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"Oh nein, ich bin kein guter Gitarrenlehrer. Dafür bin ich nur zu gebrauchen, wenn Leute schon auf einem gewissen Level spielen."
Interview mit Steve Morse, 30.6.1998, Stuttgart

von Andree Schneider

Am 30. Juni 1998 interviewte ich Steve Morse in Stuttgart. Zu verdanken hatte ich dieses Interview nicht zuletzt seiner Ehefrau Jaqueline, die ein gutes Wort für mich bei Steve einlegte, der nach dem Auftritt in der Stuttgarter Schleyerhalle eigentlich nur noch ins Bett wollte. So nahm sich der Purple-Gitarrero dann aber doch noch eine halbe Stunde Zeit.

Steve in Düsseldorf, 9.10.1998AS: Was für eine Bedeutung hat der Titel Eures neuen Albums - "Abandon"?
SM: Der Begriff "Abandon" hat für uns zwei Bedeutungen. Zum einen bedeutet "Abandon", etwas hinter sich zu lassen, zum anderen, dass man sich frei und aller Sorgen entledigt fühlt. Diese Bedeutungen beziehen sich natürlich auf Deep Purple und geben wider, wie wir spielen. Ian Gillan liebte diesen Titel und das, was er aussagt. Es gelang ihm, Jon hiervon zu überzeugen und letztlich war das dann auch der Album-Titel. Einen Titel für`s Album zu finden ist generell alles andere als leicht. So gab es auch diesmal `ne Menge anderer Vorschläge. Mein persönlicher Favorit war "Juggler" (Jongleur).
AS: Die Musik auf "Abandon" klingt deutlich rauher als auf "Purpendicular". Hattet Ihr einen speziellen Grund, den Sound zu ändern?
SM: Nein. Seit dem letzten Album sind ganz einfach einige Jahre ins Land gegangen und diesmal fühlte ich mich, was das Einbringen von Ideen angeht, wesentlich freier. Wenn ich von einem meiner Vorschläge wirklich überzeugt war, habe ich das auch offen kundgetan. Natürlich ist es letztlich die gesamte Band, die entscheidet, an welcher Idee weitergearbeitet wird. Meine Hauptaufgabe besteht darin, mit so vielen Ideen wie möglich anzukommen.
AS: Man kann auch deutlich heraushören, dass viele der Songs maßgeblich von Dir beeinflusst wurden. Kann es daher sein, dass Jon Lord diesmal nicht so stark beteiligt war, möglicherweise weil er zeitgleich auch an seinem Solo-Album gearbeitet hat?
SM: Diese Schlussfolgerung ist so nicht ganz richtig. Ok, als wir mit dem Songwriting anfingen, war Jon nicht dabei. Das waren aber keine Songs, die schon von Anfang bis Ende fertig waren. Als es an die endgültige Ausarbeitung ging, war er aber dabei und hat auch seinen Einfluss geltend gemacht. Er war also keinesfalls vollkommen außen vor.
AS: Dein Gitarrensound auf "Abandon" klingt sehr "fett". Wurde die Rhythmusgitarre gedoppelt, also auf mehrere Spuren aufgenommen?
SM: Nein, die Gitarre wurde durchgängig auf eine Spur aufgenommen. Dass sie so "fett" klingt liegt einfach daran, dass der Ton-Ingenieur einen guten Job gemacht hat.
AS: Ich finde, dass Deep Purple mit Dir zum Teil wesentlich kompliziertere Musik komponieren. Die alten Sachen waren rein spieltechnisch gesehen meistens einfacher strukturiert. Geht ihr die Sache eigentlich bewusst schwierig an?
SM: Ich spiele nunmal so. Das ist völlig normal für mich. Ich mag`s halt, Sachen zu spielen, die einen herausfordern. Aber hör` Dir z.B. "Any Fule Kno That" an. Diesen Song zu spielen stellt keine besondere musikalische Herausforderung dar. Dieses Teil lebt einfach vom guten Feeling. Oder "Almost Human" - das ist auch nichts schwieriges. Ok, "Seventh Heaven" ist in den ruhigen Parts schon schwierig. Verzwickt ist auch, "Fingers To The Bone" live gut rüberzubringen, denn auf der Studio-Version habe ich zwei Gitarren eingespielt - eine harte Rythmusgitarre als Fundament und dazu eine akustische Gitarre. So etwas geht live natürlich nicht. Da muss man sich schon anstrengen, damit es dem Zuhörer nicht negativ auffällt. Oder wenn der Keyboarder live von einer Sekunde auf die andere auf einen neuen Sound umschwenken muß. Das sind die wirklichen Herausforderungen.
