von Andree Schneider
Im Anschluss an das Konzert in Gelsenkirchen
traf ich in einem Kölner Hotel auf einen vollkommen übermüdeten
Purple-Bassisten, der laut eigener Aussage seit ungefähr drei
Tagen nicht mehr geschlafen hatte. Er erzählte mir von dem
Wahnsinnstrip, den er und Steve Morse hinter sich hatten. Die beiden
wollten sich eigentlich in aller Ruhe auf dem J.F.K.-Flughafen in
New York treffen und gemeinsam Richtung Deutschland abheben. Dummerweise
hatte aber Steve`s Flieger Verspätung (wäre er mal besser
selber geflogen!). Als er dann endlich landete, fing ihn Roger auch
gleich ab und beide rannten quer über den riesigen Flughafen.
Leider kamen sie aber eine Minute zu spät, denn ihr Flugzeug
rollte gerade auf die Rollbahn... Das Ende vom Lied war, dass die
beiden erst zwei Stunden vor der Show ihre Füße auf deutschen
Boden setzten.
Umso höher rechne ich es Roger an, dass er sich trotzdem wieder
viel Zeit nahm und in aller Ruhe meine zum Teil gar nicht mal so
unkritischen Fragen beantwortete.
AS: Zunächst einmal Herzlichen
Glückwunsch zu "Snapshot". Das Album ist wirklich
brilliant und gefällt mir ausgesprochen gut. Unterschiedliche
Stile, tolles Songwriting - halt ein typisches Roger Glover-Album.
Du musst sehr zufrieden sein...
RG:
Vielen Dank! Hätte ich selbst nicht besser sagen können
(lacht). Ich bin sehr glücklich mit dem Album. Einige der Songs
existieren schon lange und ich hatte schon seit geraumer Zeit den
Wunsch, etwas daraus zu machen. Da gab es aber immer das Problem
mit meiner Stimme. Es wäre toll, wenn ich singen könnte,
aber ich mag meine Stimme überhaupt nicht. Irgendwann realisierte
ich dann, dass die Leute, die ich persönlich gerne singen höre,
über keine gute Stimme verfügen, wie z.B. Bob Dylan, Ry
Cooder oder Randy Newmann. Sie haben wirklich fürchterliche
Stimmen und trotzdem liebe ich sie. Obwohl diese Leute merkwürdige
Stimmen haben, die man im Allgemeinen nicht gerade als ideal bezeichnen
würde, haben sie dennoch auf Grund ihrer Persönlichkeit
das gewisse Etwas. Weil ich das bei meiner Stimme nicht erkennen
kann, musste ich mir also einen Sänger suchen, was allerdings
sehr schwierig war. Wenn man nach einem Sänger sucht, findet
man in erster Linie Session-Sänger, die eine geschulte Stimme
haben und jeden noch so schwierigen Ton erwischen. So jemanden wollte
ich aber nicht. Ich suchte jemanden mit einer eigenen Persönlichkeit.
Eines Tages hörte ich dann Randall Bramblett`s Stimme, die
voll, warm, breit, bluesig und ausdrucksstark klingt. Wir trafen
uns, kamen auf Anhieb super miteinander klar und schrieben auch
gleich einige Songs zusammen. Randall ist ein sehr liebenswerter
Typ und seine Stimme inspirierte mich, weitere Songs zu schreiben.
Das Album ist dann auch unheimlich schnell entstanden. Rechnet man
alles zusammen, kommt man insgesamt auf ungefähr drei Wochen
Studioaufenthalt. Allerdings hat es drei Jahre gedauert, ehe wir
die drei Wochen zusammen hatten...
AS: In welchem Studio habt ihr aufgenommen?
RG: In den Acme Studios in Mamaroneck,
New York. Dort habe ich auch die Anniversary-CDs von "Machine
Head" und "Who Do We Think We Are" abgemischt. Ein
sehr kleines und unscheinbares Studio. Von außen kann man
es gar nicht als solches erkennen. Du gehst durch eine schwarze
Seitentür die schmale Treppe hinunter und da ist es dann plötzlich.
