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Deep Purple: Perfect Strangers Live
(2CD, DVD)

von Hans-Jürgen Küsel

Trackliste:

1. Highway Star
2. Nobody's home
3. Strange Kind of Woman
4. A Gipsy's Kiss
5. Perfect Strangers
6. Under the Gun
7. Knocking at your Back door
8. Lazy
9. Child in Time
10. Difficult to cure
11. Keyboard Solo
12. Space Truckin'
13. Black Night
14. Speed King
15. Smoke on the Water

Vorbemerkung

Böse Zungen behaupten, ich hätte Probleme mit Ritchie Blackmore und sie behaupten es so laut, dass diese Gerüchte schon in der deutschen Botschaft auf den Molukken vernommen wurden. Dieses Problem muss von zwei Seiten aus betrachtet werden, von der menschlichen und der musikalischen. Was die menschliche Seite angeht, gebe ich ja zu, dass ich mich über ein Treffen mit Roger Glover in meiner Stammkneipe mehr freuen würde als über ein Treffen mit Ritchie Blackmore. Aber natürlich verfüge ich diesbezüglich auch nur über Second-Hand-Informationen (Bücher, Booklets, DVD-Videos), gipfelnd in Ian Gillans Feststellung, dass er sich eher die Kehle durchschneiden würde, als noch einmal mit diesen Bastards zusammenzuarbeiten, wobei der überaus liebenswerte Begriff des 'Bastards' besonders auf Ritchie Blackmore gemünzt war.

Was nun die musikalische Seite anbetrifft, so habe ich den härtesten Selbstversuch unternommen, den man sich überhaupt vorstellen kann: eben dieses Review. Wenn ich mich nämlich zu einer Rezension entschließe, dann höre ich das betreffende Album gründlicher als sonst und versuche auch, unterschiedliche Nuancen zu erfassen. Ein solches Vorgehen kann bei schwächeren Bands ernüchternd sein, weil der erste ganz gute emotionale Eindruck dann von der Erkenntnis verdrängt wird, dass doch nicht viel dahintersteckt. Bei Deep Purple ist das aber immer von Vorteil, weil ihre Musik ein so hohes Niveau hat und voller Nuancen steckt, die geradezu darauf warten, von uns entdeckt zu werden. Anschließend kann ich das Album mit umso größerem Genuss hören. Ich erwische mich jedenfalls dabei, dass mir diese Rezensionen zunehmend Spaß machen. Vielleicht sollten andere Fans das auch mal versuchen. Amateure sind wir alle und ganz können wir die Lücke, die uns Truppi nach seinem verständlichen Rückzug hinterließ, nicht schließen, aber ein wenig schon - wenigstens so lange, wie Lars kein SOS funkt, weil er vor lauter Reviews regelrecht erstickt. Wie aber nun mein knochenhartes Urteil (Motto: hart, aber unfair) über das Werk im Allgemeinen und über Ritchie Blackmores Leistung im Besonderen ausfällt, könnt ihr nach dieser Vorbemerkung lesen.

Beurteilung allgemein

Die Verpackung ist sehr praktisch. Die Hülle suggeriert einen einzigen Silberling (passt also in ein entsprechendes Regal), in Wirklichkeit sind aber drei Silberlinge drin: zwei CDs und eine DVD, die dieselbe Setlist enthält wie die beiden CDs. Zusätzlich enthält die DVD noch einen Bonusteil, der recht humorvoll über einige Stationen der "Perfect-Strangers-Tour" berichtet. Die in der Überschrift genannte Jahreszahl (2013) bezieht sich natürlich auf das Erscheinungsjahr. Das Konzert selbst ist 29 Jahre älter (Ende 1984 in Australien). Mein Review bezieht sich auf die DVD. Die technische Qualität ist, soweit ich das beurteilen kann, einwandfrei. Zu loben ist die Kameraführung. 1972 brauchte der Kameramann in Kopenhagen noch etwa eine halbe Stunde, um zu realisieren, dass Ritchie Blackmore kein Roadie war, der einfach nur auf der Bühne herumstand, sondern ein richtiger Bandmusiker. 1984 ging das in Australien viel schneller.

Das Konzert selbst war meines Erachtens großartig. Die Setlist war stimmig, abgesehen davon, dass ich statt "Nobody's home" gerne "Wasted Sunsets" gehört hätte (man wird doch wohl mal nach den Sternen greifen dürfen). Man kann die Spiellaune der fünf Musiker förmlich mit den Händen greifen (was, wie wir wissen, bei Mark 2 nicht unbedingt selbstverständlich war).

