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Ian Gillan and Roger Glover sprechen Über "Rapture Of The Deep"
4. September 2005

von Uli Kniep, edel records
Übersetzung: Lars Wehmeyer

ROTD ist ein reines Rock-Album
Roger: Wir sind eine Rockband und wir haben mit dem Album angefangen, nachdem wir zwei Jahre mit "Bananas" auf Tour waren. Folglich waren wir auf der Bühne richtig fit. Nachdem wir so lange in der ganzen Welt gespielt hatten, gab es einen gewissen Drang, zurück ins Studio zu kommen und neue Songs zu schreiben. Aber das ist eigentlich eine Sache, die im Unterbewusstsein abläuft. Wir entscheiden nicht bewußt, in welche Richtung ein Album gehen soll. Wir beginnen mit einem leeren Buch und beschreiben dann die Seiten. Den Zustand, in dem sich die Band befindet, hört man dabei auch durch. Wir planen nicht von vornherein das ganze Projekt durch. Und wenn die Leute dann sagen, es klingt härter, wie ein Hard-Rock-Album eben, dann ist das doch toll.

Ian über die Bedeutung von "Rapture Of The Deep"
Der Ausdruck "rapture of the deep" (Tiefenrausch) wurde geprägt von Jaques Cousteau und beschreibt den Zustand eines Tauchers, der sich in einen Druck von mehr als drei Atmosphären begibt, das entspricht 30 Metern. Man hat dabei euphorische Gefühle, es ist ein seltsamer physiologischer Effekt auf den Geist und den Körper. So ähnlich, wie wenn man betrunken oder stoned ist - nicht, dass ich wüsste, wie das ist (lacht). Ein Fan hat uns ein kleines Bild geschickt: in einer kleinen Ortschaft in England gab es einen Teich, und davor war ein Schild mit der Aufschrift "Gefahr - tiefes Wasser" ("Danger - Deep Water"), und jemand hatte das Wort "Water" durchgestrichen und durch "Purple" ersetzt. Das hatten wir uns gemerkt, und "Tiefenrausch" beschreibt ziemlich genau die Art und Weise, wie ich zu dieser Zeit gedacht habe: Wenn man in einem solchen Rausch-Zustand ist, denkt man anders über die Dinge nach. Außerdem gibt es da durchaus einige spirituelle Inhalte in vier oder fünf Songtexten. Man sollte den Titel auf jeden Fall nicht wörtlich nehmen - es ist mehr ein Wort-Bild.

Ian Gillan über "Junkyard Blues" (1)
Das ist einer meiner Lieblingstracks auf der Platte, er erinnert mich an meine Kindheit: wir haben auf Schrottplätzen gespielt, und ich habe in alten Autowracks geschlafen, mit bellenden Hunden... All diese Dinge dort gehören niemandem, bis jemand kommt und irgendetwas nützlich findet - kleine elektrische Teile, alte Teppiche und Kühlschränke und Knochen! Wo kommt das alles her? Es war einfach nur faszinierend.

Ian über "Junkyard Blues" (2)
Wir sind mit dem Blues aufgewachsen, besonders in England war er sehr verbreitet. Wir haben diese Platten gehört, vertrieben von kleinen Labels - Jazz und Blues, und das alles im Nachkriegs-England, wo es sowieso nicht viel gab, aber wir hörten diese Musik: drei Akkorde, einfache Rhythmen, die eine Geschichte erzählten. Und natürlich war es ganz einfach, wenn man eine Gitarre in die Hände bekam, und dadurch wurde es sehr beliebt: Blues-Bands haben die traditionellen Jazz-Bands abgelöst, und das war ein fundamentaler Schritt in der Geschichte des Rock'n'Roll. Ein Freund von mir hat gesagt: "Weisse können keinen Blues spielen, zumindest sollten sie keinen Blues spielen. Welches Recht haben sie, Blues zu spielen?". Und ich sagte: "Hör mal zu, ich habe viele Blues-Nummern gehört, und nicht alle handeln von Sklaverei und so. Es gibt zum Beispiel viele Blues-Songs über das Trinken und über Frauen, es gibt viele simple Themen im Blues". Es ist einfach wunderbar, und man kann den Blues in vielen unserer Songs hören: "Black Night", "Strange Kind Of Woman", man fühlt ihn in Shuffles oder in traurigen Liedern wie "When A Blind Man Cries". Ich finde, das ist ein wunderschönes Bild: Worüber beschweren wir uns eigentlich? Wenn ein blinder Mann weint, dann sollten wir uns Sorgen machen!