Aber der dort tätige Tontechniker Peter Denenberg ist absolut
erstklassig. Er war sehr wichtig für das Album, weil sich der
Aufnahmeprozess Dank ihm so einfach gestaltete. Es war so toll für
mich, mal nicht der Produzent zu sein, sondern einfach nur derjenige,
der zur Akustikgitarre einen Song singt und ihn seinen Mitmusikern
vorstellt. Sobald wir den Song einige Male gespielt hatten und die
Arrangements klar waren, haben wir ihn aufgenommen. Da war niemand,
der sagte: "Kannst Du die Bassdrum nochmal spielen, und nochmal,
und nochmal... Und jetzt nochmal das Standtom, und nochmal...".
Wir haben nicht so viel Aufhebens darum gemacht und die Mikrofon-Positionen
wie ansonsten üblich wieder und wieder verändert. Wenn
wir bereit waren aufzunehmen, dann haben wir es einfach durchgezogen.
Das machte die ganze Angelegenheit sehr einfach und angenehm. Am
ersten Studiotag haben wir fünf Songs aufgenommen, "Burn
Me Up Slowly", "Nothing Else", "What You Don`t
Say" und ... den Rest habe ich leider vergessen. Nach diesen
fünf Songs war dann auch erst einmal für anderthalb Jahre
Pause angesagt. Dann fand ich endlich wieder Zeit und wir haben
binnen einer Woche die anderen Songs aufgenommen. Deshalb heißt
das Album auch "Snapshot" (Schappschuss).
AS: Wie angekündigt ist es ein
sehr emotionales Album geworden. Du hast sicher eigene Erfahrungen
in den Songs verarbeitet...
RG: Ja, zumindest in einigen Songs.
Alle Songs haben mit dem Leben zu tun, aber nicht alle mit meinem
Leben. Das vergangene Jahr war ein sehr emotionales Jahr und - um
ehrlich zu sein - kein tolles Jahr für mich. Ich hatte viele
private Probleme zu bewältigen und einiges davon spiegelt sich
auf dem Album wieder.
AS: Der Name deiner Band ist etwas merkwürdig.
Warum "The Guilty Party"?
RG: Zum einen weil der Name einfach
gut klingt. "Glover`s Guilty Party" - das hört sich
doch prima an, was auf die beiden G`s zu Beginn der ersten Worte
zurückzuführen ist. Ich habe noch heute in der Zeitung
gelesen, dass es eine Firma gibt, die sich darauf spezialisiert
hat, Markennamen für Produkte zu finden. Je nachdem um was
für ein Produkt es sich handelt, muss der Name hart oder weich
ausgesprochen werden. Ein guter Name ist sehr wichtig, um ein Produkt
zu verkaufen.
Zum anderen wollte ich einen Bandnamen haben, weil meine Name nicht
alleine auf dem Cover stehen sollte. Ich fühle mich als Frontman
nicht wohl, möchte lieber Teil einer Band sein. Klar bin ich
in Wahrheit der Frontman auf dem Album, aber ich wollte dennoch
das Gefühl haben, einer Band anzugehören. Also brauchten
wir einen Namen.
Außerdem wollte ich nicht den gleichen Fehler machen, den
ich seinerzeit mit Ronnie James Dio begangen habe. Als wir "The
Butterfly Ball" aufgenommen haben, sang er auch auf der Single
"Love Is All". Für diesen Song bekam er seine erste
Goldene Schallplatte, ich glaube in Holland oder Frankreich war
das. Auf der Single stand aber genauso wie auf dem Album nur "Roger
Glover & Guests". Ronnie Dio`s Name stand dort nicht, obwohl
er auf diesem Song sang. Viele Jahre später erzählte er
mir, dass ihm das damals sehr wehgetan hat. Dabei war sein Mitwirken
an dem Song so wichtig und ich muss eingestehen, es nicht entsprechend
gewürdigt zu haben, zumindest nicht für die Öffentlichkeit.
