von Christian Meyer zu Natrup
Im Vorfeld der Veröffentlichung von
Brazen Abbot`s "Bad Religion" stand ich mehrmals mit USG-Records
in Kontakt, die ein Telefon-Interview mit Joe Lynn Turner (J.L.T.)
anboten. Da ich ohnehin beabsichtigte, am 19.11.97 nach Hamburg
zu fahren, um mir Joe Lynn Turner leibhaftig anzuschauen, schlug
ich vor, das Interview vor Ort zu machen. Das klappte dann auch.
Hans Joachim Haase (H.J.H.) und ich waren gegen 18.00 Uhr im LOGO
und erkundigten uns beim Tour-Manager Mike Ellis nach dem Interview.
Es sollten sowieso einige nach dem Konzert stattfinden und Mike
wollte versuchen, uns da noch unterzubringen. Derweil machten Joe
und Nikolo gerade den Soundcheck. Als dieser beendet war, huschte
ich in die Kabine und fragte Joe Lynn, ob er nicht vielleicht jetzt
schon bereit sei, ein Interview für den Aviator zu geben. Eigentlich
wollten er und Nikolo bis Konzertbeginn zurück ins Hotel, aber
er sagte dennoch zu. Jemand (ich glaube, es war der Fahrer) fragte,
ob das Interview lange dauern würde. "Nur fünf Stunden
brauchen wir", scherzte ich und legte dann los (warum nach
dem Konzert anstehen, wenn man es vorher erledigen kann). Wir befanden
uns in einem Raum links neben der Bühne. Man hätte bestimmt
noch viel mehr fragen können, aber angesichts das Zeitdrucks
(nur 20 Minuten) haben wir uns, so glaube ich, auf das Wesentliche
beschränkt.
CMzN: Ihr macht also jetzt diese Acoustic-Tour...
J.L.T.: Ja, wir machen die "Acoustic
Nights"-Tour.
CMzN: Und wie lief es bislang?
J.L.T.: Oh, alles klappt prima. Ich
glaube, wir haben jetzt zehn Auftritte gehabt - sind heute in Hamburg,
morgen in Brüssel... Es ist hauptsächlich eine Promo-Tour.
Wir machen was
für`s Fernsehen, für`s Radio, Interviews für Zeitungen
usw. - den ganzen Tag lang, und abends spielen wir. - Wir sind etwas
müde, denn es gibt viel zu tun. Aber ich hoffe, es klappt trotzdem
heute Abend.
CMzN: Ich finde, Du bist ein vielbeschäftigter
Mann. Du machst Deine eigenen Platten, Platten mit Mother`s Army
und eine Menge von Sessions. Ich glaube, die letzte war mit der
japanischen Band Kankava?
J.L.T.: Ja, Joshi Kankava. Ich habe
mit ihm auch in Japan getourt.
CMzN: Mother`s Army ist für Dich
aber nur ein Projekt, oder?
J.L.T.: Ja, stimmt. Ich habe nicht das
Bedürfnis, in einer festen Gruppe zu spielen.
CMzN: Also bist Du eher ein Solo-Künstler,
der auch mal andere Sachen macht?
J.L.T.: Ja, ich mache alles Mögliche,
um in diesem Geschäft am Leben zu bleiben, denn das Geschäft
ist hart. Zum einen bin ich mit meinem eigenen Solo-Projekt beschäftigt.
Dann habe ich mir zwei Wochen Zeit genommen, um diese "Acoustic
Nights"-Tour zu tun. Anschließend fliege ich heim und
danach nach San Francisco, um was mit Mother`s Army zu machen -
hiernach bin ich wieder mit meinem Solo-Projekt beschäftigt.
Und danach geht`s wieder zurück nach Los Angeles, um mit Mother`s
Army live zu spielen. Wir haben übrigens auch ein Instrumental-Stück,
bei dem ich die Acoustic-Guitar spiele. Ich mache eine neue Karriere
als Gitarrist (lacht).
CMzN: Du hast aber doch schon immer
ein wenig Gitarre gespielt.
J.L.T.: Ich war Gitarrist bevor ich
Sänger wurde.
H.J.H.: Wir waren seinerzeit sehr erstaunt,
Dich gemeinsam mit Ritchie auf einer Bühne zu sehen, als Du
Gitarre gespielt hast.
J.L.T.: Ich war der Einzige überhaupt.
CMzN: War das Deine oder Ritchie`s Idee?
J.L.T.: Es war Ritchie`s Idee. In Rainbow
spielte ich E-Gitarre bei "Ode To Joy" ("Difficult
To Cure") - Da Da Da Da Dakka Dakka Dakka - so etwa. Und bei
Deep Purple spielte ich Acoustik-Guitar.
