|
von Andree Schneider
Roger Glover hat mal zu mir gesagt, dass nur ein Bandmitglied
in der Lage sei, die Geschichte von Deep Purple zu erzählen.
Eines Tages werde er vielleicht einmal niederschreiben, wie
sich die Geschichte von Deep Purple wirklich zugetragen habe.
Spätestens jetzt, nachdem ich das 528 Seiten starke Werk
der Autoren Roth und Sailer gelesen habe, kann ich Roger vollauf
verstehen. Dass Quantität nicht gleichzusetzen ist mit
Qualität, belegt dieses Buch einmal mehr. Damit will
ich sagen, dass das akribische Zusammentragen von Daten und
Fakten noch lange kein gutes Buch ausmacht. Auch aus den schönsten
Zutaten entsteht noch lange kein schmackhaftes Essen, wenn
die Köche den Brei verderben. Wer sind die Köche?
Jürgen Roth konvertierte laut eigenem Bekunden einst
mit "Speed King" zur Rockmusik und Michael Sailer
ist Musiker und Redakteur des Musikexpress.
Sorry, aber von jemandem, der ein Buch über die Geschichte
einer Band wie Deep Purple schreibt, erwarte ich eine positive
Grundhaltung gegenüber eben dieser Band. Den Herren Roth
und Sailer muss man jedoch leider eine negative
Grundhaltung bescheinigen. Sicher ist das ihre Entscheidung,
aber gut finden muss ich das deshalb noch lange nicht.
Jedenfalls nahm meine anfängliche Begeisterung mit fortschreitender
Seitenzahl rapide ab und sank schließlich nahezu auf
den Nullpunkt. Ich musste mich förmlich zwingen, dieses
Werk zu Ende zu lesen, um ein Review verfassen zu können.
Traurig, aber wahr...
Es wurde ohne Zweifel intensiv recherchiert und selbst als
Kenner der Deep Purple-Materie erfährt man viel Neues.
Aber die gesamte Geschichte von Deep Purple wird von wenigen
Ausnahmen abgesehen derart negativ dargestellt, dass man sich
fragt, was die Autoren mit diesem Buch eigentlich bezwecken
wollen (außer Geld zu verdienen). Bitte versteht mich
nicht falsch: Kritiklose Lobhudeleien braucht natürlich
auch niemand. Konstruktive Kritik ist so etwas wie das Salz
in der Suppe, weil ansonsten der Eindruck des bedingungslosen
Abfeierns entsteht. Und sicher haben Roth und Sailer auch
Recht mit dem so oft kindischen, unberechenbaren oder auch
boshaften Verhalten der "Rockstars", aber ihre Beurteilungen
der Songs, insbesondere denen der Mark III und IV-Phase, werden
dieser einzigartigen Band nicht gerecht. Das Paradoxe: Die
beiden reiten so oft auf persönlichen Entgleisungen der
einzelnen Musiker herum, dass man sich fragt, warum Deep Purple
damals eigentlich die "beste/erfolgreichste Hardrockband
der Welt" waren?!? (Das sagen sie ja auch selber.) Das
musikalische Können der Deep Purple-Musiker und die Vielseitigkeit
der Kompositionen werden insgesamt viel zu wenig geschildert
geschweige denn gewürdigt. Schließlich haben die
Jungs selbst unter Stress-Situationen meistens herausragende
Leistungen abgeliefert. Als Autor sollte man ein Mindestmaß
an Objektivität wahren, was zwar schwierig, aber sicher
nicht unmöglich ist. Immerhin hatte jede Besetzung von
Deep Purple ihre Reize - für den einen Fan mehr, für
den anderen weniger. Aber die eigene Meinung dergestalt rüberzubringen
als sei es die einzig wahre ist nichts weiter als Anmaßung
gepaart mit Größenwahn und einer gehörigen
Portion Arroganz.
Beispiele gefällig?
Auszüge von Seite 247, über das Album "Burn":
"Burn" ist... ein unheitliches
Sammelsurium aus versiert gespieltem Durchschnittsrock, aufgeschäumten
Großbombast, modernistischen Irrungen und nur teilweise
trittsicheren Schritten Richtung Soul, Funk und Blues, das...
den Hörer verwirrt und mit dem Eindruck einer Band zurücklässt,
die nicht von musikalischen oder/und persönlichen Gemeinsamkeiten
zusammengehalten wird. ...Es ist, von Anfang bis Ende, die
harte, streckenweise überzeugende, aber nie mitreißende,
begeisternde, erhebende Arbeit von fünf Mitgliedern einer,
man muss das so sagen: recht angestrengten und freudlosen
Arbeitsgemeinschaft, deren Feuer, wie die Coverrückseite
suggeriert, erloschen ist.