Als er mir das sagte, habe ich mich richtig mies gefühlt. Deshalb
wollte ich den Fehler bei der Zusammenarbeit mit Randall Bramblett
kein zweites Mal begehen. Randall´s Mitwirken auf "Snapshot"
ist so wichtig wie Ronnie`s Mitwirken auf "The Butterfly Ball".
Und deshalb steht auch Randall`s Name auf der Frontseite des Albums.
AS: Mein Lieblingssong auf "Snapshot"
ist "The Bargain Basement", der Song, auf dem deine Tochter
Gillian sing. Sie hat eine wunderbar kräftige und gleichzeitig
auch warme, angenehme Stimme. Vor einigen Jahren hast du das "Gillan
& Glover"-Album aufgenommen. Wie wäre es, mal ein
"Gillian & Glover"-Album aufzunehmen?
RG:
- lacht - Die Ironie ist, dass Ian Gillan von 80% der Leute mit
"Gillian" angesprochen wird. Und ihn kotzt das wirklich
total an. - Gelächter - Und das passiert rund um den Globus.
- "Ahhh, Mr. Ian Gillian, hello..." - Gelächter -
AS: Die Deutschen setzen häufig
noch einen drauf. Sie sprechen meistens auch den Vornamen falsch
aus und sagen nicht Ian (also "Ijen"), sondern Eiän
- Gelächter -
RG: Ja, stimmt. Das ist traurig, denn
ein Name ist nun einmal ein Name. Ich meine, es ist eine Sache des
Respekts, den richtigen Namen zu kennen. Aber zurück zu Deiner
Frage - ob ich ein Album mit meiner Tochter machen sollte? Ja, das
wäre wirklich wunderbar und wird hoffentlich eines Tages geschehen.
AS: Arbeitet Gillian weiterhin an ihrer
eigenen musikalischen Karriere?
RG: Ja, zur Zeit ist sie in einer Band
Namens Revolver. Ich mag den Namen nicht. Gemeint ist mit Revolver
übrigens nicht die Handfeuerwaffe, sondern der Name entstammt
dem Begriff "revolve", sich drehen. Sie hat viel Spaß
mit der Band und lernt, was es heißt, in einer Band zu sein.
Natürlich gibt es da auch Konflikte. Sie lernt nun, wie man
mit so etwas umgeht, und das ist gut für sie. Aber sie ist
sehr glücklich. Erst vor einigen Tage habe ich mit ihr gesprochen.
Die Band war zu dieser Zeit im Studio und sie klang sehr zufrieden,
was mich natürlich gefreut hat.
AS: Dein Vater hat das "Snapshot"-Cover-Foto
geschossen, das dich im Alter von vier Jahren zeigt. Sorry, aber
ich bin nicht auf dem Laufenden. Leben Deine Eltern eigentlich noch?
RG: Ja.
AS: Für einen so beschäftigten
Musker wie du es bist muss es schwierig sein, seine Eltern häufig
zu sehen. Außerdem lebst du in Amerika. Hast du keine Problem
mit der Distanz?
RG: Ja, natürlich ist das ein Problem.
Aber wir sind mit dieser Situation quasi aufgewachsen, denn ich
lebe ja schon seit ungefähr 23 oder 24 Jahren in Amerika. Meine
Eltern haben sich scheiden lassen, mein Vater lebt in Spanien und
meine Mutter in England und wir sehen uns nicht so oft wie wir gerne
würden, was speziell für meinen Vater gilt. Ich habe ihn
in Spanien einige Male besucht. Meine Mutter steht jetzt, während
wir hier sitzen, wahrscheinlich am J.F.K.-Flughafen, um zurück
nach England zu fliegen. Sie und die Mutter meiner Frau waren in
den vergangenen drei Wochen bei uns zu Besuch. Ich hatte in dieser
Zeit ja Urlaub und es war sehr schön.
Ich habe zwar ein Problem mit der Distanz, aber ich bin Musiker
in einer Band und da gehören große Distanzen nun einmal
dazu. Noch belastender ist allerdings die Situation, wenn man -
wie ich - Kinder hat. Natürlich möchte man vermeiden,
dass die Kinder sagen: "Oh, mein Vater war nie da, er hat nur
gearbeitet." Ich muss leider einräumen, dass das bei mir
zum Teil so war. Aber damit mussten und müssen sie bei meinem
Job leider leben.
