von Karl-Heinz Baier
Alice Cooper und Deep Purple
Konzertbericht: 07.02.2006 - Kiel, Ostseehalle
Das Konzert sollte um 19.30 Uhr beginnen. Aber schon um
18.45 fing, bei halb gefüllter Halle, die Vorband "Mad
Max" aus Münster auf kleinstem Raum an zu spielen
(dahinter war ja schon der Bühnenaufbau von Alice Cooper
und teilweise Deep Purple).
Die Band ist musikalisch eine etwas modernere Version von
"Europe", mit christlichen Texten und einem wilden,
blond- und langmähnigen Synthesizer-Spieler als
Animateur. Es gab zwei Gitarristen, wobei der
Leadgitarrist den gewöhnungsbedürftigen, hellen Gesang
übernahm. Die Band passte schon irgendwie zum Alice Cooper
+ Deep Purple Konzert dazu und erhielten auch verhaltenen
Applaus vom Publikum. Allerdings konnte sie kaum zum
Mitmachen animieren, weil keiner die Songs kannte. Der
Sound war allerdings recht schlecht. Sie spielten in 30
Minuten 6 Songs.
Auf jeden Fall haben sie es verdient, dass man sich
vielleicht einmal deren Homepage ansieht. Dort erfährt man
auch, bei welchen Konzerten sie Vorgruppe sind:
http://www.madmaxmusic.de. Allerdings
ist dort der Keyboarder nicht zu sehen, der wohl erst neu
zur Band gestoßen ist.
Mittlerweile füllte sich die Halle zusehends. Mir wurde
heute von der Hallenleitung mitge-teilt, dass das Konzert
mit 6.000 Leuten ausverkauft war.
Um 19.35 kam dann Alice Cooper + Band auf die Bühne. Ich
habe mir extra vorher seine neue CD "Dirty Diamonds"
und seine DVD "Brutally Live" gekauft.
Leute, freut Euch darauf. Hier wird Euch einiges
geboten. Anders als Deep Purple weiß man, dass bei Alice
Cooper, dem "Schockrocker", die Show im Vordergrund
steht. Es ist dort kein Platz für
Improvisationen. Trotzdem hat er eine gute Band, bestehend
aus:
Ryan Roxie - Guitar,
Damon Johnson - Guitar,
Chuck Garric – Bassguitar und
Eric Singer (!!!) – Drums (mit Schlagzeugsolo)
Die Show war unglaublich! Eine perfekt inszenierte
Horrorshow, mit Sarg, Frankenstein, Zwangsjacke und
Domina, bei der Alice sogar seinen Kopf durch eine
Guillotine verliert. Er hat dabei ständig seine Kostüme
gewechselt und seine Tochter (!) Calico Cooper ist als
Domina, Beverly-Hills-Göre, Geisteskranke und ähnliches zu
sehen. Sie ist unglaublich beweglich und akrobatisch. Ein
Gewinn für die Show.
Alice Cooper (58), der übrigens auch noch ein
"Beverly-Hills-Girl" imitierte, hat dabei eine
tolle, jugendlich-sportliche Ausstrahlung. Seine Stimme
ist extrem Facettenreich: mal sanft ("Only Woman
Bleed"), mal rockig, mal gruselig schräge. Einfach
brillant!
Es wurden Dollarnoten, Diamantenketten und
Riesenluftballons ins Publikum geworfen. Letztere wurden
dann mit Degen oder Gitarre zerstört.
Die Show ist perfekt und man kann durchaus von einem
Gruselmusical sprechen, dass uns geboten wurde.
Es wurde eine Mischung aus alten Hits und Songs der
starken neuen Rock-CD "Dirty Diamonds" geboten.
Wer die Show noch einmal erleben möchte, dem sei die DVD
"Brutally Live" empfohlen. Sie ist zwar 2000
aufgenommen worden, die Show ist aber sehr ähnlich!
Das Publikum war begeistert und so ließ es sich Alice
Cooper nicht nehmen, drei Songs als Zugabe zu
spielen. Insgesamt haben sie 70 Minuten gespielt. Der
Sound war leider nicht ganz so gut.
Folgende Songs gab es zu hören und zu sehen:
- Intro: Department Of Youth
- No More Mr Nice Guy
- Dirty Diamonds
- Billion Dollar Babies
- Be My Lover
- Woman Of Mass Distraction
- I'm Eighteen
- Go To Hell
- Black Widow Jam
- Feed My Frankenstein
- Welcome To My Nightmare
- "The Piece" (Medley: The Awakening / Steven / Only Women
Bleed / Steven / Ballad Of Dwight Fry / Killer)
- I Love The Dead (ohne AC)
- School's Out
Zugaben:
- Poison
- I Wish I Was Born In Beverly Hills
- Under My Wheels
Ich kann mir gut vorstellen, auch zu einem Alice Cooper
Konzert zu gehen, wenn Deep Purple nicht dabei sind!
