von Andree Schneider
Die 2001er Deep Purple-Sommertour wird in
die purpurne Geschichte eingehen, denn Jon Lord musste wegen einer
Knieoperation passen und wurde von niemand geringerem als Don Airey
würdig vertreten. Im Anschluss an das Konzert in Mosbach
(17. August 2001) lud uns Roger Glover ins Hotel nach Stuttgart
ein. Selbstverständlich nahmen Woody und ich die fast 90 km
Fahrt gerne auf uns. Von Stuttgart aus startete der Purple-Tross
am nächsten Tag Richtung Schweiz, um auf einem Festival in
Gampel zu spielen.
Ich werde nicht müde zu erwähnen, was Roger doch für
ein Supertyp ist. Er nahm sich erneut viel Zeit, um meine Fragen
zu beantworten.
Vor dem Interview mit Roger aber zunächst noch einige Sätze
zu Don Airey, der nicht nur ein herausragender Organist und Keyboarder,
sondern ebenfalls ein sehr angenehmer Zeitgenosse ist. Im
Anschluss an das Konzert in Bonn (19. August 2001) hatte ich Gelegenheit,
mich mit ihm zu unterhalten. Die Idee zu Don`s Gastspiel kam nicht
etwa von Roger Glover, seinem ehemaligen Rainbow-Weggefährten,
sondern von Deep Purple-Manager Bruce Payne, der ja damals auch
schon die Geschäfte für Rainbow regelte. Auf meine Frage,
ob er denn vor seiner Zusage einen Moment lang gezögert habe,
sagte Don: "Ja, ich sagte zu Bruce: `Darüber muss ich
erst einmal schlafen. - Schnarchgeräusch - Ok, ich bin dabei
- ha, ha, ha." Don bekam per Post einige aktuelle Aufnahmen
von Deep Purple und schaffte sich so das Programm drauf. Und das
sehr gründlich, denn laut Roger prägte er sich sogar einen
dicken Fehler ein, den Jon gespielt hatte. Meine Frage, ob er seine
Gefühle, mit Deep Purple gemeinsam auf einer Bühne zu
stehen, beschreiben könne, beantwortete er mit einer ebenso
simplen wie aussagekräftigen Gegenfrage: "Wie hättest
Du Dich gefühlt?" Don betonte, Jon Lord sei sein absolutes
Vorbild. Als er vor einigen Jahren anlässlich des "Wind
In The Willows"-Projektes gemeinsam mit ihm auf einer Bühne
gestanden habe, sei er unglaublich nervös gewesen. Jon habe
ihm aber die nötige Sicherheit gegeben und alles sei prima
gelaufen. Jon verfüge über einen einzigartigen musikalischen
Instinkt, der es ihm erlaube, auch ohne vorherige Proben spontan
die richtigen Töne zu spielen. Auf die Frage zu einer Rainbow-Reunion
meinte Don: "Das wird nicht passieren." Er plant allerdings,
in naher Zukunft ein gemeinsames Projekt mit Graham Bonnet ins Leben
zu rufen.
Nun aber zum Interview mit Roger Glover:
AS: Ihr seid ja kürzlich gemeinsam
mit Ted Nugent und Lynyrd Skynyrd in Amerika auf Tour gewesen. Wenn
man den Reviews von den Konzerten Glauben schenken darf, scheint
das ja für alle Beteiligten ein tolles Erlebnis gewesen zu
sein...
RG: Die Tour rief Erinnerungen an die 70er Jahre in mir wach:
Drei Bands mit zehn Monster-Trucks und sechs Reisebussen on the
road - eine unglaubliche Atmosphäre. Ja, es war wirklich ein
tolles Erlebnis. Wir brachten ein 75-Minuten-Set, mussten uns also
im Vergleich zu sonst etwas zurücknehmen. Einige Leute meinten
zwar, dass Deep Purple und Lynyrd Skynyrd musikalisch nicht gut
zusammenpassen würden, aber ich sehe das anders. Es ist doch
viel interessanter, an einem Abend drei Bands unterschiedlicher
Stilrichtungen zu sehen. Lynyrd Skynyrd ist eine tolle Band, die
nicht unterzukriegen ist, genauso wenig wie wir und Ted Nugent.
