von Lars Wehmeyer & Andree Schneider
Im
Anschluss an das Deep Purple-Konzert in Wetzlar fragten wir Roger,
ob er ein Interview für den Aviator geben würde. Er stimmte
zu, meinte allerdings, dass die Band bereits am gleichen Abend zum
nächsten Auftrittsort nach Mannheim fahren werde.
Er nannte uns den Namen des Hotels und wir fuhren der Einfachheit
halber rund 150 km bei Sturm und Regen hinter dem Bandbus her. Zu
unserer großen Überraschung (Verwirrung trifft`s vielleicht
noch besser) fuhren wir aber an Mannheim vorbei und landeten schließlich
in Heidelberg. In der Hotellobby grinste uns Roger an und meinte,
dass es eine gute Idee gewesen sei, dem Bus hinterher zu fahren.
Wie wahr, wie wahr... Während sich die anderen Deep Purple-Musiker
sofort auf ihre Zimmer begaben (die Hotelbar war bereits geschlossen),
nahm sich Roger noch gut zwei Stunden für uns Zeit. Als das
Interview vorüber war, holte er noch seinen Laptop vom Zimmer
und führte uns eine kleine aber feine Fotopräsentation
vor. Roger fotografiert nämlich seit geraumer Zeit Hotelkorridore
rund um den Globus, weil ihn die Perspektive der zumeist langen
Korridore fasziniert. Und da Deep Purple nicht gerade in den letzten
Absteigen übernachten, sind dabei eine ganze Menge beeindruckender
Fotos entstanden. So ist er halt, der Roger, Künstler durch
und durch...
Original-Interview
(in englisch)
Andree Schneider (AS): Hast du erwartet,
dass die aktuelle Tour so erfolgreich sein würde? Ihr spielt
fast überall in ausverkauften Hallen.
Roger Glover (RG): Ich erwarte nie
etwas. Wenn man nichts erwartet kann man auch nicht entäuscht
werden. Ich hatte keine Ahnung, aber ich denke es ist eine positive
Überraschung für uns alle. Im Rückblick ist es wohl
offensichtlich, dass es auch mit daran liegt, dass wir soviele Fernsehauftritte
absolviert haben. Wir waren dieses Mal mehr im Fernsehen zu sehen
als jemals zuvor. Das liegt zum Teil daran, dass wir eine neue Plattenfirma
haben, die sich beweisen will und die sich deshalb sehr reinhängt.
Einige Fans sind auf mich zugekommen und haben gesagt "Das
ist nicht gut, dass ihr im Fernsehen Playback macht". Vielleicht
haben sie Recht, aber Fernsehen ist eben Fernsehen, es hat seine
eigenen Gesetze. Auf jeden Fall ist es eine tolle Werbung, auch
wenn einige darüber nachdenken ob die Band so etwas machen
sollte oder nicht. Es ist definitv eine gute Sache, denn die Zuschauer
in der ganzen Welt sagen "Oh, Deep Purple - gibt's die noch?"
Lars Wehmeyer (LW): Das höre ich
auch immer wieder.
AS: Wer hatte die tolle Idee, zusammen
mit Alice Cooper auf Tour zu gehen?
RG: Ich weiss es nicht. Keine Ahnung.
Irgendwelche Organisatoren irgendwo.
AS: Nicht vielleicht Bruce Payne? Ich
hätte gedacht, dass er...
RG: Ich bin mir sicher, dass er auch
daran beteiligt war, aber ich weiss nicht, wer als Erster die Idee
hatte.
AS: Hängt ihr nach den Konzerten
manchmal mit Alice Cooper ab oder geht da jeder seine eigenen Wege?
RG: Normalerweise verschwindet Alice
Cooper nach seinem Auftritt. Manchmal sind einige Mitglieder seiner
Band dageblieben. Aber normalerweise sind sie weg. Wir haben uns
mit der ganzen Band unerhalten, und wir haben uns natürlich
auch mit Alice unterhalten - er heißt übrigens wirklich
Alice, er hat seinen Namen geändert und heißt jetzt Alice.
Ich habe nämlich seine Band gefragt: "Wie nennt ihr ihn?"
und sie haben gesagt: "Na, Alice!". Nach dem Konzert in
München, glaube ich, ist ein Treffen mit seiner Band geplant,
bei dem wir unseren letzten gemeinsamen Auftritt bei dieser Tour
feiern wollen.