Auszug von Seite 270, über "Soldier Of Fortune":
Unter dem meterdick draufgeschlonzten
Schmalzbelag verbirgt sich eine recht anständige Harmonie-
und Melodieführung, die vielleicht auch Kansas an einem
müden Tag hätte einfallen können...
Auszug von Seite 305, über Mark IV: Es
kann nicht bestritten werden, dass einige Konzerte der Tournee
über das mindestens bedenkliche Gesamtniveau der musikalischen
Darbietungen hinausragen, wenige sogar einigermaßen
gelingen, etwa das... später unter dem Titel "On
The Wings Of A Russian Foxbat" veröffentliche am
27. Februar in der Long Beach Arena. Aber solche musikalischen
Erfolge inklusive des selbst hier enervierend unbeholfenen
Geholzes von Tommy Bolin können niemanden mehr trösten
oder auch nur groß erfreuen.
Die Liste ließe sich beliebig fortführen...
Klaro - das mit den Zitaten ist das natürlich so eine
Sache. So wird auch unserem Fan Club die zweifelhafte Ehre
zuteil, in diesem Buch häufig zitiert zu werden (nein,
wir wurden zuvor nicht gefragt, was prinzipiell auch nicht
weiter schlimm ist). Allerdings muss für einen Außenstehenden
der Eindruck entstehen, wir seien in Wahrheit ein Anti-Deep-Purple-Fan-Club,
denn zu 98 % werden nur negative Statements wiedergegeben.
Die überwiegend positive Berichterstattung des Aviator-Fanzines
über Deep Purple fällt hingegen fast gänzlich
unter den Tisch. Ironie: Als "Ausgleich" dafür
werden mehrfach Originalzitate der Deep Purple-Musiker aus
The Aviator-Exklusiv-Interviews wiedergegeben, ohne die Quelle
zu nennen... Nicht gerade die feine englische Art. Apropos
- wie gut, dass dieses Buch laut Auskunft des Hannibal-Verlages
voraussichtlich nicht ins Englische übersetzt wird, denn
es wäre mir nicht recht, wenn den Deep Purple-Musikern
ein derart falsches Bild von unserem Fan-Club vermittelt würde.
Sollten die Herren Roth und Sailer diese Zeilen lesen (was
vermutlich der Fall sein wird) und eine weitere Auflage des
Buches in Erwägung ziehen, so habe ich eine Bitte: Lassen
Sie Zitate unseres Fan-Clubs außen vor. Herzlichen Dank!
Immerhin ist den Autoren aber nicht entgangen, dass das "Who
Do We Think We Are"-Album gar nicht so schlecht ist wie
sein Ruf, dass die "The Battle Rages On"-Tour die
besten Konzerte der reformierten Mark II-Besetzung gebracht
hat und "Bananas" ein sehr gutes Album ist. Donnerwetter!
Damit haben sie mich dann aber doch überrascht...
Was hat mir sonst noch missfallen?
Die Ausdrucksweise der Autoren habe ich häufig als störend
empfunden. Ich habe gewiss nichts gegen Fremdwörter,
aber ab und zu gehen den Autoren die Pferde durch: Bandwurmsätze
werden mit möglichst vielen Fremdwörtern zusammengebastelt
- für mein Empfinden eine vollkommen unnatürliche
Ausdrucksweise, die bisweilen ziemlich nervt.
Fotos sucht man in dem Buch leider vergeblich. Diese hätten
dem Buch aber mit Sicherheit hier und da auch gut getan und
die ganze Sache ein wenig aufgelockert. Aber vermutlich wurde
hierauf aus Kostengründen verzichtet.
Und warum haben die Autoren nicht versucht, speziell für
dieses Buch Interviews mit einigen Deep Purple-Musikern zu
führen? Auf diese Weise hätte man zielgerichtet
Fragen zur purpurnen Geschichte stellen können und hätte
die Antworten aus erster Hand erhalten.
Fazit:
Für mich persönlich ist das Buch im Großen
und Ganzen ein einziges Ärgernis. Deshalb nur
3 von 10 Punkten
|