Ich wollte zwar nicht, dass das ganze als Nostalgie-Tour angesehen
wird, muss allerdings zugeben, dass es dann aber irgendwo doch so
etwas war. Ich denke, dieses Package war der einzige Weg, sich einem
großen amerikanischen Publikum zu präsentieren und wir
sind froh, die Chance ergriffen zu haben. Es war uns auch sehr recht,
nicht als letzte Band auftreten zu müssen, sondern in der Mitte,
denn das war gut für uns. An den meisten Abenden ist es uns
gelungen, das Publikum voll zu überzeugen. Die Begrüßung
fiel zumeist eher reserviert aus, am Schluss unserer Show standen
die Leute dann aber regelrecht Kopf. Das war ein sehr gutes Zeichen
für uns, und wir müssen einfach mehr in Amerika machen.
AS:
Dein Solo-Album ist bereits im Kasten, nicht wahr?
RG: Ja, der Endmix ist gerade abgeschlossen
worden.
AS: Ich weiß, dass sich Musik
eigentlich nicht beschreiben lässt. Um das zu verdeutlichen,
hast Du mir mal gesagt, dass auch niemand das Lächeln der Mona
Lisa beschreiben könne. Das stimmt natürlich, aber dennoch
- versuche es bitte für die Aviatoren - oder singe einen Deiner
neuen Songs...(grins)
RG: Dann versuche ich es doch lieber
mal mit dem Beschreiben (Gelächter). Es gibt nun eine Möglichkeit,
dies zu tun: Ich kann Dir die Songwriter nennen, die ich verehre
und die mich beinflusst haben, wobei ich beim Songwriting für
das Solo-Album einfach nur meinen Instinkten gefolgt bin. Ich mag
unter anderem Lonny Donegan, Bob Dylan, Ry Cooder, JJ Cale, Mark
Knopfler und The Chieftains. Mein Interesse an der Musik gilt dem
Songwriting. Der Musikstil ist nicht entscheidend, denn einen guten
Song kann man in vielen verschiedenen Stilen bringen. Der Stil hat
nichts mit der Qualität des Songs zu tun. Ich habe versucht,
Songs zu schreiben, die direkt meinem Herzen entspringen. Ich habe
viele persönliche Dinge in dem Album verarbeitet und deshalb
ist es sehr emotional und tiefgründig geworden. Es stellt eine
Art Dokument dar, ein Dokument meines Lebens in den letzten Jahren.
Und es ist kein Rockalbum!
AS: Deine Tochter Gillian ist auch auf
dem Album vertreten?
RG: Ja, sie singt auf einem Song und
ich singe übrigens auch auf einem Song. Auf allen anderen Songs
singt Randal Bramlett.
AS: Möchte sie es dem Vater gleichtun
und auch Profi-Musiker werden?
RG: Nun ja, zur Zeit ist sie Sängerin
und Songwriter, lebt in London und ist dort auf der Suche nach Leuten,
mit denen sie Songs zusammen schreiben kann. Außerdem sucht
sie Bands, bei denen sie singen kann. Sie wartet darauf, dass etwas
passiert. Es liegt in ihren Händen.
AS: Gillian ist also so wie ihr Vater
vor über 30 Jahren?
RG: Ja, exakt.
AS: Wieviele Songs wird das Album beinhalten?
RG: 14.
AS: Hast Du schon einen Album-Titel?