AS: Aber wenn du mal zu Hause bist,
dann aber auch den ganzen Tag lang.
RG: Ja, absolut richtig. Und dann gibt
es immer viel zu tun für mich. Einkaufen, Staubsaugen usw.
AS: Mit der Band unterwegs zu sein muss
dagegen doch wie Urlaub sein... - Gelächter -
RG: Meine Frau sagt das auch immer.
Und ich sage dann: "Nein, dass ist Arbeit!" Aber sie hat
Recht...
AS: Wirst Du auf Tour gehen, um das
Album zu promoten?
RG: Ich würde mit den Songs sehr
gerne auf die Bühne gehen. Aber bislang ist nichts in dieser
Richtung geplant. Die Plattenfirma hat mal vorgeschlagen, irgendwo
einen großen Club-Gig zu spielen oder vielleicht auch eine
kleine Club-Tour zu machen. Aber ich habe nichts mehr davon gehört.
Jeder, der auf dem Album spielt, wäre bestimmt sofort mit dabei.
Für alle Beteiligten waren die Aufnahmen eine großartige
Erfahrung und sie würden wahnsinnig gerne live damit auftreten.
Aber ob und wann das passieren wird? Keine Ahnung...
AS: Ich möchte Dir nun noch einige
Fragen zu Deep Purple stellen. So wie ich Dich kenne, war es bestimmt
eine sehr schmerzhafte Erfahrung, als Jon die Band verlassen hat...
RG: Ja und Nein. Natürlich tut
es weh, wenn ein Freund die Band verlässt. Aber es war auch
gut, weil diese Entscheidung schon seit einigen Jahren in der Luft
hing. Als Jon "Pictured Within" aufgenommen hat, war er
mit dem Kopf mehr mit seiner Musik als mit der Musik der Band beschäftigt.
In dieser Zeit haben wir "Abandon" aufgenommen. Dann kam
die Concerto-Sache und wir haben uns wirklich alle sehr für
Jon gefreut. Die Proben zum Auftritt in der Royal Albert Hall und
die Auftritte selbst waren sagenhaft, pure Magie. Das Concerto 30
Jahre später noch einmal aufzuführen muss für Jon
eine tolle Erfahrung und ein großer persönlicher Triumph
gewesen sein. Speziell, weil er einige Dinge von damals, die seiner
Meinung nach nicht in Ordnung waren, noch korrigiert hat.
Auch ohne dass es konkret ausgesprochen wurde, konnte man aber spüren,
dass Jon`s Ausstieg bevor stand. Er ist schon längere Zeit
unglücklich mit seiner Situation gewesen. Und als er uns schließlich
mitteilte, dass er aussteigen wird, sagten wir: "Gut."
Es war tatsächlich gut, weil es ein netter, ein passender Abschied
war. Jon hätte auch nichts anderes als das verdient gehabt,
denn er ist ein phantastischer Mensch. Es ist sein
Leben und wir müssen seine Entscheidung respektieren. Wenn
es auch sehr schwer für uns war, so hat es aber doch die Luft
gereinigt. Jetzt können wir uns wieder neu orientieren.
AS: Habt Ihr auch darüber diskutiert,
die Band nach Jon`s Ausstieg aufzulösen oder stand das nie
zur Debatte?
RG: Das stand nie zur Debatte! Daran
haben wir noch nicht einmal einen Gedanken verschwendet.
AS: Im nachhinein betrachtet wäre
die Concerto-Tour ein würdigerer Abschluss für Jon gewesen,
meinst Du nicht auch?
RG: Hmmm, nein, wer konnte das damals
schon voraussehen? Natürlich war uns zu diesem Zeitpunkt schon
bekannt, dass er nicht mehr so viel herumreisen und mehr Zeit für
sich haben wollte, und über der ganzen Tour lag ein Fragezeichen.
