von Andree Schneider
Am 30. Juni 1998 interviewte ich Steve Morse
in Stuttgart. Zu verdanken hatte ich dieses Interview nicht zuletzt
seiner Ehefrau Jaqueline, die ein gutes Wort für mich bei Steve
einlegte, der nach dem Auftritt in der Stuttgarter Schleyerhalle
eigentlich nur noch ins Bett wollte. So nahm sich der Purple-Gitarrero
dann aber doch noch eine halbe Stunde Zeit.
AS:
Was für eine Bedeutung hat der Titel Eures neuen Albums - "Abandon"?
SM: Der Begriff "Abandon"
hat für uns zwei Bedeutungen. Zum einen bedeutet "Abandon",
etwas hinter sich zu lassen, zum anderen, dass man sich frei und
aller Sorgen entledigt fühlt. Diese Bedeutungen beziehen sich
natürlich auf Deep Purple und geben wider, wie wir spielen.
Ian Gillan liebte diesen Titel und das, was er aussagt. Es gelang
ihm, Jon hiervon zu überzeugen und letztlich war das dann auch
der Album-Titel. Einen Titel für`s Album zu finden ist generell
alles andere als leicht. So gab es auch diesmal `ne Menge anderer
Vorschläge. Mein persönlicher Favorit war "Juggler"
(Jongleur).
AS: Die Musik auf "Abandon"
klingt deutlich rauher als auf "Purpendicular". Hattet
Ihr einen speziellen Grund, den Sound zu ändern?
SM: Nein. Seit dem letzten Album sind
ganz einfach einige Jahre ins Land gegangen und diesmal fühlte
ich mich, was das Einbringen von Ideen angeht, wesentlich freier.
Wenn ich von einem meiner Vorschläge wirklich überzeugt
war, habe ich das auch offen kundgetan. Natürlich ist es letztlich
die gesamte Band, die entscheidet, an welcher Idee weitergearbeitet
wird. Meine Hauptaufgabe besteht darin, mit so vielen Ideen wie
möglich anzukommen.
AS: Man kann auch deutlich heraushören,
dass viele der Songs maßgeblich von Dir beeinflusst wurden.
Kann es daher sein, dass Jon Lord diesmal nicht so stark beteiligt
war, möglicherweise weil er zeitgleich auch an seinem Solo-Album
gearbeitet hat?
SM: Diese Schlussfolgerung ist so nicht
ganz richtig. Ok, als wir mit dem Songwriting anfingen, war Jon
nicht dabei. Das waren aber keine Songs, die schon von Anfang bis
Ende fertig waren. Als es an die endgültige Ausarbeitung ging,
war er aber dabei und hat auch seinen Einfluss geltend gemacht.
Er war also keinesfalls vollkommen außen vor.
AS: Dein Gitarrensound auf "Abandon"
klingt sehr "fett". Wurde die Rhythmusgitarre gedoppelt,
also auf mehrere Spuren aufgenommen?
SM: Nein, die Gitarre wurde durchgängig
auf eine Spur aufgenommen. Dass sie so "fett" klingt liegt
einfach daran, dass der Ton-Ingenieur einen guten Job gemacht hat.
AS: Ich finde, dass Deep Purple mit
Dir zum Teil wesentlich kompliziertere Musik komponieren. Die alten
Sachen waren rein spieltechnisch gesehen meistens einfacher strukturiert.
Geht ihr die Sache eigentlich bewusst schwierig an?
SM: Ich spiele nunmal so. Das ist völlig
normal für mich. Ich mag`s halt, Sachen zu spielen, die einen
herausfordern. Aber hör` Dir z.B. "Any Fule Kno That"
an. Diesen Song zu spielen stellt keine besondere musikalische Herausforderung
dar. Dieses Teil lebt einfach vom guten Feeling. Oder "Almost
Human" - das ist auch nichts schwieriges. Ok, "Seventh
Heaven" ist in den ruhigen Parts schon schwierig. Verzwickt
ist auch, "Fingers To The Bone" live gut rüberzubringen,
denn auf der Studio-Version habe ich zwei Gitarren eingespielt -
eine harte Rythmusgitarre als Fundament und dazu eine akustische
Gitarre. So etwas geht live natürlich nicht. Da muss man sich
schon anstrengen, damit es dem Zuhörer nicht negativ auffällt.
Oder wenn der Keyboarder live von einer Sekunde auf die andere auf
einen neuen Sound umschwenken muß. Das sind die wirklichen
Herausforderungen.
AS: Stimmt es eigentlich,dass Ihr im
Jahr 2000 Euer nächstes Album im Kasten haben müsst?