RG: Zumindest bis vor zwei Tagen hatte ich einen. Ich wollte
das Album "Snapshot" (=Schnappschuss") nennen, weil
die einzelnen Songs sehr spontan aufgenommen wurden. Die Musiker
kamen ins Studio und hatten absolut keine Ahnung, was sie erwarten
würde. Ich spielte ihnen den jeweiligen Song auf einer Akustik-Gitarre
vor und danach lernten sie ihn. Fast die gesamten musikalischen
Arrangements wurden instinktiv umgesetzt. Lediglich der Saxophonist
und die Bläser, die nur wegen einiger Overdubs ins Studio kamen,
mussten zuvor ihre Parts ausarbeiten. Aber für alle anderen
waren die Songs bis zu dem Tag, als sie ins Studio kamen, vollkommen
unbekannt. Es gibt viele "first takes" auf dem Album,
und deshalb hielt ich "Snapshot" für einen sehr passenden
Titel. Allerdings hat mir vorgestern jemand mitgeteilt, dass es
bereits ein Tommy Bolin-Album mit dem gleichen Titel gibt. Und nun
weiß ich nicht, was ich machen soll, denn ich mag den Titel
"Snapshot" eigentlich immer noch.
AS: Meiner Meinung nach ist das aber
kein Problem, denn bei Tommy Bolin`s "Snapshot" handelt
es sich ja nicht um eines seiner regulären Solo-Alben. Schließlich
wurde es ja erst mehr als 20 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht...
RG: Nun gut, dann werde ich sagen, dass
Du Dein OK gegeben hast (Gelächter)...
AS: Hast Du schon eine Plattenfirma?
RG: Nein. Ich hoffe aber auf einen guten
Deal, weil ich ja bereits mit einem fertigen Produkt in den Händen
bei den Firmen anklopfen kann. Normalerweise unterschreibt man ja
erst einen Vertrag und geht dann ins Studio. Bei mir ist es umgekehrt.
AS: Wann möchtest Du denn das Album
veröffentlichen?
RG: Jetzt und hier gehe ich davon aus,
dass es erst im nächsten Jahr veröffentlicht wird. Ich
möchte das Album nämlich nicht nur veröffentlichen,
sondern auch promoten. Ich würde gerne ein kleine Tour machen,
um die Songs live vorzustellen. Die beteiligten Musiker wären
sofort dabei.
AS: Wo würdest Du dann touren?
RG: Das kann ich momentan noch nicht
sagen - keine Ahnung. Es wäre höchstwahrscheinlich eine
Club-Tour.
AS: Ich hoffe, Du kommst dann auch nach
Deutschland!
RG: Das hängt in erster Linie von
den Tour-Promotern ab. Für die stellt sich die Frage, wieviele
Leute kommen würden, um mich zu sehen.
AS: Ich denke, dass wären viele
Leute.
RG: Ich weiß es nicht.
AS: Ich aber! (Gelächter)
RG: Ja, ihr beiden würdet wahrscheinlich
die einzigen sein. (Gelächter) Ich kann mich nicht ausschließlich
auf die Fans verlassen. Auf
keinen Fall möchte ich vor leeren Häusern spielen. Ich
weiß wirklich noch nicht, was ich machen werde.
AS: Nun zu Deep Purple. Wir Fans können
es natürlich kaum erwarten, neue Purple-Songs zu hören.
Warum lasst Ihr Euch diesmal so viel Zeit und gebt lieber Konzerte
als ins Studio zu gehen?