CMzN: Nach dem zu urteilen, was ich
vorhin beim Soundcheck gehört habe, spielst Du recht gut.
J.L.T.: Es ist OK. Ich werde besser.
Es ist wie mit allem - wenn Du es nicht tust, vergisst Du es.
CMzN: Nikolo Kotzev ist auch ein guter
Gitarrist. Ich kann mir vorstellen, dass es für Dich angenehmer
ist, mit ihm zu arbeiten, anstatt z.B. mit solch schwierigen Charakteren
wie Blackmore oder Malmsteen.
J.L.T.: Das ist wahr. Nik ist einer
der aufstrebensten Gitarristen, mit denen ich je zusammengearbeitet
habe und er ist nicht schwierig. Ich danke Gott. (J.L.T. wendet
sich zu Nik, der gerade eine Cola trinkt, und fragt: "Oder
bist Du schwierig....zu heilen?" - "Or are you difficult...to
cure?", und lacht.)
CMzN: Kann es sein, dass dies Deine
ersten Konzerte seit etwa drei Jahren sind?
J.L.T.: Ich habe eine Acoustic-Tour
für die "Undercover"-Platte in Japan absolviert,
als die Platte im März `97 rauskam. Das waren nur ich und Cole
Cockeren. Zunächst spielten wir in einigen HMV-Shops (Anm.:
Das sind riesige Plattenläden), dann folgten einige
richtige Shows, Club-Auftritte und so...
H.J.H.: Du kommst aber nicht mal mit
Mother`s Army nach Europa?
J.L.T.: Nun, mal schauen. Wir haben
ein neues Label - JVC, Gott sei Dank! Carmine Appice spielt nicht
mehr Schlagzeug. Aynsley Dunbar hat ihn ersetzt. Das Album ist sehr
rau und hat Heavy-Riffs wie sie unser Bassist Bob Daisley früher
bei Ozzy Osbourne brachte. Heavy stuff! Das letzte Album war recht
glatt - klang teilweise nach Pink Floyd oder so.
CMzN: Ich kann mich auch erinnern, dass
Du mal einige Akustik-Stücke mit Roger Glover gespielt hast,
z.B.: "King Of Dreams" für eine Radiostation.
J.L.T.: Hm... daran hat mich gerade
schon mal jemand erinnert und ich sagte "yeah".
CMzN: Es ist auf einer Bootleg-CD drauf.
J.L.T.: Ja, das sagte der "Jemand"
auch und fragte, warum wir das nicht live spielen, worauf ich sagte,
dass das hier eine Brazen Abbot-Show ist. Außerdem spielen
wir schon zwei Rainbow-Songs.
CMzN: Findest Du, dass Deine Zeit bei
Deep Purple ein Höhepunkt in Deiner Karriere war?
J.L.T.: Oh, absolut. Ein Traum wurde
wahr. Ich liebte die Band schon als Kind. Deep Purple war meine
Lieblingsband.
H.J.H.: Erinnerst Du Dich, warum Roger
die Keyboards bei "Fire, Ice And Dynamite" (Anm.: Song
aus der "Slaves & Masters"-Phase) gespielt hat?
J.L.T.: Nein, daran erinnere ich mich
wirklich nicht. Frage mich nicht nach diesen Jungs. Die sind ein
Rätsel für sich selbst.
H.J.H.: Erinnerst Du Dich noch an den
dritten unveröffentlichten Titel, der nicht auf der "Slaves
& Masters"-LP ist? Da war einer auf `ner B-Seite, "Slow
Down Sister", dann noch "Fire, Ice And Dynamite"
und dann war da noch ein dritter?
J.L.T.:
Ich weiß, dass wir noch einen gemacht haben. Der hieß...
(überlegt) ...wie hieß er? Sticky when the sun don`t
shine... you know your friend was really cool... dann kam das Solo.
Er hieß... (überlegt weiter)... Ich glaube Ritchie war
"pissed off" von dem Tape und schlug es auf das Mischpult.
Es hieß... "Something About Midnight". Der Song
wurde auch fertiggestellt, mit Gesang. Ich habe zu Hause noch eine
Kopie davon.
CMzN: Eine Menge Tapes mit Session-Aufnahmen
aus der "Slaves & Masters"-Phase sind in Umlauf.
J.L.T.: Ja? Bootlegs?
CMzN: Auch Bootlegs. Aber auf Tape gibt
es noch mehr und ich finde, diese Sessions klingen interessanter
als das, was letztendlich auf der Platte gelandet ist.