SM: Das höre ich jetzt zum ersten
Mal. Aber es wäre nichts neues, dass wir die Letzten sind,
die hierüber informiert werden. Die beste Informationsquelle
stellt für uns übrigens die Purple-Homepage im Internet
dar.....
AS: Du und Jaqueline habt am 17. Dezember
letzten Jahres auf der Bühne des House Of Blues in Chicago
geheiratet. Das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Platz, um zu
heiraten. Wer von Euch beiden hatte die Idee?
SM: Jaqueline und ich hatten das Datum
schon auserkoren, ehe eines Tages jemand sagte, dass für den
gleichen Tag ein Deep Purple-Gig in Chicago vorgesehen sei. Wir
fragten uns, ob wir den Heirats-Termin nochmal verschieben sollten,
kamen aber zu dem Entschluss, auf der Bühne zu heiraten. Wir
hatten kein Problem damit, da ich ohnehin einen großen Teil
meines Lebens auf der Bühne verbringe. Wir haben also unsere
Familien dorthin eingeladen und vor dem anwesenden Publikum auf
der Bühne geheiratet.
AS: Eine Frage an Dich, Jaqueline: Wie
ist es denn so, mit einem Musiker verheiratet zu sein?
SM: Willst Du wirklich die Wahrheit
hören? (Gelächter)
Jaqueline: Ich liebe Musik und habe
sie schon immer geliebt. Ich bin sehr glücklich, mit einem
Menschen wie Steve zusammen zu sein, der sehr kreativ ist - nicht
nur in musikalischer Hinsicht. Natürlich stellt es auch eine
Herausforderung dar, denn der Lebensstill ist ein anderer, wenn
man mit einem Musiker verheiratet ist. Wenn wir zuhause sind, versuchen
wir so normal und so ungezwungen wie möglich zu leben. Wir
haben dann auch drei Jungs um uns herum.
AS: Spielst Du auch ein Instrument?
Jaqueline: Obwohl ich den besten Lehrer
der Welt habe, kann ich nur ein bisschen Gitarre spielen. Wirklich
nicht besonders gut.
SM: Oh nein, ich bin kein guter Gitarrenlehrer.
Dafür bin ich nur zu gebrauchen, wenn Leute schon auf einem
gewissen Level spielen. Denen dann gewisse Details zu erklären,
das kann ich schon. Aber Anfängern das Gitarrespielen beizubringen
- nein, das ist nichts für mich. Ich finde, es ist im allgemeinen
eine hohe Kunst, anderen etwas beibringen zu können und ich
habe großen Respekt vor denen, die das draufhaben. Ich würde
niemals behaupten, ein guter Lehrer zu sein.
Jaqueline: Was mir wirklich Spaß
macht, ist zu tanzen.
AS: Tanzt Du auch gerne, Steve?
SM: Nein, ganz bestimmt nicht. Ich stehe
viel lieber auf der Bühne (Jaqueline lacht). Ich liebe es,
live zu spielen.
AS: Es hat sich mittlerweile rumgesprochen,
dass Du ein großer Freund der Fliegerei bist. Du besitzt auch
einige Flugzeuge!?!
SM: Es muß sich wirklich unglaublich
angeberisch anhören, wenn ich darüber berichte. Deshalb
zögere ich auch noch ein wenig...... aber ok. Lass` mich so
beginnen: Flugzeuge sind in den USA leichter zu bekommen als sonstwo.
Mein erstes Flugzeug und mein erstes Auto habe ich mir fast zeitgleich
zugelegt. Es ist nicht so, dass ich mein Hauptaugenmerk darauf richte,
mein Einkommen in Flugzeuge zu investieren. Es ist nicht so angeberisch
wie es vielleicht den Anschein haben mag. Flugzeuge sind einfach
mein liebstes Hobby. Nun zu Deiner eigentlichen Frage: Ich habe
eine Cessna 3-10 (R-Modell), eine Cessna 1-80, eine russische JAK
54 M und eine spanisches Düsenflugzeug.
AS: Hast Du denn zu Hause Zeit, um Deinem
Hobby nachzugehen?
SM: Wenn ich zu Hause bin, fliege ich
jeden Tag.
AS: Du hast außerdem eine Vorliebe
für Wölfe. Was fasziniert Dich an diesen Tieren?
SM: Jeder hat etwas, mit dem er sich
identifiziert. Vor langer Zeit habe ich auf meiner Farm Wölfe
gezüchtet. Ich hatte dadurch Gelegenheit, ihr Verhalten zu
studieren und ihre Familienstruktur kennenzulernen. Ich lernte,
wie der einzelne Wolf seine Stellung in der Gruppe sieht. Vieles
erinnert einen da an das menschliche Verhalten. Jeder Wolf nimmt
in seiner Umgebung eine besondere Stellung ein, keiner ist wie der
andere. Wölfe sind in meinen Augen extrem cool, weil es sich
bei ihnen im Hinblick auf die Natur um wirklich perfekte Tiere handelt.