RG: Wir waren wegen der Concerto-Tour
unterwegs, haben aber mit der Arbeit am nächsten Album bereits
begonnen. Vor anderthalb Jahren haben wir uns in Orlando (Florida)
getroffen, um Songs zu schreiben. Vier oder fünf Ideen sind
dabei herausgekommen. Darüberhinaus haben sich Jon Lord, Ian
Gillan und ich bereits im Januar eine Woche im englischen Devon
zusammengefunden, um Ideen und Gedanken auszutauschen. Das nächste
Album ist eine große Herausforderung und uns ist klar, dass
wir ein wirklich gutes Album machen müssen. Der einzige Weg,
etwas wirklich Gutes zu machen ist der, dem Willen des Augenblicks
zu folgen und dann abzuwarten, wohin er einen trägt. Es gibt
kein Konzept, wie das nächste Album klingen wird. Was spricht
z.B. dagegen, einen Song zu machen, auf dem lediglich Ian Gillan
singt und Steve Morse Gitarre spielt. Warum nicht? Es muss doch
nicht immer die komplette Band zu hören sein. Wir haben so
viel großartiges Talent in der Band, das in vielfacher Hinsicht
nicht genutzt wird, weil wir fast immer dieses typische Rock-Schema
erfüllen müssen. Wir werden dennoch ohne Zweifel immer
eine Rockband bleiben. Aber es gibt eben auch andere Elemente in
der Rockmusik. Die Leute haben "Purpendicular" geliebt,
weil es so facettenreich war. So ist es mir auch ergangen. Wir schreiben
viele gute Songs, die aber nicht unbedingt in das Deep Purple-Schema
hineinpassen. Auf der einen Seite sind das gute Songs - auf der
anderen Seite sind wir Deep Purple. Wir sollten einfach tun, was
wir wollen. Für uns sollte einzig entscheidend sein, Spaß
zu haben an dem was wir tun. Ich denke, es wird ein sehr abwechslungsreiches
Album werden.
AS: Aber Ihr werdet nicht dem Hardrock
den Rücken kehren?
RG: Nein, nein. Dieses Element wird
immer da sein, schließlich sind das unsere Wurzeln.
AS: Es wäre doch großartig,
wenn Ihr nochmal einen Single-Hit landen würdet. Dir dürfte
allerdings auch bekannt sein, dass das nicht ohne Video-Clip funktionieren
kann...
RG: Meiner Meinung nach kann der Versuch,
erfolgreich zu sein, nicht funktionieren. Es ist eher wie ein Spiel.
Natürlich möchte man nicht, dass ein Album floppt, die
Leute sollen das Teil kaufen. Um das zu erreichen, muss man ein
Album promoten. Manchmal muss man hierfür Dinge tun, die einem
nicht gefallen: Pressekonferenzen, Foto-Sessions, weite Reisen,
Interviews, Fernseh-Auftritte. Auch wenn wir am liebsten einfach
nur unsere Musik spielen wollen, wissen wir, dass wir so etwas tun
müssen, und wir machen es ja auch.
Dem Erfolg nachzujagen ist aber eine andere Sache. Der einzige Weg
für Deep Purple, eine Hit-Single zu haben, ist, etwas zu schreiben,
dass unserem Herzen entspringt. Sich hinzusetzen und gezielt einen
kommerziellen Hit schreiben zu wollen, funktioniert bei uns nicht.
Das wären nicht wir. Im übrigen heißt ja "kommerziell
sein" nicht, dass man eine kommerzielle Nummer schreiben muss.
"Kommerziell sein" bedeutet doch nur, dass man viele Platten
verkauft. Man kann aber auch viele Platte verkaufen, also kommerziell
erfolgreich sein, ohne kommerzielle Songs zu schreiben. Ich hoffe,
wir werden niemals versuchen, kommerziell zu sein, denn das bedeutet
unweigerlich, dass man Kompromisse eingehen muss. Obwohl ich eingestehen
muss, dass wir dies in der Vergangenheit leider schon gemacht haben.
Ich denke da an "Strange Kind Of Woman", "Never Before"
oder "Call Of The Wild", Songs, die von vorneherein als
Singles geschrieben wurden. Mal hat`s funktioniert, mal nicht. Ich
persönlich mag übrigens "Call Of The Wild" -
im Gegensatz zu vielen anderen Leuten.
AS: Tut mir leid, ich mag`s nicht.
RG: Das ist schon ok. Ich liebe auch
den Video-Clip, weil er so witzig ist. Vielleicht war der Mix des
Songs nicht so glücklich. Vor ungefähr einem Jahr habe
ich mir das Multi-Track-Tape in meinem Heim-Studio angehört
und hatte dadurch die Möglichkeit, die Lautstärke von
Bass, Schlagzeug etc. zu verändern. Und es war der Hammer!