AS: Stimmt es eigentlich,dass Ihr im Jahr 2000 Euer nächstes Album im Kasten haben müsst?
SM: Das höre ich jetzt zum ersten Mal. Aber es wäre nichts neues, dass wir die Letzten sind, die hierüber informiert werden. Die beste Informationsquelle stellt für uns übrigens die Purple-Homepage im Internet dar.....
AS: Du und Jaqueline habt am 17. Dezember letzten Jahres auf der Bühne des House Of Blues in Chicago geheiratet. Das ist ein ziemlich ungewöhnlicher Platz, um zu heiraten. Wer von Euch beiden hatte die Idee?
SM: Jaqueline und ich hatten das Datum schon auserkoren, ehe eines Tages jemand sagte, dass für den gleichen Tag ein Deep Purple-Gig in Chicago vorgesehen sei. Wir fragten uns, ob wir den Heirats-Termin nochmal verschieben sollten, kamen aber zu dem Entschluss, auf der Bühne zu heiraten. Wir hatten kein Problem damit, da ich ohnehin einen großen Teil meines Lebens auf der Bühne verbringe. Wir haben also unsere Familien dorthin eingeladen und vor dem anwesenden Publikum auf der Bühne geheiratet.
AS: Eine Frage an Dich, Jaqueline: Wie ist es denn so, mit einem Musiker verheiratet zu sein?
SM: Willst Du wirklich die Wahrheit hören? (Gelächter)
Jaqueline: Ich liebe Musik und habe sie schon immer geliebt. Ich bin sehr glücklich, mit Steve, Jaqueline, Andreeeinem Menschen wie Steve zusammen zu sein, der sehr kreativ ist - nicht nur in musikalischer Hinsicht. Natürlich stellt es auch eine Herausforderung dar, denn der Lebensstill ist ein anderer, wenn man mit einem Musiker verheiratet ist. Wenn wir zuhause sind, versuchen wir so normal und so ungezwungen wie möglich zu leben. Wir haben dann auch drei Jungs um uns herum.
AS: Spielst Du auch ein Instrument?
Jaqueline: Obwohl ich den besten Lehrer der Welt habe, kann ich nur ein bisschen Gitarre spielen. Wirklich nicht besonders gut.
SM: Oh nein, ich bin kein guter Gitarrenlehrer. Dafür bin ich nur zu gebrauchen, wenn Leute schon auf einem gewissen Level spielen. Denen dann gewisse Details zu erklären, das kann ich schon. Aber Anfängern das Gitarrespielen beizubringen - nein, das ist nichts für mich. Ich finde, es ist im allgemeinen eine hohe Kunst, anderen etwas beibringen zu können und ich habe großen Respekt vor denen, die das draufhaben. Ich würde niemals behaupten, ein guter Lehrer zu sein.
Jaqueline: Was mir wirklich Spaß macht, ist zu tanzen.
AS: Tanzt Du auch gerne, Steve?
SM: Nein, ganz bestimmt nicht. Ich stehe viel lieber auf der Bühne (Jaqueline lacht). Ich liebe es, live zu spielen.
AS: Es hat sich mittlerweile rumgesprochen, dass Du ein großer Freund der Fliegerei bist. Du besitzt auch einige Flugzeuge!?!
SM: Es muß sich wirklich unglaublich angeberisch anhören, wenn ich darüber berichte. Deshalb zögere ich auch noch ein wenig...... aber ok. Lass` mich so beginnen: Flugzeuge sind in den USA leichter zu bekommen als sonstwo. Mein erstes Flugzeug und mein erstes Auto habe ich mir fast zeitgleich zugelegt. Es ist nicht so, dass ich mein Hauptaugenmerk darauf richte, mein Einkommen in Flugzeuge zu investieren. Es ist nicht so angeberisch wie es vielleicht den Anschein haben mag. Flugzeuge sind einfach mein liebstes Hobby. Nun zu Deiner eigentlichen Frage: Ich habe eine Cessna 3-10 (R-Modell), eine Cessna 1-80, eine russische JAK 54 M und eine spanisches Düsenflugzeug.
AS: Hast Du denn zu Hause Zeit, um Deinem Hobby nachzugehen?
SM: Wenn ich zu Hause bin, fliege ich jeden Tag.
AS: Du hast außerdem eine Vorliebe für Wölfe. Was fasziniert Dich an diesen Tieren?
