von Karl-Heinz Baier
"And The Address"? - Jon Lord Hamburg 12.02.2005
November-Wetter im Februar. Es ist Orkan angekündigt
und er tobte dann auch mit bis zu 140 km/h in Hamburg. An
einen netten Spaziergang um die Halle war nicht zu denken,
so ließ ich mich mit meiner Frau schon sehr
früh im Eingangsbereich der Halle nieder und lauschte
den Sturmgeräuschen, die den Soundcheck durch die
geschlossenen Türen übertönten.
Die fast ausverkaufte Laeiszhalle (Musikhalle) in Hamburg
ist eine ehrwürdige stuckgeschmückte Halle mit
zwei Rundum-Balkonen (Rängen), einer riesigen
Saalorgel (Kirchenorgel) und richtig alten plüschigen
Klappsitzen (sehr bequem). Der Nachteil ist allerdings,
dass die Bühne sehr hoch ist und die Sitzreihen kaum
ansteigen. Ich saß in der zweiten Reihe - direkt vor
dem Meister, konnte allerdings die Leute hinter dem
Flügel (z. B. den Schlagzeuger) nicht sehen. Dieses
Manko wurde aber durch die tolle Atmosphäre und den
guten Sound wettgemacht. Lediglich wenn die Band im
Mittelpunkt stand waren die Geiger und die Flöte
etwas leise. Am wichtigsten war für mich
natürlich Jon. Ihm konnte ich am Flügel und an
der Hammond direkt auf die Finger schauen. An der Hammond
stand er mit dem Rücken zum Publikum.
Zu den Ansagen kam er an den Bühnenrand und spazierte
dabei meist von links nach rechts. Viel Platz war ja auch
auf der Bühne nicht mehr.
Die Halle war fast ausverkauft, obwohl am gleichen Tag
auch Crosby & Nash im Hamburger CCH spielten und Ron Dyke
(Ashton, Gardner & Dyke) mit vielen illustren Gästen
seinen 60sten Geburtstag in Hamburg zelebrierte.
Folgende Besetzung wurde geboten:
Jon Lord - Piano, Flügel
Mario Argandona - Percussion, Hintergrundgesang
Paul Shigihara - Gitarren
Matthias Krauss - Keyboards
Bert Smaak - Drums
Urs Fuchs - Bass
Susanne Heitmann - Flöte, Klarinette
Sabine van Braaren - Gesang, Hintergrundgesang, Percussion
Miller Anderson - Gesang, Hintergrundgesang, Akustische
Gitarre, Mundharmonika
sowie
das kleine Stuttgarter Streichorchester "German Pop
Soloists" bestehend aus 9 jungen Damen und einem
Cellisten.
Folgende Songs wurden gespielt (ich hoffe die Reihenfolge
stimmt):
Sunrise / Pictured Within (Vocals: Miller Anderson)
Sarabande
One From The Meadow (Vocals: Sabine van Braaren)
De Profundis
Pavane
Gigue
Pause
A Smile When I Shook His Hands / Here Comes The Sun
Cologne Again
I'll Send You A Postcard
Unsquare Dance
November Calls (Vocals: Miller Anderson)
The Telemann Experiment
Zugaben:
Fog On The Highway (Vocals: Miller Anderson & Sabine van
Braaren)
Bourée
Guten Abend, Gut' Nacht (nur Jon am Piano)
Jon war sehr gut drauf. Wesentlich lockerer als auf der
DVD. Am Flügel wiegte er sich teilweise im Takt. An
der Hammond kam er richtig in Fahrt und hat einige
wirklich tolle Solos hingelegt. Seine Noten hat er immer
von einem Instrument zum anderen gebracht! Seine Ansagen
waren äußerst witzig und sympathisch. Es waren
ganz andere Ansagen als in Köln (DVD) und Jon war
wesentlich weniger nervös.