Besonders möchte ich zunächst Ian Paice hervorheben. Ich verstehe nun besser, warum an einer Stelle im DP Buch von Roth/Sailer steht, dass es zuweilen eine Gnade ist, diesen Drummer spielen zu sehen und zu hören. Paicey ist hier noch stärker als sonst die treibende Kraft (wunderbar unterstützt von Roger Glover, der zwar nie Leadbass spielt, aber unglaublich viel Fülle mit hineinbringt). Nebenbei bemerkt spielt Paicey hier nach meinem Dafürhalten sein bestes Schlagzeugsolo überhaupt.

Auch Jon Lord sprühte geradezu vor Spiellaune. Ob in der Rhythmus-Gruppe, als Leadplayer oder als Solist: Das Repertoire dieses Ausnahmekeyboarders war schlicht grenzenlos.

Ian Gillan präsentierte sich in zweitbester Form, wobei mir der zweitbeste Gillan aufgrund seines außerordentlichen Vibratos immer noch besser gefällt als der beste Robert Plant (nämlich Robert Plant selbst), ganz abgesehen von David Coverdale, der viel zu lange den Ehrgeiz hatte, der zweitbeste Robert Plant zu sein, anstatt der beste David Coverdale, wie es sich geziemt hätte. Ian hatte offenbar ab und an Probleme mit seinen Atemwegen und seine einzigartige Kopfstimme schaffte bei diesem Konzert den allerhöchsten Ton von "Child in Time" nicht. Meiner Meinung nach wurde dieser allerhöchste Ton ohnehin von vielen Fans für zu wichtig gehalten. Vergessen wir nicht, dass Ian zwar im Laufe der Zeit seinen Koloratursopran eingebüßt hat, seine tiefen Tonlagen aber eher gewonnen haben (man höre sich nur mal "Loving on borrowed Time" (Gillan's Inn) an. Mit 68 noch eine extrem ausdruckstarke 3-4-Oktaven-Stimme - Chapeau!

Und Ritchie Blackmore? Es ist Freude pur, ihm bei diesem Konzert zuzusehen, mehr noch, ihm zuzuhören. Und wirklich: An einigen Stellen lacht er - und das in aller Öffentlichkeit, er, Ritchie, der gern schwarze Kleidung trug und demgemäß auch gern einen grimmen Gesichtsausdruck zur Schau stellte. Aber hier übermannt ihn die Spielfreude. Welche Eigendynamik Musik doch hat! Sie kann einem Menschen wie Ritchie Blackmore das selbstgesteckte mimische Image zerstören (obwohl die Musik entscheidend auch von ihm selbst stammt). Damit ich mich bei der Kritik der einzelnen Songs nicht ständig wiederholen muss, schreibe ich es an dieser Stelle: Alle Blackmore-Soli sind wegen ihrer Klasse zu kurz! Natürlich war Ritchie auch immer ein Showman, der, teils durch Pete Townshend, teils durch Jimi Hendrix, teils durch sich selbst inspiriert, stets mit publikumswirksamen Einlagen auf sich aufmerksam machte. Steve Morse macht so etwas nicht, aber sollte man ihm das zum Vorwurf machen? Meiner Meinung nach nicht!

Zur Songkritik im Einzelnen

1. Nach 8 Jahren DP-Abstinenz und sogar 11 Jahren Mark-2-Abwesenheit ist "Highway Star" ein völlig angemessener Opener. Die Präsentation ist gesanglich und instrumental kraftvoll, wie bei diesem Song nicht anders zu erwarten. Und allen, die das bei Steve Morse so oft benörgeln, sei gesagt: Auch Ritchie Blackmore schreddert (und hier nicht zum einzigen Mal). Und ich frage mich: Warum sollen Ausnahmegitarristen nicht ab und an mal ihre Fingerfertigkeit auf diese Weise demonstrieren?

2. "Nobody's home" ist eher ein Durchschnittsrocker, solide gespielt, aber meines Erachtens der einzige Song im Set, der nicht unbedingt sein musste.

3. Gut platziert im Set befindet sich "Strange Kind of Woman", damit auch jene Fans, die DP vorher nur von Singles her kannten, bemerken, dass es sie wieder gibt. Zudem wird der Song sehr originell gespielt. Nach einem feinen Gitarren-Solo treten Blackmore und Gillan in einen sehr witzigen Dialog ein, der darin gipfelt, dass Ritchie "Jesus Christ Superstar" anspielt und Ian gesanglich darauf einsteigt. Beide lachen dabei. Beim ersten Anschauen dachte ich sofort an Goethes "Verweile doch, du bist so schön", verbunden mit der Frage, was gewesen wäre, hätten die beiden sich immer so gut verstanden. Aber nun habe ich mich doch dazu entschlossen, ein Review über Musik im Indikativ zu schreiben. Über Musik im Konjunktiv wäre das Unterfangen auch verdammt schwierig.