J.L.T.: Du hast möglicherweise
recht.
CMzN: Weil alles so spontan klingt.
J.L.T.: Ja, das sind auch die Sachen,
die ich mag. Mach es spontan - mach es schnell. Ich finde, manchmal
klingt ein Album zu poliert, zu glatt. Für mich ist es rau
einfach besser, aber Roger nimmt seine Produzentenarbeit sehr ernst.
Jetzt sind Deep Purple sehr geglättet. Klingt wie eine Ian
Gillan-Band auf A.O.R. (Anm.: Airplay Orientated Rock), die die
Städte zum Glitzern bringt. Tut mir leid, aber das ist, was
ich denke.
CMzN: Da bin ich einer Meinung mit Dir!
(Anm. CMzN: Habe an dieser Stelle Applaus
gespendet, was einige Aviatoren bestimmt auf die Palme bringt...)
(Anm. Andree Schneider: Ahoi Christian, schönen Gruß
vom Wipfel der Palme....)
J.L.T.: Ich finde sie gut. "Purpendicular"
an sich ist eine gute Platte, aber es klingt nicht nach Deep Purple.
Es klingt nach einer Ian Gillan-Band. Ich finde, "Slaves &
Masters" klingt mehr nach Deep Purple als "Purpendicular".
CMzN: Hast Du mal ein D.P.-Konzert mit
Steve Morse gesehen?
J.L.T.: Ich habe sie letztes Jahr im
Beacon Theatre in New York City gesehen. Sie waren großartig.
CMzN: Hast Du mehrere Shows gesehen?
J.L.T.: Ich habe eine Show gesehen.
CMzN: Ich bin der Meinung, alle Konzerte
gleichen sich zu sehr.
J.L.T.: Ich fand es gut. Man merkte
die positiven Ausstrahlungen.
CMzN: Stimmt es, dass Du den Vorschlag
gemacht hast, während der "Slaves & Masters"-Tour
"Pictures Of Home" zu spielen?
J.L.T.: Ja, ich wollte es spielen. Ich
hab`s letztlich mit Yngwie gemacht. "Pictures Of Home"
ist eines meiner Lieblingslieder. Wir haben es zwar auch mit Purple
eingeprobt, aber dann sagten sie "Nein".
H.J.H.: Ich denke mal es war Ritchie,
der es nicht spielen wollte!?
J.L.T.: Nein, nein. Es war ein genereller
Beschluss. Manchmal wird solchen Bands selbst nicht klar, wer sie
eigentlich sind. Weil ich Fan war wusste ich, wer sie sind.
CMzN: Hast Du noch Kontakt zu Ritchie?
J.L.T.: Unsere Anrufbeantworter unterhalten
sich ab und zu. Ich glaube, er ist gerade mit "Blackmore`s
Night" in Japan. Seine Agentur meldete sich bei meinem Management
und ließ mich fragen, was ich von einer Reunion von Rainbow
halten würde. Das ist aber schon eine Weile her. Ich bin sicher,
dass solche Gerüchte andauernd die Runde machen. Angefangen
von Dio, Bonnet, mir... Aber er hat mich tatsächlich angerufen
und gesagt: "Hey, lass es uns irgendwann machen". Ich
habe daraufhin seine Agentur zurückgerufen, aber die sagten
mir, er sei gerade in Japan.
CMzN: Das neueste Gerücht ist,
dass Dio wieder in der Band ist.
J.L.T.: Das sind die niemals endenden
Gerüchte. Erst bin ich es, dann ist es Dio, dann ist es Bonnet
und dann geht`s zurück zu mir.
CMzN: Kannst Du Dir denn vorstellen,
nochmal bei Rainbow zu singen?
J.L.T.: Ich denke mal, die Fans würden
ihre Freude daran haben. Es ist gut für die Fans, all diese
Songs zu spielen.
CMzN: Stimmt es, dass Du "The Battle
Rages On" schon komplett eingesungen hattest?
J.L.T.: Ich weiß nicht mehr ob
es die komplette Scheibe war. Aber auf jeden Fall war es annähernd
komplett. Alles was ich Dir sagen kann ist, dass es sehr gute Songs
waren. Es gibt Rough Mixes von den frühen Sachen und es wäre
sehr interessant, diese Stücke zu veröffentlichen. Man
hätte Vergleichsmöglichkeiten zu dem, was sie letztlich
daraus gemacht haben.
CMzN: Für die Fans wäre das
auch sehr interessant!