Dann gab es ein halbe Stunde Umbaupause, Alice
Bühnenaufbau musste wieder eingemottet werden. Die Podeste
für Paicey und Don wurden nach vorn gerollt und ein
Teppich ausgerollt.
Der Großteil der Umbaupause ging dafür drauf, dass der
Teppich sorgfältig gestaubsaugt wurde. Wahrscheinlich weil
Ian Gillan barfuß aufgetreten ist.
Gedanklich musste ich jetzt umschalten von Musikshow zu
straightem Rock’n’Roll.
Das ging aber schnell.
Ich glaube, dass ich noch nie einen so ansprechenden
Bühnenaufbau bei Deep Purple gesehen habe. Die hell
gehaltene Bühne hatte im Hintergrund eine Leinwand mit dem
"Rapture" Motiv, das von gelben Theatervorhängen
eingerahmt wurde. Davor waren einige Lichtstäbe die je
nach Stimmung die Farbe wechseln konnten. Recht und links
standen noch zwei Lichtwände, die die Songs durch
Lichteffekte, aber auch durch Bilder (z. B. Marilyn
Monroe) unterstützen konnten. Paicey und Don waren auf
erhöhten Podesten platziert und davor bewegten sich
(v. l. n. r.) Roger, Ian G. und Steve.
Rechts und links oben vor der Bühne gab es riesige
Videoleinwände, die zum einen den lustigen und genialen
Start- und Schlussfilm einspielten (Überraschung!), zum
anderen über Kamera die einzelnen Musiker und einige
Effekte zeigten. Über dem Schlagzeug von Paicey waren dazu
zwei ferngesteuerte Kameras installiert. Bei Don Airey
sogar drei. Außerdem gab es direkt vor der Bühne noch
einen Kameramann, der vor allen Dingen Steve filmte. Roger
und Ian Gillan waren nur selten auf der Leinwand zu
sehen. Dafür konnte man Don genau auf die Finger schauen
und auch Ian konnte man grandios bei der Arbeit
beobachten. Eine ganz tolle Idee. Die Leinwände wurden bei
Alice Cooper noch nicht benutzt.
Auf die Kleidung möchte ich nur kurz eingehen. Roger trug
ein Kopftuch, Paicey hat seine Haare zum Pferdeschwanz
gebunden. Gillan trug zunächst ein schwarzes (!) Hemd , ab
"Perfect Strangers" seine bunte Weste und war
barfuß. Steve’s Haare waren etwas kürzer als gewohnt. Don
trug keine Mütze.
Hier die Setlist, die trotz Vorgruppe ungekürzt ist:
- Pictures Of Home
- Things I Never Said
- Wrong Man
- Ted The Mechanic
- Living Wreck
- Rapture Of The Deep
- Before Time Began
- Mary Long
- Contact Lost
- Steve’s Solo
- Well Dressed Guitar
- Lazy
- Don’s Solo
- Perfect Strangers
- Junkyard blues
- Kiss Tomorrow Goodbye
- Space Truckin'
- Highway Star
- Smoke On The Water (ohne Guitar-Parade)
Zugaben:
- Hush (mit Ian’s Drumsolo)
- Black Night
Ich habe Deep Purple noch nie so lange spielen sehen (120
Minuten). Der Sound war hier anders als bei Alice Cooper
perfekt, ja grandios! Besser geht es nicht. Übrigens gab
es außer "Contact Lost" keine Ballade.
Deep Purple haben sich stark gewandelt. Wir haben hier
keine stark improvisierende, experimentierfreudige
Rockband mehr, die durch den gegenseitigen Wettstreit
lebt. Statt originalgetreuer Wiedergabe der alten Hits
lebt die Band jetzt vor allen Dingen bei den neuen Songs
auf. Dabei sind sie viel perfekter geworden. Sie kommt
unwahrscheinlich druckvoll und stark groovend
’rüber. Nicht mehr die Improvisationen von Gitarre und
Orgel fallen als erstes positiv auf, sondern die
Perfektion von Paice und Glover!
