diese Spontaneität verloren gegangen. Darum ist das
neue Album auch nicht perfekt!
Ian und Roger über das
Plattencover und den Titel des Albums
Der Mann auf dem Cover steht zwischen zwei Bäumen, und
er selbst ist wie eine Reflektion - wenn man aber ins Wasser
schaut, dann sind die Bäume wellig, und er selbst ist
gerade. Das Cover soll zum Nachdenken anregen, das ist das
Konzept. Ein Rausch ist grundsätzlich ein
fröhlicher Zustand, es ist ein Zustand in dem man gerne
sein möchte, aber je fröhlicher und
glücklicher man wird, desto gefährlicher wird es!
Ian vergleicht ROTD mit dem
Vorgänger "Bananas"
Ich mag "Bananas" ganz besonders, ich habe diese
Platte öfter als jede andere Deep Purple-Scheibe
zuhause oder mit Freunden aufgelegt. Aber es war eine Art
Übergang, es war die erste Platte mit Don Airey, und zu
dem Zeitpunkt, als wir "Bananas" aufgenommen
haben, wurde er hauptsächlich als Ersatz für Jon
Lord gesehen. Auf der neuen Platte dagegen ist er viel
stärker und deutlicher zu hören. Don hat einen
großen Beitrag zu "Bananas" geleistet, aber
ich glaube, seine Persönlichkeit hat sich in den
letzten Jahren "on the road" deutlicher gezeigt,
und das hatte einen starken Effekt auf die anderen
Bandmitglieder. Es ist eine wundervolle Balance zwischen
Dons Orgel und Steves Gitarre entstanden. Das letzte Album
"Bananas" war vielleicht etwas mehr
gitarrenlastig, ROTD ist ausgeglichener, glaube ich.
Roger über das unglaubliche
Rhythmus-Fundament von Deep Purple
Das ist ein nettes Kompliment, danke! Ian Paice ist ein
außergewöhnlicher Schlagzeuger. Beim Schlagzeug,
einem Instrument, auf das man einschlägt, ist es sehr
schwierig, die eigene Persönlichkeit zum Ausdruck zu
bringen. Die meisten Drummer klingen mehr oder weniger
gleich. Sie spielen die gleichem Rhythmus-Muster, sie
verehren die selben Vorbilder. Auch die Licks sind meist
ziemlich ähnlich. Paice macht das aus einer völlig
anderen Perspektive. Mir ist das besonders aufgefallen, als
ich "Highway Star" neu abgemischt habe: wenn man
das Schlagzeug allein anhört, ist da ein unverkennbarer
"Swing" in seinem Rhythmus. Es ist nicht viel,
nicht übertrieben, aber der Swing ist da, und wenn
Paice leicht swingt und die Instrumente spielen ihren
Rhythmus ganz gerade durch - das ist die Seele des
Rock'n'Roll, so wie er aus New Orleans kam. Manche Leute
swingen, manche sind geradeheraus, und daraus entsteht eine
ganz eigene Spannung, die für eine unterbewusste
Bewegung sorgt.
Roger Glover (und Ian) über
Solo-Alben
Als Steve in die Band kam brachte er seine Solo-Projekte
"Steve Morse Band" und die "Dixie Dregs"
mit, und die verfolgt er noch heute. In der Geschichte von
Deep Purple hat jeder von Zeit zu Zeit mal ein Solo-Projekt
nebenbei gemacht. Und ich glaube, das ist auch eine gute
Sache: man kommt zur Band zurück und fühlt sich
erfrischt und freut sich darauf, wieder mit den alten
Freunden zu spielen. "Living Loud" ist ein Projekt
von Don Airey. Das ist ok - jeder macht sein eigenes
Projekt: Paice hat mit Paul McCartney zusammengearbeitet,
ich habe "Snapshot" gemacht, ich arbeite auch an
einem neuen Album - das ist alles eine Art und Weise, sich
auszudrücken. Man geht ja nicht nach Hause und
hört auf zu schreiben. Ich meine, zumindest höre
ich nicht auf mit dem Schreiben.
Roger macht jeden Tag irgendetwas Kreatives, sei es nun ein
Plattencover zu entwerfen, Gedichte schreiben, Bilder malen,
Fotos machen oder eben Songs schreiben, aufnehmen, was auch
immer. Das ist genau das, was wir machen: Ich gehe nach
Hause und ich schreibe, und das genieße ich!
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