AS: Fast alle Deep Purple-Fans freuen
sich über die neue und unkonventionelle Setlist auf dieser
Tour. Es ist toll, dass die neuen Songs vom Publikum so gut angenommen
werden. Ich weiss, dass Dir die vorherigen Setlists immer zu statisch
waren. Hast du Dich diesmal durchgesetzt oder wie kam es zu dieser
mutigen Setlist?
RG: Yep - das war alles meine Idee.
Ich habe der Band gesagt was zu tun ist und sie haben es gemacht...
(Pause - grinst) Eigentlich haben
wir das gesamte letzte Jahr darüber diskutiert. Letztes Jahr
war so ein Lückenjahr, wir hatten kaum Zeit zu proben und haben
einfach ein paar Konzerte gegeben, das war dann alles relativ statisch
und fest. Aber wir hatten alle das Gefühl, dass wir neue Songs
ins Programm einbauen müssen - man macht ja schließlich
eine neue Platte, um neue Songs zu haben. Wir wussten also, dass
es passieren würde. Es ist wirklich erfreulich, dass die neuen
Songs so gut ankommen, was wohl auch daran liegt, dass sie so schnell
und spontan aufgenommen wurden. Das macht sie zu guten Livenummern.
LW: "Before Time Began" war
meiner Meinung nach während des Konzertes einer der stärksten
Songs von der neuen Platte - ich hatte Gänsehaut und musste
an das Jahr 1996 denken, als ich "Sometimes I Feel Like Screaming"
zum ersten Mal live gehört habe - es war ein ähnlicher
"Magischer Augenblick". Haben die Songs auf euch manchmal
auch so eine Wirkung? Habt ihr auf der Bühne solche "Magic
Moments"?
RG: Ja, ich denke schon, ja. Ich dachte
mir, dass "Before Time Began" eine gute Livenummer werden
würde und habe zwei Wochen vor der Tour eine E-Mail an die
anderen geschrieben. Wir fingen an, über die Songs zu diskutieren,
die wir spielen wollten, und ich fand, wir sollten "Before
Time Began" unbedingt versuchen. Wir haben die meisten Songs
ausprobiert, bei einigen hat's nicht recht geklappt, aber "Before
Time Began" hat von Anfang an funktioniert. Aber nicht alle
mögen den Song. Ich habe Reviews von Leuten gelesen, die den
Songs nicht besonders mögen. Man kann es eben nicht allen recht
machen. Eigentlich ist es aber auch gar nicht unser Ziel, es irgendjemandem
recht zu machen, außer uns selbst.
AS: Ich halte es für eine gute
Idee, ein paar optische Highlights im Bühnenaufbau zu haben.
Das war zuletzt auf der "The Battle Rages On"-Tour der
Fall. Das "Rapture"-Bühnenbild mit der riesigen Licht-Anlage
und den Leinwänden ist sehr modern. Wer hatte die Idee zu diesem
Bühnenbild?
RG:
Hmmm - es gab da einige Diskussionen, weil wir mit Alice auf Tournee
gehen wollten und er so eine visuelle Show hat, so dass wir auch
etwas in der Richtung machen sollten - nicht um ihm die Show zu
stehlen, aber wir wollten auch etwas bieten. Der erste Vorschlag,
den ich gehört habe, war, Streichinstrumente oder Gastmusiker
zu benutzen. Das basierte alles nur auf Musik, nicht auf Theater
oder Bühnenshow. Die Vorschläge haben mir aber nicht besonders
gut gefallen. Das haben wir schon einmal gemacht und es nichts wirklich
Besonderes, ausserdem ist es von der Logistik her sehr schwer zu
realisieren. Man muss ja dann acht oder zehn Musiker zusätzlich
überall mit hinnehmen. Ich habe schon lange gedacht, dass Leinwände
eine gute Sache sind, weil das Publikum besonders in großen
Hallen einen viel besseren Eindruck von der Band bekommt. Ich erinnere
mich, dass Ian Gillan vor Jahren mal gesagt hat: "Wenn ich
auf der Bühne stehe sehe ich den Fuß von Ian Paice. Und
ich sehe Dons Finger auf den Tasten - niemand sonst sieht das. Aber
das sollten sie!" Wir überlegen tatsächlich, noch
eine Kamera zu installieren, die Paiceys Fuß zeigt - keine
Ahnung ob wir das hinkriegen. Aus dieser Idee heraus haben Louis
Ball (Lichtdesigner) und Lee Tomlin (Produktionsdesigner) dann losgelegt,
und als wir uns in London zum Proben getroffen haben, war alles
mehr oder weniger fertig. Ich weiss nicht, wer genau die Idee hatte,
aber es ist ein bisschen aus einer Diskussion innerhalb der Band
entstanden.