Das wird einige enttäuscht haben, vor allen Dingen
diejenigen, die sich nicht ständig mit DP beschäftigen und
die "Rapture" vielleicht gar nicht kennen. So kam es
auch, dass innerhalb der ersten halben Stunde viele
Konzertbesucher die Halle kopfschüttelnd verlassen
haben. Diese gilt jedoch nicht für mich. Ich mag das neue
Bild der Band, auch wenn es mit den "alten Deep
Purple" nicht viel zu tun hat und sich auch seit
"Bananas" viel getan hat.
Ich denke es ist das beste, dass ich zunächst einmal die
einzelnen Musiker (ganz subjektiv) betrachte:
Ian Gillan, hat kaum Ansagen gemacht. Er war sehr schlank
und sah gesund aus. Er brauchte übrigens kein
Textblatt. Anders als bei einigen bekannten DVD’s schien
ihm alles mühelos zu gelingen. Er war phantastisch bei
Stimme. In "Living Wreck" hat er zeitweise so hell
gesungen, dass er ohne weiteres auch "Child In Time"
hätte bringen können.
Steve Morse hat sich wenig bewegt. Er spielte perfekt und
wirkte konzentriert und freundlich. Allerdings wird er
immer technischer und wiederholt sich mit seinen
ultraschnellen Tremolos. Das ist schade, denn eigentlich
könnte er mehr bringen. Seine Interpretationen von
"Perfect Strangers" und "Lazy" fand ich
grauenvoll. Bei "Pictures of Home" und "Living
Wreck" hingegen gefiel er mir gut! Auch die neuen
Lieder sind natürlich auf ihn zugeschnitten. Sie stehen
ihm besser als die Mark II Songs. Das gefühlvolle
Gitarrenspiel, dass man von Ritchie Blackmore gewohnt ist,
fehlt völlig. So hat Steve bei den Mark II Songs jede
kleine, wichtige Lücke in den Songs mit irgendwelchen
blitzartigen Tönen gefüllt. Darunter leiden die Songs
zunehmend.
Don Airey hat sich in den paar Jahren stark gewandelt. Hat
er anfänglich noch versucht, Jon Lord zu kopieren, um den
Sound von DP nicht zu zerstören, traut er sich jetzt,
seinen völlig eigenen Stil einzubringen. Er spielt
technischer und jazziger als Jon. Auch spielt er die
Hammond bei weitem nicht so grollend und würdevoll wie
Jon. Immer mehr zeigt er deutlich seine Einflüsse aus den
jazzrockigen "Collosseum II" Tagen. Er benutzt zwar
auch überwiegend die Hammond, spielte diese aber
überwiegend verzerrt und wenn ich es richtig gesehen habe,
ganz ohne die magischen, soundfüllenden
Lesleys. Einerseits habe ich Don dafür bewundert, dass er
es bisher schaffte, dem Stil von Jon Lord wenigstens
teilweise nahe zu kommen. Andererseits finde ich es gut,
dass er seinen eigenen Stil zeigt und er liegt dabei bei
weitem nicht so weit von dem typischen Deep Purple Sound
entfernt, wie Steve Morse. Auf jeden Fall wird deutlich,
dass er ein Meister seines Faches ist. Sein
Synthesizer-Solo erhielt dann auch gebührenden
Applaus. Vor allen Dingen der am Piano gebotene Boogie kam
gut an. Jedoch hat er nach dem Applaus das Solo noch
einmal verlängert. Das hätte er sich sparen sollen. Sowohl
vor der Zugabe, als auch zum Schluss hat Don die Bühne
fluchtartig verlassen, das passte zu meinem Eindruck, dass
er an diesem Tag nicht besonders in Stimmung gewesen
ist. Das kenne ich von einigen Video-Aufnahmen anders. Ich
kann mir jedoch (außer Jon) keinen besseren Keyboarder für
DP vorstellen.
Roger Glover lebt hingegen, genau wie Paicey davon auf,
dass sie sich nun nicht mehr nach Ritchie und Jon richten
müssen. Vor allen Dingen Roger hat sich frei gespielt. In
fast jedem Song ist ein hervorragender, technisch
verblüffender Basslauf. "Junkyard Blues" und
"Space Truckin’" haben ein hervorragendes
Bassintro. Das Basssolo in "Pictures Of Home" ist
jetzt wesentlich gewagter und als Intro zu "Highway
Star" spielt er mit Steve sogar ein grandioses
Duett. So etwas hätte es vor einigen Jahren mit Sicherheit
nicht gegeben. Auch hat sich Roger im Gegensatz zu Gillan
und Steve sehr viel auf der Bühne bewegt und war deutlich
bei bester Stimmung. Roger hat noch lange den Applaus des
Publikums genossen und als Letztes die Bühne verlassen.