Wir haben uns gefragt, wie es wohl weitergehen wird. Aber man kann
jetzt nicht herkommen und im nachhinein sagen, es wäre besser
gewesen, wenn Jon damals bye-bye gesagt hätte. Das Leben läuft
ohnehin immer weiter, unabhängig davon, ob Jon früher
oder später ausgestiegen wäre.
AS: In welcher Form wird Jon bei der
England-Tour dabei sein? Wird er nur als Gastmusiker bei einigen
Songs auftreten oder während des kompletten Konzertes spielen?
RG:
Das erste Konzert in England ist am 6. September. Das letzte Konzert
in Deutschland ist am 4. September. Am 5. September treffen wir
uns mit Jon zum Essen. Dann werden wir gemeinsam besprechen wie
das in England ablaufen wird. Wahrscheinlich werden beide Seiten
unterschiedliche Ideen haben, aber Jon hat akzeptiert, als Gast
aufzutreten. Auch Don hat zugestimmt, was zeigt, dass er ein großes
Herz hat. Es ist eine schwierige Situation. Jon`s letzte Tour mit
Deep Purple musste leider abgebrochen werden. Wir wussten übrigens,
dass es seine letzte Tour mit uns sein würde, haben es aber
dennoch bewusst nicht angekündigt. Es sollte trotz allem eine
ganz normale Tour für uns sein. Es war natürlich eine
Schande, dass wir die Tour krankheitsbedingt nicht zu Ende bringen
konnten. Anschließend haben wir einige Tourneen mit Don durchgezogen.
Wir würden uns deshalb jetzt nicht gut dabei fühlen, Don
wieder einige Tag frei zu geben und die England-Tour komplett mit
Jon zu absolvieren. Jon hat nun einmal die Band verlassen und die
Band hat - bei allem Respekt für Jon - entschieden, auch ohne
ihn weiterzumachen. Wir haben jetzt eine andere Besetzung - Don
ist unser Keyboarder und Jon ist unser Gast. Ich hoffe, dass es
großartig funktionieren wird. Die beiden akzeptieren sich,
was eine gute Voraussetzung ist. Es wird sicher eine sehr nostalgische
Angelegenheit werden, was eigentlich nicht geplant war. Die Leute
werden kommen, um bei Jon`s letzter Tour dabei gewesen zu sein.
Wir machen diese Aktion sicher nicht aus kommerziellen Gründen.
Das haben wir schon bei der abgebrochenen England-Tour im Frühjahr
nicht getan. So etwas ist nicht unsere Sache.
AS: Wird Jon am nächsten Studio-Album
von Deep Purple mitwirken?
RG: Die Antwort weiß ich noch
nicht. Ich könnte meine Meinung
hierzu sagen, aber das bringt uns nicht weiter.
AS: Und was für eine Meinung hast
du? - Gelächter -
RG: Wir haben zu diesem Thema unterschiedliche
Meinungen in der Band, was nicht ungewöhnlich ist, denn so
ist das nun einmal in einer Band. Hier entscheidet nicht einer alleine
und wir respektieren, wenn jemand eine andere Meinung hat. Meine
Meinung ist nur eine von fünf. Wir hatten einige Sessions mit
Jon, um Songs für`s neue Album zu schreiben. Es sind einige
wirklich sehr gute Sachen dabei, die dir bestimmt gefallen würden.
Ob davon etwas auf dem Album landet und ob es dann Jon ist, der
sie einspielt, kann ich wirklich noch nicht sagen. Ich persönlich
hätte Jon gerne als Gast auf dem nächsten Album dabei,
aber ich kann auch die andere Seite verstehen.
AS: Warum spielt ihr auf dieser Tour
nicht mehr den neuen Song "Up The Wall"?
RG: Weil wir der Meinung sind, dass
der Song noch nicht fertig ist.
AS: Weltweit warten Deep Purple-Fans
auf neues Material. Wann werdet ihr denn nun ins Studio gehen?
RG: Mitte Oktober.
AS: In diesem Jahr? - Gelächter
-
RG: Ja, in diesem Jahr, und zwar in
Los Angeles. Wir werden mit dem Produzenten Michael Bradford zusammenarbeiten.