AS: Gibt es Pläne für eine
Live-CD oder -DVD nach dieser Tour?
RG: Im Moment gibt es keine Pläne,
aber es wäre wohl eine gute Idee.
LW: Wahrscheinlich könntet ihr
sogar das Material von den Leinwänden als Basis für eine
DVD verwenden.
AS: Wird das jeden Abend aufgenommen
und gespeichert?
RG: Nein, nicht dass ich wüsste.
Wahrscheinlich nimmt das irgendwer irgendwo auf, aber es wird nicht
offiziell mitgeschnitten, nein. Die Leute im Publikum haben ihre
eigenen DVDs, ich bin mir sicher, dass die alles Mögliche mit
Kameras aufnehmen.
LW: Neben Deiner Arbeit auf der Bühne
bist du auch immer um einen guten und engen Kontakt mit den Fans
bemüht, was man auch daran sieht, dass du jetzt gerade mit
uns hier sitzt. Woher nimmst Du die Motivation, nach einem anstrengenden
Konzert noch mit Leuten zu sprechen, Autogramme zu geben, Dich fotografieren
zu lassen oder sogar mitten in der Nacht ein Interview zu geben?
RG:
Naja, ihr habt mich überredet. Ihr habt mich mit Bier bestochen,
ihr seid dem Tourbus hinterhergefahren, ihr habt hier gesessen als
ich ins Hotel kam - ich hatte ja keine Chance, euch zu entkommen!
(lacht) Ich weiss nicht - als
Band haben wir unsere Fans eigentlich immer recht gut behandelt.
Unsere letzte Tour-Assistentin hat, nachdem sie ein paar Wochen
mit uns gereist ist, im Tourbus in den Vereinigten Staaten mal gesagt:
"Ich habe schon mit vielen Bands gearbeitet, aber ich kenne
keine Band, die ihre Fans besser behandelt als ihr". Viele
Bands, vor allem junge Bands, denken überhaupt nicht an die
Fans. Aber ohne die Fans gäbe es gar nichts. Ohne Fans würde
es uns nicht geben. Und darum versuche ich, ihnen eine Freude zu
machen - ich bin selber auch ein Fan, also weiss ich, wie das ist.
Wenn ich jemanden treffe, der ein Held für mich ist, ist das
sehr aufregend. Bei einigen Gelegenheiten - das ist schon länger
her - habe ich solche Leute kennengelernt und es war eine große
Enttäuschung, weil sich herausstellte, dass es, nun ja, keine
besonders netten Menschen waren. Die berühmtesten Leute, die
ich je kennengelernt habe, waren normalerweise auch die nettesten.
AS: Kannst du ein Beispiel nennen?
RG: Vincent Price. Ich habe mich gerade
vor kurzem darüber unterhalten, was für ein netter Kerl
Vincent Price war, und Twiggy, überhaupt die ganze Butterfly-Ball-Geschichte,
das waren alles sehr nette Leute, sehr professionell, sehr konzentriert.
Ich glaube, die Geschichte von Bruce Welch habe ich dir schonmal
erzählt, oder?
AS: Nein.
RG: Als ich 15 war, noch zu Schulzeiten,
wir hatten gerade unsere erste Band gegründet und ein bisschen
was gelernt, wir konnten vielleicht zweieinhalb Akkorde und haben
halt ein bisschen rumgeklimpert - zu dieser Zeit waren die "Shadows"
eine Riesenband in England, die Band von Cliff Richard. Sie hatten
einen eigenen Hit, "Apache", das war ihr erster großer
Hit. Als dieser Song herauskam hat das mein Leben verändert,
so wie es wohl das Leben jedes Jungen damals verändert hat,
vielleicht auch das von Mädchen, keine Ahnung. Wir hatten herausgefunden,
dass Bruce Welch, der Rhythmusgitarrist der Shadows, ein paar Meilen
von unserer Schule entfernt lebte. Und so sind wir eines Tages nach
der Schule zu dritt losgezogen, keine Ahnung, wo wir die Adresse
her hatten, und plötzlich standen wir vor diesem Haus. Es war
kein besonderes Haus, eine Doppelhaushälfte, ruhige Gegend,
und nach unseren Maßstäben ein schönes Haus. Und
wir haben es angesehen und gedacht: "Er
ist durch diese Tür gegangen! Er,
Bruce Welch, ist durch diese Tür
gegangen! Das sind seine Fenster, er
hat diese Fenster geöffnet!",
verstehst du, es war wahnsinnig aufregend, einfach nur das Haus
anzusehen. Nach ein paar Minuten fuhr ein Auto vor und Bruce Welch
stieg aus. Wir haben uns hinter einer Art Mauer versteckt, er hat
uns aber gesehen und gefragt: "Hey, Jungs, was macht ihr da?"