Es klang wirklich großartig.
AS: Ihr habt "Call Of The Wild"
nur selten live gespielt.
RG: Ja, live kam der Song nicht gut
rüber.
AS: Ich kann mich an ein Bootleg-Live-Video
erinnern, bei dem ihr das Stück gespielt habt, allerdings ohne
den Gitarristen...
RG: "Call Of The Wild" ohne
Ritchie?
AS: Ja, ich glaube es war in Stockholm,
1987.
RG: Echt? Kann ich mich nicht dran erinnern.
AS: Habt Ihr inzwischen entschieden,
in welches Studio ihr geht und wer der Produzent sein wird?
RG: Wir hatten ja im Juli den Pavarotti-Auftritt
in Italien. Der Typ, der alles aufgenommen hat, war Phil Ramone.
Ich weiß nicht, ob Du schon mal von ihm gehört hast,
jedenfalls ist er ein großartiger Produzent.
AS: Mit den Ramones hat er sicherlich
nichts zu tun...
RG: Nein. Phil Ramone er ist eine echte
Legende, der in den 60er, 70er und 80er Jahren viele Hits produziert
hat, beispielsweise Sachen von Billy Joel und Bob Dylan.
Ich sah im Internet eine Liste der Musik, die er produziert hat
und war fassungslos. Da war vieles bei, dass ich geliebt habe, von
dem ich aber bislang nicht wusste, wer es produziert hat. Wir haben
uns anlässlich des Pavarotti-Gigs unterhalten. Übrigens
dürfen wir die Aufahmen von uns und Pavarotti veröffentlichen,
aber das nur nebenbei. Wir fragten Phil Ramone, ob er Interesse
habe, uns zu produzieren, und er sagte "Ja". Ich hoffe,
es klappt, denn ich möchte nicht mehr der Produzent sein. Es
ist ein sehr anstrengender Job. Ich hätte mich vielleicht besser
gefühlt, wenn ich dafür Mal bezahlt worden wäre,
aber ich gehörte zur Band und bekam deshalb nichts dafür.
Die anderen spielten ihre Parts ein, flogen heim und ließen
mich mich der ganzen Arbeit allein. Ich möchte zukünftig
nur noch Songwriter und Bassist sein. Ich wollte niemals der Produzent
von Deep Purple sein, aber es kam trotzdem anders. Bereits nach
"Purpendicular" sagte ich, dass ich es nie nochmals machen
möchte, und was habe ich getan? "Abandon"... Genau
das gleiche wieder... monatelang von zuhause weg, Fristen, die man
ohne Wenn und Aber einhalten musste - es war mörderisch. Oh
nein, das will ich einfach nicht mehr. Aber ich möchte auch
einen Produzenten haben, dem wir vertrauen können. Es ist eine
sehr schwierige Angelegenheit, einen Produzenten auszuwählen.
Etwa genauso schwierig, wie den richtigen Ehepartner zu finden.
Was Phil Ramone angeht, habe ich aber ein sehr gutes Gefühl.
Als er mir die Hand schüttelte fühlte es sich für
mich so an, als würde mir ein alter Freund die Hand schütteln.
Er wohnt übrigens nur unweit von mir entfernt. Ich werde ihn
bei Gelegenheit mal in seinem Studio besuchen. Das ist das, was
ich im Moment sagen kann, aber wer weiß...
AS: Werdet Ihr das Album wieder in Orlando
aufnehmen?
RG: Wahrscheinlich nicht. Zum einen
brauchen wir einen Studio-Wechsel, zum anderen entscheidet ohnehin
der Produzent, wo das Album aufgenommen wird. Vielleicht werden
wir nach Orlando gehen, um uns dort dem Songwriting zu widmen, aufnehmen
werden wir diesmal aber wohl woanders.
AS: Und im Herbst gebt Ihr dann einige
Konzerte in England?