Roger über sein Lieblingsstück
Oh Mann, das ist eine schwere Frage - das ändert sich jeden Tag. Ich habe mir das Album jetzt schon ein paar Wochen nicht mehr angehört. Ich finde "Junkyard Blues" echt toll, und ich ertappe mich dabei, wie ich die seltsamsten Dinge singe: "MTV", "Clearly Quite Absurd" - manchmal wache ich mit dieser Melodie im Kopf auf. Ich glaube, der Song, der mir die meiste Energie gibt, ist "Wrong Man" - es ist so ein treibendes Riff und es macht einfach wahnsinnig viel Spaß, es live zu spielen.

Ian über den Bonus Track "MTV"
Eigentlich geht es dabei um die Classic-Rock-Radiosender. Meine persönliche Meinung ist, dass mehr Unfälle durch Classic-Rock-Radio verursacht werden als durch Trunkenheit am Steuer - die Leute schlafen am Steuer ein, weil diese Sender immer wieder und wieder die selben alten Lieder spielen! Es gibt aber noch eine andere Geschichte dahinter: Roger hat ein halbstündiges Interview für einen New Yorker Radiosender gegeben, und er hat hauptsächlich über die neue Platte "Bananas" gesprochen, aber die Interviewerin wollte immer wieder etwas über die alten historischen Classic-Rock-Geschichten wissen. Am Ende des Interviews sagte sie: "Viel Glück mit der neuen Platte, danke, dass Du hier warst, und jetzt ein Song von Deep Purple, yeah: Smoke On The Water!". Sie haben nichts von der neuen Platte gespielt. Ich glaube, es ist eine sehr gesunde Grundhaltung, solche Sachen ein bisschen zu verarschen und sich darüber lustig zu machen.

Roger über Radiosender und die neue Platte/Single
Wir waren noch nie gut darin, eine Single auszuwählen. Wir treffen immer falsche Entscheidungen. Ich glaube, bei "Bananas" hatte Michael Bradford, unser Produzent, ein besseres Gespür dafür, was im Radio erfolgreich sein könnte, aber er hat die Sache uns überlassen, und wie man sieht, werden wir nicht im Radio gespielt, außer auf den amerikanischen Classic-Rock-Sendern, wo sowieso immer nur "Smoke On The Water" läuft. So gesehen ist es für uns nicht das höchste Ziel, dass wir im Radio gespielt werden - Songs zu schreiben, die uns etwas bedeuten, ist unser Ziel, und natürlich Songs, die live gut rüberkommen.

Ian über "Money Talks"
Der Song basiert auf dem Prinzip, glaube ich zumindest, dass Geld als Währungseinheit ein wesentliches Element der menschlichen Zivilisation ist. Wenn Geld allerdings zum Alltagsgegenstand wird, wird es sehr schnell sehr unangenehm. Wenn einige Leute nur mit Geld handeln um mehr Geld zu machen, müssen andere das bezahlen! Darum geht es, und um Korruption. Ich meine, es ist nicht falsch, wenn man Geld verdient, es ist nichts dagegen zu sagen, wenn man das Leben genießt, aber der Song ist gegen die Gier und die Korruption die man überall findet, und das nur, um Reichtum auf anderer Leute Kosten anzuhäufen. Deshalb beschreibt der Song auch die Situation, wenn man mehr Essen auf dem Teller hat, als man eigentlich braucht - aber man muss sich keine Sorgen machen, denn schließlich stehen ja Wachen am Tor. "Das Geld kommt immer zum Geld zurück, Geld macht mehr Geld, und es flüstert mir ins Ohr, es lacht mich aus - es korrumpiert".

Roger über den Produzenten Michael Bradford
Michael Bradford ist ein Tontechniker, ein Songwriter, ein Bassist, er ist ein Gitarrist, er kann eine Menge Dinge - er kann auch unheimlich gut reden, und er ist ein guter Koch!

Ian und Roger über das Aufnahmestudio
Wir haben die Platte in Michael Bradfords Studio in Los Angeles aufgenommen: er ist in ein neues Haus in einer netten Umgebung umgezogen. Es ist ein kleiner Raum mit einer Küche, in der wir stehend die Songtexte geschrieben haben, und ein kleiner Aussenhof, wo man sich erholen und mit einem Bierchen in der Sonne sitzen kann. Wir haben dort von 12 Uhr mittags bis um 6 Uhr abends gearbeitet, 6 Tage die Woche. Sonntags haben wir nicht gearbeitet, Michael wollte einen freien Tag haben, und es ist gut, wenn man den Kopf mal freibekommt. Wir haben fünf Wochen gebraucht. Ja, es war alles sehr interessant, sehr spontan. Manchmal macht man eine Schreib-Session, wo man die Songs schreibt, dann eine Aufnahme-Session, während der man die Songs aufnimmt. Bei diesem Album passierte das ziemlich gleichzeitig: wir kamen ins Studio, schrieben die grundsätzliche Idee für den Song auf, wechselten in den Aufnahme-Modus und haben es aufgenommen. Michael ist sehr gut darin, uns zu stoppen, wenn wir anfangen, den Perfektionismus zu übertreiben. Normalerweise haben wir nur zwei Anläufe gebraucht, dann war die Aufnahme im Kasten. Wir haben alle zusammen gespielt, und das gibt dem ganzen Album hat sehr spontanes Feeling. Wenn wir das immer wieder und wieder gespielt und neu aufgenommen hätten, wäre diese Spontaneität verloren gegangen. Darum ist das neue Album auch nicht perfekt!