- "Nichts, nichts" - "Kommt mal her. Was sucht ihr
hier?" - "Naja, wir sind Fans und so..." Daraufhin
hat er uns in sein Haus eingeladen und wir sind mit ihm reingegangen
und haben eine gute Stunde in seinem Wohnzimmer gesessen. Er hat
uns Musik vorgespielt, seine Lieblingslieder, und jedem ein Glas
Wasser und einen Apfel gegeben. So nach einer Stunde meinte er:
"So, Zeit nach Haus zu gehen". Er war einfach der absolute
Gentleman und es hat einen sehr sehr starken Eindruck bei mir hinterlassen,
dass jemand, der so gross und berühmt ist, so normal und freundlich
sein kann. Das war eine gute Lektion.
Ironischerweise habe ich mich einige Jahre später, vielleicht
neun oder zehn Jahre später, in derselben Situation wiedergefunden.
Ich war in einer großen, bekannten Band und Kinder kamen mit
Tränen in den Augen und zitternd vor Aufregung auf mich zu,
weil ich das Berühmteste war, was sie je in ihrem Leben gesehen
hatten. Das war so beschämend für mich, weil ich das Gefühl
hatte, überhaupt nicht so viel Aufmerksamkeit zu verdienen.
Aber dann dachte ich an Bruce Welch und wie nett er gewesen war,
und ich dachte mir: "Das möchte ich weitergeben".
AS: Wenn ihr während Eurer Tour
einen freien Tag habt, genießt du den freien Tag oder langweilst
du dich, besonders abends?
RG: Hmmm - nein, ich geniesse ihn.
Ich versuche, alles zu genießen. Es gibt keinen Grund, etwas
nicht zu genießen. Es ist eine ziemlich anstrengende Tour,
sehr viel harte Arbeit, mit vielen Reisen und Transfers, und manchmal
braucht man einfach einen freien Tag. Oftmals mache ich dann einfach
gar nichts, vielleicht spazierengehen, ein schönes Essen -
aber alles in allem genieße ich das, ja.
AS: Ihr seid alle noch sehr fit und
ich habe großen Respekt vor euren Leistungen auf der Bühne.
Neben dem Spaß, den ihr offensichtlich auf der Bühne
habt, ist es aber auch ein sehr sehr harter Job. Ich habe gehört,
dass ihr für zwei Jahre auf Tournee sein werdet, was eine verdammt
lange Zeit ist. Wird euch das nicht manchmal zu viel?
RG: Nein.
AS: Das ist gut für uns.
(Gelächter)
RG: Du erwähnst da einen wichtigen
Punkt. Unser Job ist sehr viel mehr harte Arbeit als die meisten
denken. Die Zuschauer denken, es ist ein Leben voller Glamour, Aufregung,
Parties und Spaß, gar nicht wie ein richtiger Job. Aber es
ist ein sehr harter Job. Es ist schwierig, sich auf die wichtigen
Dinge zu konzentrieren, es ist schwierig, in Form zu bleiben. Wir
versuchen eigentlich gar nicht bewusst, uns fit zu halten, ich denke,
dass die paar Stunden täglich auf der Bühne dazu beitragen.
Ich wollte noch etwas sagen, habe aber vergessen was es war....
Vergiss es.
(Andree dreht die Kassette um - in der Zwischenzeit
fällt Roger wieder ein, was er sagen wollte)
RG:
Jetzt weiß ich's wieder: Vor vielen Jahren, bei Rainbow, war
ich mit Don Airey um ein Uhr nachts in einem Waschsalon irgendwo
außerhalb von Kansas City oder so ähnlich. Wir waren
todmüde und haben zugesehen, wie unsere Wäsche in der
Maschine ihre Runden dreht. Und da war so ein Schweigen zwischen
uns, das gebrochen wurde, als Don sagte: "Oh, the Glamour!"
(Gelächter) Vor zwei Tagen
sind wir morgens um sieben nach einem Nachttransfer in Trier angekommen.
Ich war frühstücken und wollte mich noch ein bisschen
hinlegen und ein paar Stunden schlafen, als ich Don sah, der auf
dem Weg zu einem Waschsalon war. Ich musste da auch noch hin, also
bin ich mitgegangen. Wir haben uns also ein Taxi genommen und sind
zu einem Waschsalon gefahren, und da haben wir dann gesessen, in
einem Waschsalon in Trier, und ich habe ihn an dieses "Oh,
the Glamour!" erinnert.