RG: Soviel ich weiß, ist die Tour
auf Januar 2002 verschoben worden. Aber ich bin mir nicht ganz sicher,
ich bin halt nur der Bassist. (Gelächter) Dann werden wir nicht
nur in England, sondern erstmalig überhaupt auch in Irland
spielen.
AS: Du hast es vorhin schon erwähnt:
Vor einigen Wochen habt Ihr in Pavarottis Show in Italien gespielt.
Habt Ihr Gelegenheit gehabt, den Meister etwas näher kennenzulernen?
Er gilt ja als sehr schwierig...
RG: Seine Präsenz ist allgegenwärtig.
Wenn er im selben Zimmer war, hast Du es unweigerlich bemerkt, denn
alle möglichen Leute wuseln um ihn herum, reichen im ständig
irgendetwas, Wasser, Früchte und was weiß ich nicht noch
alles. Das erste Mal trafen wir uns im Übungsraum. Dart waren
nur ein Piano und ein Stuhl. Irgendjemand spielte auf dem Piano
und er saß auf diesem Stuhl, blickte in eine Richtung und
dachte nicht daran, sich in unsere Richtung zu drehen. Nein, wir
mussten schon genau vor ihn, also in sein Blickfeld treten, um uns
vorzustellen. Aber Pavarotti war trotz seines Rufs, schwierig zu
sein, sehr nett zu uns. Und er hat riesige schwarze Augenbrauen,
die bestimmt angeklebt sind (Gelächter). Er ist ja einer der
berühmtesten Menschen weltweit und hat eine unheimlich starke
Aura und absolute Autorität. Nachdem wir uns kennengelernt
hatten, summte er "Nessun Dorma", und obwohl er es nur
summte, realisierte ich, was dieser Mann für eine brilliante
Stimme hat. Als er dann seine Stimme öffnete und richtig sang....wow.
Dir wird in diesem Moment klar, dass Du etwas ganz besonderes erlebst.
Ich habe es wirklich so empfunden.
AS: Das war sicher sehr bewegend für
Euch alle. Einige Deep Purple-Fans bewegt zur Zeit aber etwas ganz
anderes. Wir haben auf unserer Homepage ein Forum. Hier können
Fans Ihre Meinung kundtun. In jüngster Zeit ist eine kleine
Diskussion entbrannt. Einige sind der Meinung, dass die vielen Veröffentlichungen
der letzten Zeit und die noch folgenden Veröffentlichungen
darauf schließen lassen, dass sich Deep Purple bald auflösen
werden...
RG: Wer hat ihnen das verraten? (Gelächter)
Ich wüßte es selber gerne, aber ich werde nicht zu einer
Wahrsagerin gehen, um mir die Zukunft erzählen zu lassen. Ich
habe heute mit meiner Tochter telefoniert und sie sagte, sie habe
eine Wahrsagerin gefunden, die ihr ihre Zukunft erzählen werde,
inklusive ihres Todestages. Ich stelle mir gerade vor, wie ich
vor dieser Frau sitze und vollkommen fertig frage: Was,
schon MORGEN??? Oder: Was, in fünf
MINUTEN??? (Gelächter) Nein, ich will die Zukunft wirklich
nicht wissen. Ich
habe nur einen Wunsch für die Zukunft: Dass jemand, der fragt,
ob man sich an Roger Glover erinnern kann, nicht die Antwort erhält
(Roger zuckt zusammen und macht eine
fürchterliche Grimasse): "Uuhh, ja....". Ich
habe keine Angst vor dem Tod. Ich will nur dabei sein, wenn es soweit
ist (Gelächter). Das klang jetzt nach Woody Allen.
AS: Wie stehst Du persönlich zu
diesen ganzen Veröffentlichungen, speziell zu den Bootleg-Wiederveröffentlichungen?
RG: Wir sind eine Band, von der es unzählige
Bootlegs gibt.
AS: Ja, für Eure Fans seid Ihr
eine echt kostspielige Angelegenheit...