Unter anderem hat er erzählt, dass er auf einem Ohr
kaum noch etwas hören kann. Daran sei Glenn Hughes
Schuld. Er hat ja als junger Mann mit Glenn Hughes
zusammen gespielt und dieser hat den Funk-Bass einfach zu
funkig "geslapped". (Seine Schwerhörigkeit liegt
also nicht am Hardrock, sondern am Funk?).
Irgendwann hat er gefragt, ob "Jan Fedder", der Hamburger
Schauspieler, anwesend sei. Nach dem von hinten ein
kräftiges Hamburger "Joo" zu hören war, bemerkte
Jon, dass er "The Telemann Experiment" extra für ihn
als nachträgliches Geburtstagsgeschenk spielt.
Ehrlich gesagt, habe ich nach einem Zeitungsartikel in der
Hamburger Morgenpost auf "April" gehofft, da dieser Song
an dem Abend sicherlich richtig gut , 'rübergekommen
wäre. Millers Stimme hätte dazu super gepasst.
Weiterhin spielte Jon öfters auf sein Alter an: So
hat er "Sarabande" 1975 eingespielt, als er 5 Jahre alt
war. Ausführlich hat er vor "De Profundis" über
die Emotionen beim Weggang von Deep Purple berichtet. Er
meint, dass DP wohl so lange spielen werden,
solange sie gehen können: Dann hat er einen alten
Mann mit Krückstock gespielt, schlurfte über die
Bühne und krächzte "Smoke On the Water" -
Göttlich! Schließlich meinte er aber
verschmitzt, dass dieses keine Comedy-Show sei, sondern
ein Music Event!
Miller hat darauf hingewiesen, dass Bert Smaak just am
Konzerttag Geburtstag hatte und Jon spielte "Happy
Birthday" auf dem Klavier. Darauf gab es dann noch ein
dreifaches "Hipp Hipp Hooray" für Smaak.
Alle Scherze kann ich hier leider nicht wiedergeben...
Miller Anderson hat mir sehr gut gefallen. Ich habe ihn ja
schon oft mit Pete York und Colin Hodgkinson
etc. gesehen. Auch schon mit Jon Lord und Tony Ashton beim
Rock And Blues Circus vor Jahren. Eigentlich ein
begnadeter Bluesgitarrist, aber auch ein toller
Sänger. Beim Einstimmen von "Pictured Within"
läuft mir immer ein Schauer den Rücken herunter,
so auch dieses Mal. "Fog On The Highway" ist ein Solo-Song
von seiner empfehlenswerten CD "Celtic Moon". Die Geigen
spielten hier nicht mit, aber jeder (auch Jon an der
Hammond) hatte sein Solo. Sabine durfte eine Strophe
singen, was Ihr viel besser stand als "One For The
Meadow". Miller spielte hier akustische Gitarre und
Mundharmonika, das Gitarrensolo überließ er
Paul.
Sabine van Braren sang bei "Fog On The Highway"
super. "One For The Meadow" sang sie allerdings etwas
schwächer als Sam Brown, vor allen Dingen in den
Höhen. Wobei es auch nicht unbedingt der richtige
Song für Sam ist - beiden stehen härtere Songs
wesentlich besser.
Paul Shigihara spielte noch viel besser als in Köln,
die Nervosität und Vorsichtigkeit ist der
Improvisation gewichen. Wirklich super.
Mario und Bert haben einfach nur geglänzt. Bert ist
ein würdiger Ersatz für Pete York mit einem sehr
eigenen, treibenden Stil.
Das kleine Streichorchester, bestehend aus neun jungen
Frauen und einem Cellisten, hat toll gespielt. Die
Spielfreude war den Musikerinnen anzusehen. Es wurde viel
gelächelt. Bei Bourée spielten sie teilweise im
Stehen. Nur der Cellist hat optisch sehr gelangweilt
ausgesehen - es war anscheinend nicht seine Musik. Vor
allen Dingen die erste Geigerin und die Cellistin
(Konzertmeisterin?) brillierten und haben um die Wette
gelacht! Obwohl das Orchester nur halb so groß war
wie in Köln, wirkte die Musik keineswegs leer. Im
Gegenteil die "Sarabande" Stücke waren viel
härter und treibender gespielt als auf der DVD -
einfach bombastisch, teilweise sogar furios!