LW: Gibt es einen besonderen Grund
für den orientalischen Klang des Titelstücks "Rapture
Of The Deep", abgesehen davon, dass es ziemlich genial klingt?
Diesen orientalischen Einschlag konnte man auch schon in älteren
Stücken feststellen - woher kommt diese Inspiration?
RG: Ich würde das nicht mal als
orientalisch bezeichnen. Man könnte wohl sagen, dass es einen
orientalischen Klang hat, aber für mich ist es einfach nur
Musik. Don hat sich dieses Riff ausgedacht und der Arbeitstitel
war "Turkish Delight". Don hat angefangen es zu spielen
und Paicey hat dazu einen Rhythmus getrommelt. Als wir dann ins
Aufnahmestudio gingen hatten die beiden schon ein bisschen gejamt
und wir hatten das Stück ein paar Wochen nicht angerührt.
Ich weiss noch wie Paicey sagte "Don hatte da diese verrückte
Idee, das sollten wir uns nochmal ansehen". Das haben wir dann
zwei Wochen später getan und einen interessanten Nachmittag
am Arrangement gearbeitet. Aber es war keine bewusste Entscheidung,
dass es orientalisch klingen sollte. Wir treffen solche Entscheidungen
nicht, wir denken nicht so viel nach, wir reflektieren das nicht
vorher oder fangen die Arbeit an einem neuen Album mit einem Treffen
an, bei dem wir sagen "Ok, und in welche Richtung soll das
Ganze gehen?". Es ist wirklich eine Art Abenteuer für
uns, genauso wie für den, der sich die Platte anhört.
Wenn wir anfangen, haben wir keine Ahnung, wie es werden wird.
LW: Ich habe in einem Interview gelesen,
dass du verärgert warst, dass "Things I Never Said"
nicht auf dem Album gelandet ist. Wer hat das entschieden und warum?
RG: Was mich verärgert ist nicht
die Tatsache, dass es "Things I Never Said" getroffen
hat, sondern vielmehr, dass überhaupt ein Stück nicht
mit auf`s Album sollte. Für mich besteht ein Album mit zwölf
Stücken eben aus diesen zwölf Stücken, und die gehören
auf die Platte. Es ist eine Entscheidung, die größtenteils
vom japanischen Markt her kommt, weil die CDs dort so teuer sind,
dass man irgendetwas besonderes draufpacken muss. Es ist wirklich
sehr schwierig, wenn man ein Album fertig hat und dann kommt jemand
und sagt: "Ihr müsst euch ein Stück aussuchen, das
nicht mit auf die Platte kommt". Es ist eine furchtbare Situation
und keiner von uns konnte das so recht entscheiden. Ich weiß
nicht genau, wer dann letztlich die Entscheidung getroffen hat,
welches Stück weggelassen wird. Ich hätte gar keins weggelassen,
andererseits bin ich halt kein Geschäftsmann, aber ich mag
so etwas überhaupt nicht. Wenn es nach mir ginge, hätten
wir als Extra einen Livetrack oder einen Outtake oder einen Jam
draufgepackt, aber das ist auch problematisch, weil die Sammler
sowieso alles haben wollen, was man gemacht hat - egal was man tut,
irgendwer wird immer sauer sein. Mir hat einfach nicht gepasst,
dass wir das Album fertig hatten und dann ein Stück herausnehmen
mussten. Ich glaube "Things I Never Said" ist ein besserer
Song als vielleicht ein oder zwei andere auf der Platte, aber das
sage ich im Rückblick. Es hat sich auf jeden Fall zu einem
großartigen Livestück entwickelt, aber ihr wisst ja,
jetzt kommt die Tour-Edition heraus, und auf der sind alle Songs
drauf, mit allen Extras, und das ist.... Ach, ich weiss nicht, das
ist Business-Kram. Ich hasse das. Das war der Grund, warum ich sauer
war. Das ist wohl das Wesen des Geschäfts.
AS: Dank der Tour-Edition werdet ihr
aber voraussichtlich eine goldene Schallplatte bekommen...
RG: Vielleicht - ich habe Gerüchte
gehört...
AS: Ich habe da ein paar ganz gute
Kontakte zur Plattenfirma...
RG: Ich weiss - du bekommst immer mehr
Informationen als ich. Du hast das fertige Album auch vor mir gehört!
AS: Ja - ich finde das ok (Gelächter).