4. "A Gypsy's Kiss" wird durch ein feines Blues-Intro eingeleitet. Es folgt ein Song im wahrhaft entfesselten DP-Tempo. Auch Ian Gillan singt hier außerordentlich stark. Jon Lord und Ritchie Blackmore präsentieren hier einen Barockmusikdialog, der so hinreißend ist, dass selbst J. S. Bach dazu getanzt hätte, wenn er es denn erlebt hätte. Darf ruhig öfter ins Set.

5. Ein feines, kleines Orgel-Solo von Jon Lord leitet "Perfect Strangers" ein. Dass das ein großartiger Song ist, müsste ich eigentlich gar nicht erwähnen. Aber der Song scheint auch recht kompliziert zu sein. Mich überkommt das Gefühl, dass DP ihn bei der Live-Premiere eher etwas ängstlich und dicht an der Albumfassung orientiert präsentieren. Bei späteren DP-Auftritten (mit unterschiedlichen Line-Ups) wird der Song dann doch mit mehr Improvisierfreude dargebracht. Zudem muss Ian Gillan zum Ende des Songs hin mit Heiserkeit kämpfen. Fein, aber genügt nicht dem hohen DP-Anspruch, live immer noch mal eine Schippe draufzupacken.

6. Es folgt der Antikriegssong "Under the Gun", für mich ein Höhepunkt des Konzerts. Auch der Songtext ist ausgezeichnet. Wenn politische Texte aus dem Hause Gillan & Glover stammen, befinden sie sich stets auf der richtigen Seite der politischen Barrikade. Hier singt Ian Gillan wieder äußerst kraftvoll und ausdruckstark. Paicey trommelt sich regelrecht die Lunge aus dem Leib und Ritchie Blackmore packt ein wahrhaft hinreißendes Gitarrensolo drauf, in das er auch noch sehr geschickt "Rule Britannia" einwebt. Roger Glover spielt einen derart treibenden Bass, dass sich die Frage, wer das außer ihm noch kann, von selbst beantwortet: niemand! Ach, es wäre so schön, wenn DP diesen Song mal wieder ins Set nehmen würden, schon deshalb, weil ich gespannt wie ein Flitzebogen bin, wie denn Steve Morse das Gitarrensolo spielt.

7. Für "Knocking at your Backdoor" gilt dasselbe wie für "Perfect Strangers". Auch dieser Klassesong wird sehr nah an der Studiofassung gespielt. Es gibt nicht wenige Live-Versionen, die mir besser gefallen.

8. Rasch die Schnellfinger angeschraubt und dann das Intro für "Lazy" spielen. Ritchie Blackmore spielt es in der Art von Alvin Lee, wie überhaupt diese Version bis zu einem gewissen Punkt an "I'm going home" von "Ten Years After" erinnert. Der 'gewisse Punkt' ist dann aber erreicht, wenn Paicey zu seinem Drum-Solo ansetzt. Wer zu sehr an die Heiligtümer (nicht des Todes, sondern der Live-Alben) glaubt ("Live at Leeds" (Who), "Colosseum live" und "Made in Japan"), wird jetzt ein wenig schlucken. Denn ich finde dieses Drum-Solo deutlich besser als die zu langatmigen "The Mule"-Soli in den 70ern. Hier wackelt nicht nur das gesamte Drum-Kit, hier wackeln die Wände der Konzerthalle. So muss es sein. Ich zähle mich eigentlich nicht zu den Fans von Drum-Soli, aber dieses hier ist wirklich klasse.

9. "Child in Time" ist immer ein Höhepunkt, so auch auf diesem Konzert. Mir ist es ehrlich gesagt scheißegal, ob Ian Gillan den allerhöchsten Ton schafft oder nicht. Seine Gesangsdarbietung ist auch hier einmalig und großartig. Und Ritchie Blackmore spielt im Instrumentalteil wieder mit verdammt schnellen Fingern, und er spielt so wie - Ritchie Blackmore. Keiner kann den Gitarrenteil von "Child in Time" so wunderbar und einmalig spielen wie er. Paicey trommelt hier wieder, als ob es um sein Leben ginge und Jon Lord webt mit seinem überragenden Musikverständnis den Rahmen, ohne den dieses Rockkunstwerk deutlich fader klänge.