Zu einigen Songs:
"De Profundis" war schon wegen dem Intro
interessant. Denn er hat den Anfang von "And The Address"
(Wirklich!!!!) auf der Hammond gespielt! Genau wie auf
der "Shades" - irre! Und absolut passend!
"Unsquare Dance" von Dave Brubeck, das man ja schon von
der Köln DVD kennt, überzeugte im 7/4-Takt
durch gelungene Soloeinlagen.
"Pavane" (der "Sarabande" Song, nicht der "Before I
Forget" bonus track) bot starke Improvisationen von Jon
an der Hammond und Paul Shigihara, während in
"Gigue" Bert Smaak und Mario Argandona ihre Soloparts
hatten.
"A Smile When I Shook His Hand" wurde nicht nur George
Harrison, sondern auch dem kürzlich verstorbenen
"Traffic-Drummer" Jim Capaldi gewidmet. Beides waren
enge Freunde von Jon. Jon erzählte, wie er George
Harrison bei den Aufnahmesessions zu "First Of The Big
Bands" kennengelernt hat. Am Ende des Songs wurde wie
auch auf der DVD "Here Comes The Sun" gespielt.
"Cologne Again" hätte nach Jons Aussagen auch gerne
"Hamburg Again" heißen können, weil er hier so
gern spielt. In der Musikhalle hätte er wohl schon
in der Anfangszeit von Deep Purple gespielt und erinnert
sich gut daran?!?
Bei den Ansagen zu "I'll Send You A Postcard" erinnerte
er an seinen Freund Tony Ashton und imitierte ihn auch
teilweise. Hier hat er einiges vom Stapel gelassen, das
ich aber nicht ganz verstanden habe -aber es ging um Bier
und Kölsch.
"The Telemann Experiment" war hier ohne
Schlüsselharfe gespielt. Deren Part übernahmen
Paul Shigihara und die Flötistin - daher eine
völlig andere Version - jetzt hätte der Song
eigentlich auf die "Sarabande" gepasst! Mir hat es
gefallen!
"Bourée" war ähnlich gespielt wie in Köln,
etwas kürzer als auf der LP - ohne Gitarren- und
Keyboardsolo, dafür mit
Hochgeschwindigkeits-Schluss, bei dem die Geigerinnen im
Stehen spielten. Das Original gefällt mir zwar
besser, aber auch diese Version hat seine Reize. Sie ist
eben völlig anders. Jon rätselt übrigens
heute noch, warum es in Siebzigern und Achziger Jahren
des letzten Jahrhunderts "der" Party-Dance-Song gewesen
ist, er ist aber auch sehr stolz darauf.
Ganz zum Schluss kam Jon noch einmal auf die Bühne
und stimmte am Flügel "Guten Abend, gut' Nacht"
an. Ein schöner Ausklang für einen gelungenen
Abend.
Das Konzert war rundum gelungen - ein tolles
Erlebnis. Etwas hat mir Sam Brown gefehlt, obwohl Sabine
wirklich gut gesungen hat. Frida hingegen fehlte mir
nicht. Auch empfinde ich "The Sun Will Shine Again" als
einen schwächeren Song.
Das Konzert war insgesamt härter und bombastischer
als auf der DVD. Etwas schade fand ich, dass nach der
Pause gleich mehrere ruhige Stücke kamen, da
hätte ich mir doch ein flottes Stück dazwischen
gewünscht.
Einige Wünsche hätte ich jedoch für
spätere Konzerte: "April", "Anthem", "Caprice", "Say
It's Allright" von Sam gesungen und "Where Are You" von
Miller! Überhaupt fehlte mir etwas von der "Before I
Forget". Wie sagte Jon doch in St. Wendel? Das
unbekannteste Album aller Zeiten - zu unrecht!
Karl-Heinz Baier
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