Und wo wir gerade beim Album sind: Es gefällt mir wirklich
gut. Gefällt dir der Sound bzw. die Produktionsarbeit von "Rapture
Of The Deep"?
RG: (zögert)
AS: Nimm dir doch ein Bier (Gelächter).
RG: Ich denke, Michael Bradford ist
ein guter Musiker, ein toller Songwriter, ein unheimlich netter
Kerl, und alles in allem hat er der Band sehr gute Dienste geleistet.
Aber (Pause) - ich muss dazusagen,
dass ich mit meinen eigenen Produktionsarbeiten auch immer unglücklich
war, so gesehen bin ich mit diesem Album nicht mehr oder weniger
glücklich als mit irgendeinem anderen Album, an dem ich mitgearbeitet
habe. Ich glaube, es ist eine Frage des Abmischens - ich hätte
es anders abgemischt. Ich hätte einige Sachen anders gemacht.
Aber andererseits muss ich meine Rolle als Produzent herunterschrauben.
Ich muss sagen "Ok, er ist der Boss". Und das ich wirklich
schwierig. Ich musste mir wirklich die Lippen zusammentackern, um
nicht zuviel zu sagen. Als Produzent muss man das Vertrauen der
Band haben. Und obwohl ich vielleicht einige der Mixe nicht besonders
mag, muss ich mit ihnen leben. So ist das eben.
AS: Das muss für dich als Produzent
ziemlich frustrierend sein.
RG: Ja, ist es auch.
AS: Habt ihr schon entschieden, ob
das nächste Album auch mit Michael Bradford aufgenommen und
von ihm produziert wird?
RG: Nein, das haben wir noch nicht
beschlossen. Wir müssen erstmal diese zweijährige Tour
absolvieren. Wir denken noch nicht an das nächste Album.
LW: Ich habe in der "Bass
player's question time" auf deiner Homepage gelesen, dass
du auch einen Fretless Bass hast. Benutzt du den auch der Bühne,
oder hast du ihn auf dem Album verwendet?
RG: Nein.
LW: Ich kann mir vorstellen, dass ein
Fretless Bass gut zu "Clearly Quite Absurd" klingen würde.
RG: Ich habe diesen Song mit einem
Fretless Bass ausprobiert. Allerdings nicht mit meinem eigenen,
Michael Bradford hatte einen im Studio. Er hat viele Gitarren, er
ist Gitarrensammler, und Verstärkersammler. Ich habe es also
ausprobiert. Unglücklicherweise bin ich nicht so ein guter
Bassist, man muss mit dem Greifen wirklich sehr genau sein, und
obwohl es sehr vielversprechend klang, habe ich eingesehen, dass
es zuviel Arbeit gewesen wäre, es immer und immer wieder einzuspielen,
bis es perfekt ist. Also habe ich diesen Plan aufgegeben. Aber ja,
ich habe auch gedacht, dass das gut klingen würde. Mein Fretless
Bass ist ein akustischer Bass, und er klingt eigentlich mehr nach
einem Kontrabass. Man wird ihn bestimmt auf meinem nächsten
Solo-Album hören, weil ich zuhause oft auf ihm spiele. Aber
er klingt mehr wie ein Kontrabass, ein jazziger Sound, anders als
ein E-Bass.
LW: Wie hat dir die Ausstellung von
Evi Ivan in Köln gefallen?
RG:
Was kann man dazu sagen wenn jemand eine Menge Energie dazu verwendet,
dein Abbild zu malen? Sie ist eine sehr gute Malerin, ich finde
sie als Maler sehr inspirierend, ich mag diese Freiheit mit der
sie die Farbe auf die Leinwand wirft, diese Sicherheit. Ich finde,
es ist eine große Ehre, und das mindeste, was ich tun kann,
ist hinzufahren und mir die Ausstellung anzusehen. Ich habe die
Bilder vorher nie im Original gesehen, nur Drucke davon, und ich
war überrascht, wie groß einige der Bilder sind. Ich
hatte sie vorher nur in einem kleinen Format gesehen. Sie ist eine
wunderbare Malerin und einige ihrer anderen Bilder, nicht von der
Band, sondern Landschaftsbilder, inspirieren mich sehr. Toll.
LW: Ich finde es sehr nett von dir,
dann wirklich hinzufahren und dir die Bilder anzusehen.
RG: Sie ist eine sehr nette Person.
Wenn ich irgendetwas tun kann, um ihr zu Erfolg oder Anerkennung
zu verhelfen, ist das doch das Wenigste, was ich tun kann.