Ein sehr netter Typ übrigens.
AS: War das deine
Idee, mit Michael Bradford zusammenzuarbeiten?
RG: Nein, das war Michael`s Idee! Er
möchte unbedingt unser Produzent sein. Wir haben ihn nicht
angesprochen. Er ist von sich aus auf uns zugekommen und das kann
nur gut sein.
AS: Letztes Jahr hast du mir begeistert
erzählt, dass Phil Ramone euer nächstes Album produzieren
wird...
RG: Ja, das war eine
Möglichkeit, und eine gute noch dazu. Wir haben uns getroffen
und es war auch alles prima. Aber das war´s dann auch schon
- halt nur eine Möglichkeit.
AS: Meiner Meinung nach ist es besser,
mit einem jungen, hungrigen Produzenten wie Michael Bradford zusammenzuarbeiten.
RG: Du sprichst mit einem 56 Jahre alten
Bassisten. Aber ich nehme deine Aussage dennoch als Kompliment...
- Gelächter -
AS: Gehe ich Recht in der Annahme, dass
ihr euch durch die Zusammenarbeit mit einem modernen Produzenten
wie Michael Bradford versprecht, mehr Alben zu verkaufen?
RG: Nein, wir hoffen weniger zu verkaufen.
- Pause - NATÜRLICH hoffen wir,
mehr Alben zu verkaufen! Was ist das für eine Frage??? - Riesengelächter
-
AS: Ja, du hast vollkommen Recht. Es
ist halt schon spät... (Roger lacht sich fast schlapp)
RG: Es ist natürlich toll, erfolgreich
zu sein. Der Erfolg ist zwar nicht das, was uns antreibt, Musik
zu machen, aber wenn du ihn dann trotzdem hast, ist das schon ein
großartiges Gefühl. Aber was ist überhaupt "Erfolg"?
Meine Frau sagte mir, nachdem sie "Snapshot" gehört
hatte: "Ich hoffe für dich, dass das Album erfolgreich
wird." Ich habe ihr geantwortet: "Das ist
es bereits!" Für mich ist es nämlich schon ein Erfolg,
dass Album realisiert zu haben, es aufgenommen und veröffentlicht
zu haben. Das ist für mich der größte Erfolg, den
ich mir erhoffen konnte. Wie oft sich das Album verkauft ist eine
ganz andere Sache. So ist das auch mit der Band. Natürlich
würden wir gerne mehr Alben verkaufen. Aber wir müssen
nicht viele Alben verkaufen, müssen
nicht kommerziell oder radiotauglich klingen. Mich hat es sehr interessiert,
warum Michael Bradford uns produzieren möchte. Er sagt, dass
er uns mag, weil wir eine Rockband sind.
Hierüber bin ich sehr froh, denn mit dem großen Namen
"Deep Purple" wäre es ein Leichtes, uns mit einigen
kommerziellen Songs zu einer Art Aerosmith umzuwandeln. Aber das
ist nicht Michael`s Absicht. Seine Absicht mag zwar sein, soviele
Alben wie Aerosmith zu verkaufen, allerdings ohne uns dafür
zu verbiegen. Wir wollen gegenüber den Leuten, die uns kennen,
ehrlich bleiben. Wobei ich eingestehen muss, dass es für uns
teilweise schwer zu verstehen ist, was die Leute von uns erwarten.
Man muss auch aufpassen, nicht zu seiner eigenen Parodie zu werden.
Viele reden davon "Back to the roots" gefunden zu haben.
Steve Morse war vor einigen Jahren derjenige, der uns zeigte, wer
wir einst waren. Nachdem er bei uns eingestieg, ist jeder von uns
wieder aufgeblüht, sowohl als Musiker, als auch als Charakter.
Ich bin mir übrigens sicher, dass mit Don wieder so etwas passieren
wird.
AS: Ihr müsst schon ein sehr starkes
Album abliefern, um den Leuten zu zeigen, dass ihr auch ohne Jon
noch eine Zukunft habt...