Ian Paice hat mich sprachlos gemacht. Ist auf "Rapture
Of The Deep" das Schlagzeug zum Teil grauenvoll
produziert, war es in Kiel einfach nur gigantisch. Über
die Leinwände konnte man genau verfolgen wie er
spielt. Einfach genial. Ich bin mir sicher, dass er auch
wesentlich technischer spielt, als noch vor ein paar
Jahren. Besonders ist es mir bei "Rapture",
"Before Time Began", "Junkyard Blues und Space
Truckin’" aufgefallen. In "Hush" hatte er dann
auch ein brillantes Solo: Dieses Solo brach auf einmal ab
und er tat so als könne er nicht mehr. Dann mimte er den
Gelangweilten, grinste plötzlich in die Kamera und zeigte
dem staunenden Publikum seine
"One-Hand-Roll". Einfach verblüffend. Nebenbei sei
erwähnt, dass er seine (einzelne) Bassdrum schneller
spielt, als Eric Singer von Alice Cooper die
Doublebassdrum. Mit dem Unterschied allerdings, dass Ian
dabei mit dem anderen Fuß auch noch das Hi-Hat bedienen
kann.
Paice und Glover waren für mich die Helden des Abends!
Die Stücke des neuen Albums haben mir gut gefallen. Ganz
besonders "Things I Never Said", das fast haargenau
wie die Studioversion gespielt wurde. Dieser Song hätte
einige Improvisationen verdient. "Rapture",
"Junkyard Blues" und "Kiss Tomorrow Goodbye"
lebten durch druckvolle, technisch perfekte Rhythmusarbeit
auf. "Before Time Began" hingegen ist aus meiner
Sicht ein hervorragendes episches Werk, aber als Live-Song
gänzlich ungeeignet. Das merkte man der Stimmung im
Publikum auch deutlich an. Dieser Song sollte schnellstens
durch eine anderen, vielleicht "Knocking At Your
Backdoor", "Silver Tongue" oder "I’ve Got You
Number" ersetzt werden. Überhaupt hat "Bananas"
wesentlich bühnentauglichere Songs enthalten. Der Soloteil
in der Mitte sollte auch gekürzt werden, wobei "Well
Dressed Guitar" sehr gut angenommen wurde. Aber es war
– vor allen Dingen für die nicht eingefleischten Fans
– ein ermüdender Konzertteil. Statt der langen Soli von
Steve und Don würde ich mir mehr Improvisationen innerhalb
eines Songs wünschen.
Bei den alten Songs hat mich vor allen Dingen "Living
Wreck" und "Space Truckin’" positiv
überrascht. Auch "Mary Long" ist eine gelungene
Abwechslung.
Aber ab "Space Truckin’" kam dann auch richtig
Stimmung im Publikum auf. Das Intro zu "Highway
Star" von Roger und Steve, sowie das Drumsolo von Ian
waren phantastisch.
Gut war auch, dass "Smoke" ohne die langjährige
"Guitar Parade" gebracht wurde und das Publikum
wieder einen kurzen Sing-Along Teil bekam.
Don hat in "Hush" ein nettes Solo gebracht und in
"Black Night" haben alle noch einmal bewiesen, wozu
die Band fähig ist.
Der Konzertabend ist sehr gelungen und wird mir lange in
Erinnerung bleiben.
Wie ich schon einleitend erwähnt habe, hat sich Deep
Purple seit "Bananas" stark gewandelt. Hatte man auf
der "Bananas" Tour noch das Gefühl, dass Deep Purple
zurück zu den Wurzeln wollten, belehren sie uns hier eines
Besseren. Es ist eine andere Band geworden, eine Band die
vielleicht noch druckvoller spielt, aber gleichzeitig
beweisen möchte, dass es technisch keine andere Rockband
mit Ihnen aufnehmen kann. Und sie hatten deutlich Spaß
dabei. Sie haben eindrucksvoll bewiesen, dass sie noch
lange nicht zum "alten Eisen" gehören. Vielen im
Publikum wird es nicht gefallen haben, das habe ich auch
durch einige Gespräche, die ich geführt habe,
mitbekommen. Ich aber war begeistert und ich überlege
jetzt schon, ob ich im Sommer zum Midfyn-Festival nach
Dänemark fahre.
Die Welttournee wird zwei Jahre dauern. Sollte es noch
eine Tour und ein Album geben, bin ich sicher, dass Deep
Purple uns wieder mit etwas völlig neuen überraschen
werden. DAS macht Deep Purple so einzigartig.
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