LW: Wir haben uns schon über Deine
"Korridor"-Fotos unterhalten - es gibt auf Deiner Webseite
ein anderes Foto, das mir sehr gut gefällt. Es zeigt eine Million
Kameras, die auf den Betrachter gerichtet sind. Hast du dieses
Foto selber gemacht?
RG: Ja, habe ich.
LW: Weisst du noch, wo das war, oder
in welcher Situation?
RG: Das war irgendwo im Fernen Osten,
wahrscheinlich in Kuala Lumpur oder so, ich weiss es nicht mehr
genau, das müsste ich in meinen Aufzeichnungen nachlesen.
LW: Ich finde es spannend, dass der
Besucher der Seite praktisch in deine Situation versetzt wird. Man
wechselt den Blickwinkel - plötzlich sieht man all diese Kameras
von der anderen Seite. Das ist wirklich faszinierend.
RG: Es ist ein interessantes Gefühl,
so viele Kameras auf einen gerichtet zu sehen. Das erste Mal, als
das passierte, war es ziemlich aufregend. Man wird sich seiner selbst
sehr bewusst. Ich habe mir das mittlerweile abgewöhnt, ich
bin was ich bin, ob's euch gefällt oder nicht, das kommt wohl
mit der Erfahrung. Als ich noch jünger war habe ich versucht,
dem Image gerecht zu werden, das ich meiner Meinung nach haben sollte,
das eines Hardcore-Musikers in einer Hard-Rock-Band, der trotzdem
intelligent ist und immer das richtige sagt. Natürlich endete
das damit, dass ich mich in meinen Worten verheddert habe. Ich habe
gelernt, mich in solchen Situationen zu entspannen, aber es ist
trotzdem eine ungewöhnliche Situation, wenn eine Phalanx, so
nennt man das, eine Phalanx von Kameras auf einen gerichtet ist
- schönes Wort.
LW: Es ist insbesondere für den
Besucher der Seite ungewöhnlich, weil man sich normalerweise
nicht in dieser Situation befindet.
RG: Man gerät immer mal wieder
in bizarre Situationen. Als wir das erste Mal in Polen waren, habe
ich eine Ahnung davon bekommen, wie es damals bei den Beatles gewesen
sein muss, weil die Leute total ausgeflippt sind. Wir hatten eine
Polizei-Eskorte, die Leute hingen an ihren Balkonen und aus den
Fenstern, und auf dem Weg zum Konzert waren Tausende auf der Straße,
die einfach nur einen Blick auf uns werfen wollten. Das ist eine
bizarre Situation, ich kann mir gar nicht vorstellen, was die Beatles
durchgemacht haben, diese weltweite Aufmerksamkeit, oder Michael
Jackson zum Beispiel, alle die so dermaßen berühmt sind
- das muss manchmal wirklich surreal sein. Ich beneide sie nicht.
Ich war immer sehr dankbar, dass Deep Purple in der ganzen Welt
eine große Popularität erlangt haben, aber auf der anderen
Seite sind wir immer einigermaßen anonym geblieben, wir konnten
wir selbst bleiben. Wenn ich einkaufe oder einfach die Straße
langgehe, werde ich normalerweise von niemandem belästigt.
AS: In den letzten Monaten gab es Gerüchte,
dass Ritchie Blackmore, Jon Lord, David Coverdale und Glenn Hughes
Deep Purple Mark III wieder auferstehen lassen wollten. Das hat
sich natürlich als blanker Unsinn herausgestellt. Trotzdem
würde ich gerne wissen, ob ihr über so etwas diskutiert
oder ob es euch gar nicht interessiert.
RG: Das ist das Erste, was ich von
diesem Gerücht höre (Gelächter).
Es wäre wohl ziemlich schwierig, eine Deep Purple-Konkurrenz-Band
wieder zusammenzubringen - die Namensrechte wären nicht das
kleinste Problem. Sie könnten das Projekt nicht "Deep
Purple" nennen. Es gibt nur eine Band namens Deep Purple, und
das ist die, die jetzt gerade existiert. Es würde mich nicht
erstaunen, wenn Ritchie und Jon sich zusammentun und etwas auf die
Beine stellen. Ich denke sogar, das wäre eine tolle Idee, aber
es wäre nicht Deep Purple, es wären Ritchie und Jon. Aber
ich weiss nichts davon, ich habe nichts gehört, wir haben nicht
darüber diskutiert.
LW: Die letzte Frage: Nach dem Konzert
in Dortmund hast du erwähnt, dass du an ein neues Solo-Album
denkst. Möchtest du uns etwas zu diesem "Snapshot"-Nachfolge-Projekt
erzählen?