SM: Jeder hat etwas, mit dem er sich identifiziert. Vor langer Zeit habe ich auf meiner Farm Wölfe gezüchtet. Ich hatte dadurch Gelegenheit, ihr Verhalten zu studieren und ihre Familienstruktur kennenzulernen. Ich lernte, wie der einzelne Wolf seine Stellung in der Gruppe sieht. Vieles erinnert einen da an das menschliche Verhalten. Jeder Wolf nimmt in seiner Umgebung eine besondere Stellung ein, keiner ist wie der andere. Wölfe sind in meinen Augen extrem cool, weil es sich bei ihnen im Hinblick auf die Natur um wirklich perfekte Tiere handelt.
AS: Es sind allerdings auch sehr gefährliche Tiere!
SM: Nein, sie sind absolut nicht gefährlich. Der Wolf hat zwar den Ruf gefährlich zu sein, aber das rührt nur aus den Gruselgeschichten her, die einem schon als Kleinkind erzählt werden. Die Leute haben über Jahrhunderte weltweit diese Geschichten für "bare Münze" genommen. Farmer, die ihre Hühner und Lämmer ohne Zaun frei rumlaufen lassen, stellen natürlich fest, dass hier und da schon mal eines ihrer Tiere fehlt und wollen deshalb Wölfe erschießen. Solche Auseinandersetzungen sind aber nichts ungewöhnliches, denn derartige Dinge passieren zwangsläufig, wenn Mensch und Natur zusammentreffen. Du wirst aber niemals einen Wolf sehen, der einen Menschen in dessen Umgebung angreift. Es sei denn, man drängt den Wolf in eine Ecke. Dann wehrt er sich natürlich.
AS: Du kommst auf den Touren ja weit herum in der Welt. Kannst Du sagen, wo es Dir am besten gefällt?
SM: Das kann ich nicht so einfach beantworten. Das ist etwa so, als wenn Dich einer nach Deinem Lieblingsessen fragt. Einen Tag ist es Pizza, den nächsten Tag ist es ein Hamburger und wieder einen Tag später magst Du Salat am liebsten. Wir kommen beispielsweise sehr gerne nach Deutschland, weil wir wissen, dass hier alles bestens organisiert ist und die Zuschauer auch gute Zuhörer sind. Andererseits ist es auch mal schön, wenn die Leute absolut ausrasten und irgendwie alles außer Kontrolle gerät, wenn du auf die Bühne kommst. So ist es in der Türkei, in Italien oder auch in Indien. Deshalb kann ich nicht sagen, welchen Ort ich am liebsten habe. Ich bin auch sehr gerne in Amerika, weil ich mich hier am besten auskenne.
AS: Werdet Ihr auf dieser Tour auch wieder in Japan spielen?
SM: Möglicherweise.
AS: Deep Purple sind ja nicht immer im Studio oder auf Tour. Was stellst Du so im allgemeinen in Deinen Ferien an?
Steve in Düsseldorf, 9.10.1998SM: Nun, wir haben drei sehr lebhafte Jungs. Deshalb sind auch die wenigen freien Tage, die ich habe, nicht zwangsläufig Urlaub. Auch wenn ich zu Hause bin, spiele ich jeden Tag Gitarre. Ich schreibe schließlich auch für allerlei andere Projekte neue Songs. Dann fahren Jaqueline und ich die Jungs zur Schule, zum Sportunterricht oder zu McDonalds und was weiß ich wohin noch. Und wie schon gesagt, fliege ich natürlich auch jeden Tag mal etwas durch die Gegend und Jaqueline reitet auf ihrem Pferd aus. Da ist nicht mehr viel Zeit, um sich auszuruhen. Eigentlich kann ich mich nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal ausgeruht habe. Doch - vor einigen Wochen haben Jaqueline und ich mal die Zeit gefunden, ins Kino zu gehen. Das war etwas ganz außergewöhnliches für uns (lacht).
AS: Die letzte Frage: Kannst Du Deine Lebensphilosophie in einem Satz wiedergeben?
Es folgten 33 Sekunden absolute Stille.
SM: Ich kann es zwar nicht, werde es aber trotzdem versuchen.
Weitere 15 Sekunden knisternde Spannung.
SM: Das Leben gibt Dir im gleichen Maße das zurück, was Du zuvor in es investiert hast. Das reicht aber nicht aus. Es würde einen sehr langen Satz mit vielen Kommas geben, wenn ich meine ganze Lebensphilosophie umschreiben sollte.
AS: Vielen Dank, dass Ihr Euch trotz Müdigkeit so lange Zeit genommen habt.
SM: Vielen Dank für Deine Unterstützung.
Jaqueline: Hat sehr viel Spaß gemacht - wir sehen uns.

Übersetzung: Andree Schneider
pics: Woody Woodstock (Mitte) und Manfred Stoffer (live-pics)
Quelle: The Aviator No. 6, November 1998