RG: Dafür können wir aber
nichts! Wenn Fans meinen, jeden Auftritt von uns haben zu müssen,
ist das ihre Sache. Ich persönlich habe übrigens kein
Problem mit Bootlegs. Ich habe noch nie etwas gegen Leute gehabt,
die unsere Shows mitgeschnitten haben, weil ich mir selbst einige
Bootlegs gekauft habe und feststellen musste, was für eine
miese Qualität sie im Allgemeinen haben. Wenn also jemand meint,
er müsste sich jede noch so schlechte Aufnahme kaufen, soll
er es bitte schön tun. Aber Bootlegs haben bisweilen auch ihre
guten Seiten. So habe ich durch Bootlegs die Chance erhalten, mir
noch mal einige sehr alte Konzerte anzuhören. Beispielsweise
habe ich mir vor einigen Jahren den Amsterdamer Paradiso-Gig von
1969 angehört, und "The Battle" finde ich auch sehr
gut. Wenn Du in einer Band spielst, ziehen die Jahre nur so vorbei
und die Erinnerung an vergangene Auftritte geht verloren. Dann helfen
mir Bootlegs weiter. Deshalb kann ich sie auch nicht verdammen.
Und was die Bootleg-Series angeht: Nun, damit zeigen wir in gewisser
Weise, dass wir Verständnis für Bootlegs aufbringen. Die
Leute bekommen die bestmögliche Aufnahme von Konzerten, an
die man heutzutage kaum noch herankommt. Warum sollen wir nicht
Geld damit machen, bevor ein anderer auf die Idee kommt? Einige
Leute finden es gut, andere eben nicht.
AS: Hast Du mitbekommen, dass Ritchie
Blackmore Dir kürzlich die Freundschaft gekündigt hat,
weil Du auf den Anniversary-CDs einige alternative Soli von ihm
verwendet hast?
RG: Ja, ja. Er hat gesagt, dass er nie
wieder mit mir reden möchte. Allerdings hat er auch in der
Vergangenheit nie wirklich mit mir gesprochen. Also werde ich wohl
nicht allzu viel vermissen...
AS: Also berührt es Dich nicht
sonderlich?
RG: Nein, er tut mir nur Leid. Er kennt
mich gut, und wenn er meint, ich würde irgendetwas machen,
um ihn zu kränken, dann hat er mich vollkommen falsch eingeschätzt.
Man hat mir angeboten, mit Bändern zu arbeiten, die nicht Deep
Purple, sondern der Plattenfirma gehören. Die Plattenfirma
kann damit anstellen was sie will. Statt mich dafür anzugreifen,
dass ich alternative Soli von ihm verwendet habe, sollte er mir
lieber danken. Denn wer weiß, was jemand anderes gemacht hätte.
Es gab jede Menge Material, von dem auch vieles schlecht war. Ich
habe nur die Sachen verwendet, die wirklich prima sind und die ihn
gut aussehen lassen. Ich wollte nur weitere Seiten seines Talents
zeigen, denn seine Soli sind absolut spontan und allesamt Momentaufnahmen.
Ich bin von ganzem Herzen ein Fan von ihm und stolz darauf, was
wir zusammen auf die Beine gestellt haben. Ich hätte niemals
etwas verwendet, was ihm oder seiner Karriere hätte Schaden
können. Wenn er das meint, dann ist er ein großer Dummkopf.
Er hat sich die Sachen noch nicht einmal angehört. Fans haben
ihm davon erzählt. Nun ist er sauer auf mich und ich frage
mich, was das soll. Ich habe keine schlechten Absichten gehabt.
Deshalb rege ich mich auch nicht darüber auf. Es ist sein Problem.
AS: Vielen Dank für das ausführliche
Gespräch zu später Stunde.
RG: Ich habe zu danken. Es war wieder
mal sehr interessant. Was möchtet Ihr trinken?
Übersetzung: Andree Schneider
pics: Woody Woodstock, Andree Schneider, Manfred Stoffer
|