AS: Es sind allerdings auch sehr gefährliche
Tiere!
SM: Nein, sie sind absolut nicht gefährlich.
Der Wolf hat zwar den Ruf gefährlich zu sein, aber das rührt
nur aus den Gruselgeschichten her, die einem schon als Kleinkind
erzählt werden. Die Leute haben über Jahrhunderte weltweit
diese Geschichten für "bare Münze" genommen.
Farmer, die ihre Hühner und Lämmer ohne Zaun frei rumlaufen
lassen, stellen natürlich fest, dass hier und da schon mal
eines ihrer Tiere fehlt und wollen deshalb Wölfe erschießen.
Solche Auseinandersetzungen sind aber nichts ungewöhnliches,
denn derartige Dinge passieren zwangsläufig, wenn Mensch und
Natur zusammentreffen. Du wirst aber niemals einen Wolf sehen, der
einen Menschen in dessen Umgebung angreift. Es sei denn, man drängt
den Wolf in eine Ecke. Dann wehrt er sich natürlich.
AS: Du kommst auf den Touren ja weit
herum in der Welt. Kannst Du sagen, wo es Dir am besten gefällt?
SM: Das kann ich nicht so einfach beantworten.
Das ist etwa so, als wenn Dich einer nach Deinem Lieblingsessen
fragt. Einen Tag ist es Pizza, den nächsten Tag ist es ein
Hamburger und wieder einen Tag später magst Du Salat am liebsten.
Wir kommen beispielsweise sehr gerne nach Deutschland, weil wir
wissen, dass hier alles bestens organisiert ist und die Zuschauer
auch gute Zuhörer sind. Andererseits ist es auch mal schön,
wenn die Leute absolut ausrasten und irgendwie alles außer
Kontrolle gerät, wenn du auf die Bühne kommst. So ist
es in der Türkei, in Italien oder auch in Indien. Deshalb kann
ich nicht sagen, welchen Ort ich am liebsten habe. Ich bin auch
sehr gerne in Amerika, weil ich mich hier am besten auskenne.
AS: Werdet Ihr auf dieser Tour auch
wieder in Japan spielen?
SM: Möglicherweise.
AS: Deep Purple sind ja nicht immer
im Studio oder auf Tour. Was stellst Du so im allgemeinen in Deinen
Ferien an?
SM:
Nun, wir haben drei sehr lebhafte Jungs. Deshalb sind auch die wenigen
freien Tage, die ich habe, nicht zwangsläufig Urlaub. Auch
wenn ich zu Hause bin, spiele ich jeden Tag Gitarre. Ich schreibe
schließlich auch für allerlei andere Projekte neue Songs.
Dann fahren Jaqueline und ich die Jungs zur Schule, zum Sportunterricht
oder zu McDonalds und was weiß ich wohin noch. Und wie schon
gesagt, fliege ich natürlich auch jeden Tag mal etwas durch
die Gegend und Jaqueline reitet auf ihrem Pferd aus. Da ist nicht
mehr viel Zeit, um sich auszuruhen. Eigentlich kann ich mich nicht
daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal ausgeruht habe. Doch
- vor einigen Wochen haben Jaqueline und ich mal die Zeit gefunden,
ins Kino zu gehen. Das war etwas ganz außergewöhnliches
für uns (lacht).
AS: Die letzte Frage: Kannst Du Deine
Lebensphilosophie in einem Satz wiedergeben?
Es folgten 33 Sekunden absolute Stille.
SM: Ich kann es zwar nicht, werde es
aber trotzdem versuchen.
Weitere 15 Sekunden knisternde Spannung.
SM: Das Leben gibt Dir im gleichen Maße
das zurück, was Du zuvor in es investiert hast. Das reicht
aber nicht aus. Es würde einen sehr langen Satz mit vielen
Kommas geben, wenn ich meine ganze Lebensphilosophie umschreiben
sollte.
AS: Vielen Dank, dass Ihr Euch trotz
Müdigkeit so lange Zeit genommen habt.
SM: Vielen
Dank für Deine Unterstützung.
Jaqueline: Hat sehr viel Spaß
gemacht - wir sehen uns.
Übersetzung: Andree Schneider
pics: Woody Woodstock (Mitte) und Manfred Stoffer (live-pics)
Quelle: The Aviator No. 6, November 1998
|