RG: Ja, es wird das wichtigste Album,
dass wir jemals aufgenommen haben. Aber so ist es eigentlich schon
immer gewesen... Das nächste Album ist immer das wichtigste.
AS: Viele Fans sind sehr enttäuscht,
dass ihr diesmal solange Zeit braucht, ein neues Album aufzunehmen.
Manche unterstellen, dass es Euch an Ideen mangelt, was ich mir
allerdings absolut nicht vorstellen kann. Was sind die wahren Gründe?
RG: Man kann nicht alles planen, manches
passiert einfach, manche Dinge ändern sich. Es sieht so aus,
als wäre es fast so etwas wie ein Missgeschick, dass wir so
lange kein neues Studioalbum aufgenommen haben. Aber wenn ich zurückblicke,
so sehe ich einige Gründe hierfür. Ein Grund war das "Concerto
For Group And Orchestra". Anstatt nach der Aufführung
in der Royal Albert Hall ins Studio zu gehen, haben wir die Concerto-Tour
absolviert. Alle Pläne wurden hierduch über den Haufen
geworfen. Dann stand auch im Raum, dass Jon die Band verlassen würde.
Meiner Meinung nach wäre es ein riesiger Fehler gewesen, mit
Jon ins Studio zu gehen und anschließend jemand zu engagieren,
der seinen Part auf der Bühne übernimmt. Wir mussten zunächst
Bescheid wissen wie es weiter geht. Jetzt wissen wir wie es weiter
geht und werden nun ins Studio gehen. Außerdem hat sich das
ganze Musikbusiness stark verändert. Alben verkaufen sich nicht
mehr. Konzerte laufen aber noch sehr gut. Wir sind sehr glücklich,
dass wir fast weltweit Publikum haben. Wir lieben natürlich
die Musik, aber es ist auch Geschäft. Außerdem können
wir nicht einfach aufhören zu arbeiten, denn das Arbeiten ist
ein unentbehrlicher Bestandteil des Lebens. Das ist bei uns nicht
anders als bei allen anderen auch. Manche werfen uns vor, wir würden
das Publikum schröpfen und unseren Namen verkaufen. Diese Leute
können mich mal gerne haben, schließlich haben wir uns
unseren Erfolg hart erarbeitet und müssen deshalb heutzutage
nun wirklich kein schlechtes Gewissen haben. Meiner Meinung nach
haben wir in den letzten 8 oder 9 Jahren wahre Wunder vollbracht.
Wir haben den Abwärtstrend aufgehalten und umgekehrt. Mittlerweile
geht es für uns wieder bergauf und darauf können wir stolz
sein. Wir sind uns alle sehr sicher, dass das nächste Album
verdammt gut wird. Uns ist bewusst, dass wir ein großartiges
Album abliefern müssen, und genau das werden wir tun!
AS: Ein weiterer Kritikpunkt ist die
mittlerweile sehr statische Setlist. Wenn ihr schon fast nur noch
alte Songs spielt, warum dann nicht auch mal zur Abwechslung zwei
oder drei Songs, die man noch nicht live gehört hat, wie zum
Beispiel "Hard Lovin` Man", "Flight Of The Rat"
oder "Living Wreck"? Immerhin gibt keine zweite Gruppe,
die so viele unglaublich gute Songs geschrieben hat.
RG:
Neue Songs zu schreiben oder alte Songs einzuüben ist unserem
Fall nur sehr schwer zu realisieren. Wenn wir uns mal alle treffen
- Anlass sind meistens Konzerte -, herrscht fast immer ein großer
Zeitdruck. Aus persönlichen und geografischen Gründen
können wir uns nicht mal eben so zwischendurch treffen. Das
muss alles organisiert werden. Ich gebe dir Recht, dass es einige
Dinge gibt, die wir machen könnten, aber ich vertrete eben
nur eine Meinung. Ich treibe immer dazu
an, neues Material in Angriff zu nehmen. Tatsache ist aber auch,
dass wir vor Publikum spielen, dem es am wichtigsten ist, die Hits
zu hören, bei denen es mitsingen kann - das ist die rauhe Realität.