10. Das Blackmore-Special "Difficult to cure" beginnt mit einem fast zum Weinen schönen Gitarrensolo, in dem der Gitarrist Elemente aus dem Barock und des spanischen Flamencos miteinander verwebt . Anschließend setzen auch die anderen Instrumentalisten ein, und los geht es mit Schillers "Ode an die Freude" aus Beethovens Neunter. Beide, da bin ich mir ganz sicher, hätten an dieser Darbietung ihre helle Freude gehabt.

11. Flüssig geht es über ins Jon Lord-Solo. Ein sehr gekonnter Ritt in die Musikgeschichte, angereichert durch psychedelische Töne. Los geht es mit Barock, Wiener Klassik und Romantik, gefolgt von Gershwin/Bernstein und amerikanischer Weihnachtsmusik und am Ende steht dann der vom Keyboarder so geliebte Südstaaten-Blues. Bemerkenswert sind zudem Jons überaus sportliche Turnübungen an der Hammond und die geduldige Stabilität des Instruments, das das ohne Wimpernzucken mit sich machen lässt.

12. Noch einmal muss ich jenen wehtun, die "Made in Japan" über alles andere stellen. Aber für mich ist die nun folgende Version von "Space Truckin'" der Japan-Version überlegen. Sie ist etwas kürzer, hat aber instrumental mindestens genauso viel zu bieten und hat keinerlei überflüssige Längen. Schon das Intro ist höchst originell: eine sonst eher selten anzutreffende Swing-Barock Version von Bachs "Jesus bleibet meine Freude", großartig von Jon und Paicey zu Gehör gebracht (man vergleiche mit Steve Morses Gitarren-Version von 1992 oder mit einer Version von Sharon Isbin). Danach geht es druckvoll und mit schöner Gillan-Stimme weiter. Der extrem variantenreiche Instrumentalteil beginnt mit "Sabre Dance" (ein "Love Sculpture"-Hit aus den späten 60ern). Anschließend traktiert Jon Lord das wunderbare "Rondo" von "The Nice". Es folgt eine große Ritchie Blackmore-Show unter dem Motto: "Tote leben länger" und so überkommt einen rasch das Gefühl, Jimi Hendrix höchstpersönlich agiere auf der Bühne. Manches erinnert deutlich an die Hendrix-Version von "Stars Spangled Banner", die einzig legitime Variante der amerikanischen Nationalhymne. Auch hier schreddert Ritchie ab und an. Verschwiegen werden darf auf gar keinen Fall das fulminante Spiel der Rhythmus-Abteilung. Kurzum: die beste "Space Truckin'"-Version, die ich kenne und ein Höhepunkt des Konzerts.

13. "Black Night" wird gewohnt druckvoll und mit guter Instrumentierung gebracht.

14. Es folgt eine besonnene eher traurige und sehr ruhige Ballade (so Ian Gillans mit großer Ernsthaftigkeit vorgetragene Ankündigung), also "Speed King". DP spielen den Song gewohnt druckvoll und schnell. Das Duell Blackmore-Lord ist originell und angereichert mit Elementen volkstümlicher Musik. Bringt noch einmal Stimmung in den Laden.

15. Was fehlt denn noch? Ach ja, natürlich "Son of Alerik". Leider wird dieses wunderschöne Stück nur angedeutet (hätte gern deutlich mehr sein dürfen) und geht dann über ins (finale) "Smoke on the Water". Erwähnt werden muss das Klasse-Solo von Ritchie Blackmore und die überdurchschnittlich lange Dauer der Publikumsmitwirkung bei diesem Song.

Zum Bonusteil kann man noch Folgendes sagen: Wir haben es lange geahnt, ja, sogar befürchtet, aber nun ist es traurige Gewissheit: "Deep Purple" sind eine Country & Western-Band. Die tiefe Ernsthaftigkeit, mit der Roger Glover dies verkündet, lässt daran keinerlei Zweifel. Und so bierernst wie Roger treten in diesem Berichtsteil auch die anderen DP-Mitglieder auf. Wer trotzdem lacht, wird dazu verurteilt, lebenslang einen Cowboy-Hut zu tragen und dazu pfeifend und singend das Lied von der jenseitigen Verbrüderung von Wyatt Earp, Jack the Ripper und Fritz Haarmann unter dem Patronat des ehrenwerten Grafen Dracula zu intonieren. Es werden auch kurze Berichte über einige DP-Auftritte im Rahmen der "Perfect Strangers"-Tour gebracht, unter anderem über das 'Schlamm-Festival' in Knebworth. Alles in allem recht unterhaltsam.

Hans-Jürgen Küsel