Ian und Roger über das Plattencover und den Titel des Albums
Der Mann auf dem Cover steht zwischen zwei Bäumen, und er selbst ist wie eine Reflektion - wenn man aber ins Wasser schaut, dann sind die Bäume wellig, und er selbst ist gerade. Das Cover soll zum Nachdenken anregen, das ist das Konzept. Ein Rausch ist grundsätzlich ein fröhlicher Zustand, es ist ein Zustand in dem man gerne sein möchte, aber je fröhlicher und glücklicher man wird, desto gefährlicher wird es!

Ian vergleicht ROTD mit dem Vorgänger "Bananas"
Ich mag "Bananas" ganz besonders, ich habe diese Platte öfter als jede andere Deep Purple-Scheibe zuhause oder mit Freunden aufgelegt. Aber es war eine Art Übergang, es war die erste Platte mit Don Airey, und zu dem Zeitpunkt, als wir "Bananas" aufgenommen haben, wurde er hauptsächlich als Ersatz für Jon Lord gesehen. Auf der neuen Platte dagegen ist er viel stärker und deutlicher zu hören. Don hat einen großen Beitrag zu "Bananas" geleistet, aber ich glaube, seine Persönlichkeit hat sich in den letzten Jahren "on the road" deutlicher gezeigt, und das hatte einen starken Effekt auf die anderen Bandmitglieder. Es ist eine wundervolle Balance zwischen Dons Orgel und Steves Gitarre entstanden. Das letzte Album "Bananas" war vielleicht etwas mehr gitarrenlastig, ROTD ist ausgeglichener, glaube ich.

Roger über das unglaubliche Rhythmus-Fundament von Deep Purple
Das ist ein nettes Kompliment, danke! Ian Paice ist ein außergewöhnlicher Schlagzeuger. Beim Schlagzeug, einem Instrument, auf das man einschlägt, ist es sehr schwierig, die eigene Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Die meisten Drummer klingen mehr oder weniger gleich. Sie spielen die gleichem Rhythmus-Muster, sie verehren die selben Vorbilder. Auch die Licks sind meist ziemlich ähnlich. Paice macht das aus einer völlig anderen Perspektive. Mir ist das besonders aufgefallen, als ich "Highway Star" neu abgemischt habe: wenn man das Schlagzeug allein anhört, ist da ein unverkennbarer "Swing" in seinem Rhythmus. Es ist nicht viel, nicht übertrieben, aber der Swing ist da, und wenn Paice leicht swingt und die Instrumente spielen ihren Rhythmus ganz gerade durch - das ist die Seele des Rock'n'Roll, so wie er aus New Orleans kam. Manche Leute swingen, manche sind geradeheraus, und daraus entsteht eine ganz eigene Spannung, die für eine unterbewusste Bewegung sorgt.

Roger Glover (und Ian) über Solo-Alben
Als Steve in die Band kam brachte er seine Solo-Projekte "Steve Morse Band" und die "Dixie Dregs" mit, und die verfolgt er noch heute. In der Geschichte von Deep Purple hat jeder von Zeit zu Zeit mal ein Solo-Projekt nebenbei gemacht. Und ich glaube, das ist auch eine gute Sache: man kommt zur Band zurück und fühlt sich erfrischt und freut sich darauf, wieder mit den alten Freunden zu spielen. "Living Loud" ist ein Projekt von Don Airey. Das ist ok - jeder macht sein eigenes Projekt: Paice hat mit Paul McCartney zusammengearbeitet, ich habe "Snapshot" gemacht, ich arbeite auch an einem neuen Album - das ist alles eine Art und Weise, sich auszudrücken. Man geht ja nicht nach Hause und hört auf zu schreiben. Ich meine, zumindest höre ich nicht auf mit dem Schreiben.
Roger macht jeden Tag irgendetwas Kreatives, sei es nun ein Plattencover zu entwerfen, Gedichte schreiben, Bilder malen, Fotos machen oder eben Songs schreiben, aufnehmen, was auch immer. Das ist genau das, was wir machen: Ich gehe nach Hause und ich schreibe, und das genieße ich!