Außerdem ist Realität, dass wir seit den 70ern solche
Hits nicht mehr geschrieben haben. Wir haben zwar gute Songs geschrieben,
aber keine Songs, die jeder kennt. Bei unserer jüngsten Amerika-Tour
ist uns das bisweilen wieder sehr bewusst geworden. Das war dort
nicht immer unser Publikum. Die Leute kommen zu den Konzerten und
wollen einfach eine gute Zeit haben. An einigen Abenden mussten
wir dafür büßen, dass wir Songs gespielt haben,
die keine Hits waren. Also haben wir die Setlist umgestellt und
Hit auf Hit gespielt, was wir tun mussten, um dort überleben
zu können... Scorpions und Dio haben es übrigens auch
nicht anders gemacht.
AS: Ok, für Amerika mag dieses
Argument ja zutreffen. Aber sicher nicht für Deutschland...
RG: Ja, aber wann glaubst Du, hatten
wir Zeit zu proben? Ich bin erst zwei Stunden vor der ersten Show
in Deutschland angekommen. Nächstes Jahr wird es einige Änderungen
geben. Ich denke, wir werden ein komplett neues Programm spielen,
mit neuen Songs und anderen alten Songs. Die Kritik, die du ansprichst,
kommt nur von einer Minderheit. Viele Leute sehen uns zum ersten
Mal live, was ein sehr gutes Zeichen ist, denn unser Publikum verändert
sich. Es mag sein, dass die, die uns schon 6 oder 7 Mal gesehen
haben, sich inzwischen langweilen.
AS: Ihr solltet aber die alten Fans
nicht vergessen, denn sie stellen eure Basis dar.
RG: Du weißt, dass mir unsere
Fans sehr wichtig sind und ich pflege auf Tour ständig den
Kontakt zu ihnen. Und dennoch: Die Dinge, die wir tun, tun wir für
uns, nicht für die Fans. Wir machen
was wir wollen. Das war übrigens
schon immer so, und glücklicherweise haben wir stets den Geschmack
von vielen Leuten getroffen.
AS: Ist es nicht langweilig, jeden Abend
die gleichen Songs zu spielen?
RG: Nein, weil die Songs jeden Abend
anders gespielt werden. Nimm zum Beispiel "Smoke On The Water"
und "Highway Star" - da spiele ich jeden Abend andere
Läufe am Bass. Das mag den meisten Leuten im Publikum nicht
auffallen, aber für mich ist das sehr wichtig. Deshalb sind
all die alten Songs jeden Abend neu für mich.
AS: Apropos "Smoke On The Water":
Die Einleitung heute Abend (Gelsenkirchen) habt ihr verpatzt, nicht
wahr?
RG: Das war heute abend in der Tat eine
sehr merkwürdige Version von "Smoke On The Water".
Ich werde dir erzählen, wie es dazu kam: Während der Amerika-Tour
durften wir maximal 75 Minuten spielen, und keine Minute länger!
Das war nicht leicht für uns, denn wir haben keinen Dirigenten,
der uns zeigt, wie lange welcher Part gespielt werden darf. Heute
abend hatten wir aber endlich wieder mehr Zeit, und wir lieben es,
zu jamen. Die heutige Einleitung von "Smoke On The Water"
basierte auf dem Konzert in Reno (USA), bei dem Joe Satriani mit
uns jamte. Er kam auf die Bühne, fing einfach an zu spielen
und wir setzten ein. Das war ein wahrhaft magischer Moment. Zwei
Minuten bevor wir heute auf die Bühne gingen, meinte Paicey:
"Hey, warum spielen wir nicht nochmal so einen Rhythmus vor
`Smoke On The Water`?" Wir sagten: "Ok". Das war
alles und den Rest hast du ja gehört (lacht)...
AS: Das ist genau die Spontanität,
die Deep Purple-Fans so schätzen. Vielen Dank für das
ausführliche Interview zu später Stunde.
RG: Mein Kompliment an dich. Du weißt
wirklich, wovon du sprichst.
Übersetzung: Andree Schneider
pics: Andree Schneider
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