RG: Da gibt es nicht wirklich viel
zu erzählen. Ich schreibe die ganze Zeit Songs, naja, ich fange
mit Songs an, ich beende sie nicht immer. Ich finde, "Snapshot"
war eine gute Erfahrung, ich habe die Arbeit an diesem Album sehr
genossen. Es war toll, einige meiner alten Songs herauszubringen,
die vorher nur irgendwo im Regal verstaubt sind. Einen der Songs
von "Snapshot" habe ich 1978 geschrieben, er war die ganze
Zeit da, aber ich wusste nicht, was ich mit ihm anfangen sollte,
bis ich dann das Album gemacht habe. Ich meine "The Bargain
Basement". Und es gibt noch jede Menge anderer Songs und Ideen.
Wenn ich zuhause sitze, schreibe ich keine Deep Purple-Stücke.
Es ist beinahe unmöglich, einen Deep Purple-Song zu schreiben,
weil Deep Purple-Songs sich mit allen Mitgliedern der Band zusammen
entwickeln, es ist eine Art Chemie, eine Sache des Zusammenspielens.
Das Schreiben zuhause ist etwas ganz anderes - weil ich da zuhause
bin, weil es ruhig ist. Ich nehme mir normalerweise eine akustische
Gitarre, und es werden eher introvertierte Songs, sensible Songs,
wahrscheinlich bin ich in Wirklichkeit mehr ein Sänger und
Songwriter.
(Andree wechselt die Kassette)
RG: Du hast also gerade die Kassette
gewechselt für das letzte Stück der letzten Frage?
AS: Genau. Weißt du schon, welche
Leute an dem Projekt mitarbeiten werden? Dieselben wir auch bei
"Snapshot"?
RG: Ich würde auf jeden Fall mit
dieser Zielsetzung anfangen. Die Arbeit mit Randell Bramblett war
toll, ebenso mit Joe Bonadio, dem Schlagzeuger, auch alle anderen
Musiker, Joe Mennonna, die Gitarristen - ich hatte wirklich eine
Menge Glück. Ich habe sehr gut mit Leuten zusammenarbeiten
können, die ich vorher nie getroffen hatte, alleine deshalb
würde ich wieder mit dieser Besetzung anfangen. Eine Sache,
die ich ändern würde, wäre wohl, meine Tochter mehr
einzubringen.
Andree & Lars: Das ist eine sehr
gute Idee!
RG: Ich möchte mit ihr gemeinsam
schreiben, weil sie mittlerweile mehr Erfahrung gesammelt hat. Sie
hat eine eigene
Band, sie hat Aufnahmen mit anderen Musikern gemacht, und sie
hat sich zu einer klasse Sängerin entwickelt. Sie hat eine
ganz eigene Stimme und ich möchte lieber Songs für sie
schreiben als dass sie einfach nur meine Songs singt. Obwohl es
für uns sehr schwierig ist, sich zu treffen - sie wohnt in
London, ich wohne im Koffer - haben wir es trotzdem geschafft, 24
Stunden gemeinsam zu verbringen und in dieser Zeit zwei Songs zu
schreiben. Die haben wir also schon, und wir möchten mehr zusammen
machen. Ich selbst möchte auch mehr singen. Nicht das ganze
Album, weil ich finde, Randell hat eine Killerstimme, aber ich würde
vielleicht zwei oder drei Songs singen wollen statt nur einen. Was
kann ich euch über die Songs erzählen? Ich weiss nicht,
wahrscheinlich reflektieren sie irgendwie mein Privatleben, das
in den letzten Jahren durch einige Turbulenzen gegangen ist. Die
Songs sind praktisch aus der Sicht der Erfahrung geschrieben. Eigentlich
versuche ich, das ein wenig zu ändern, denn als ich die Songs
einigen Familienmitgliedern vorgespielt habe, sagte meine Mutter:
"Die sind alle so traurig!". Also versuche ich jetzt,
weniger traurige Songs zu schreiben. Aber man kann sich über
Musik nicht unterhalten, man muss sie hören. Es ist schwer,
über diese Songs zu reden - es ist so ähnlich, wie wenn
man versucht, die Mona Lisa zu beschreiben: "Frau, die lächelt"
trifft es eben nicht ganz.
AS: Ok - das war's - vielen Dank nochmal!
RG: Dann kann ich ja jetzt schlafen
gehen (kippt im Sessel um und fängt
an zu schnarchen).
Übersetzung: Lars Wehmeyer
Fotos: Woody Woodstock, Manfred Stoffer, Andree Schneider, Franziska
Behrendt
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