J.L.T.: Das denke ich auch. Aber es
liegt nicht an mir, das zu veröffentlichen, obgleich ich damals
ein Fünftel der Band war.
CMzN: Auf der anderen Seite soll es
auch drei bis vier Lieder geben, die Ian Gillan damals schon für
"Slaves & Masters" eingesungen hatte....
J.L.T.: Davon weiß ich nichts.
CMzN: Hat Dir damals ein Bandmitglied
von Angesicht zu Angesicht gesagt, dass Du gehen mußt?
J.L.T.: Es waren Ritchie, Roger, Ian
und Jon. Sie wollten Ian Gillan zurückhaben. Ritchie sagte
es. Sie hatten Angst, dass aus der Band "Deep Rainbow"
wird. Ich bin überzeugt, dass der Rest der Band beunruhigt
war, weil sie dachten, Ritchie und ich würden das Ruder an
uns reißen. Sie wollten ein bestimmenderer Teil der Band sein.
Ritchie und ich waren die erkennbaren Kräfte in der Gruppe
und ich denke mal, Neid war auch mit im Spiel und ...Mißverständnisse.
Seht Euch doch mal an, was wirklich passierte. Ritchie wusste seit
sechs oder sieben Monaten Bescheid. Er denkt doch nicht: Wir holen
Gillan zurück und geben ihm einen Solo-Vertrag. Er ist doch
nicht verrückt! Gillan kommt also rein, macht die Platte, sie
gehen einen Monat auf Tour und Ritchie hat genug. Dass das passierte,
war einfach abzusehen. Ich wollte letztenendes aber ohnehin gehen,
weil ich merkte, dass sie der Meinung waren, die Stücke würden
nicht richtig rüberkommen und dass ich diese ruiniere.
CMzN: Ich finde aber die meisten Songs
von "The Battle Rages On" ganz okay. Jedenfalls vom Endprodukt.
J.L.T.:
"The Battle Rages On" ist nicht mein Lieblingsalbum. Und
das hat nichts mit Hass zu tun. Ich war von Anfang an dabei. Ich
hörte es beim Abmischen im Studio. Also bin ich nicht losgerannt
und habe mir dann die Platte gekauft. Ich hatte angefangen an der
Platte zu arbeiten und zu helfen, die Stücke zu arrangieren.
Ich habe nie einen Dollar dafür gesehen und ich finde, das
ist nicht fair.
CMzN: Der Fan-Club hat jüngst ein
Preisausschreiben veranstaltet. Man sollte mindestens 20 Platten
nennen, an denen Du beteiligt warst. Ich hab` alles aufgelistet,
was mir eingefallen ist. Vielleicht kannst Du mal durchschauen,
ob ich was vergessen habe.
Da fällt mir noch was ein. Stichwort "Rick Blakemore",
der Gitarrist von Fandango - ist das sein richtiger Name?
J.L.T.: Ja.
CMzN: Oh, lustig.
J.L.T.: Ja, lustig. Sehr zum Verwechseln.
Ricky Blakemore und Ritchie Blackmore.
CMzN: So, Du kannst ja mal auf den Zettel
schauen und das, was fehlt, hinzufügen.
J.L.T.: (Liest die Liste runter) ...Billy
Joel, Don Johnson, Mick Jones...
H.J.H.: Woher kennst Du all diese Leute
wie Don Johnson oder Cher?
CMzN: Fragst Du, ob Du auf ihren Platten
singen darfst oder fragen sie Dich?
J.L.T.: Sie fragen mich. Ich traf Don
Johnson auf einer Party in einem Club. Er fragte mich und ich sagte
"Ja". (Liest weiter die Liste runter und merkt, dass etwas
fehlt.) Ich war gerade noch an einem AC/DC-Tribute beteiligt - bisher
ohne Titel. Ich glaube, es ist schon veröffentlicht oder kommt
im Januar raus. U.a. mit Phil Collen von Def Leppard an der Gitarre
und Simon Wright am Schlazeug.
CMzN: Bei Lee Aaron und Bonfire hast
Du aber nur komponiert und nicht gesungen, oder?
J.L.T.: Ja, ganz genau.
H.J.H.: Was hast Du eigentlich gemacht,
bevor Du bei Fandango warst?
J.L.T.: Ich war bei einer Band, die
sich Ezra nannte.
CMzN: Ez... - was?
J.L.T.: Ezra. E.Z.R.A. Es war eine Heavy-Band.
Wir spielten eigene Stücke und Coverversionen wie z.B. von
Deep Purple. Die Band war gut und sehr populär. Wir spielten
in Schulen, Kirchen, in all den guten Clubs.
CMzN: Ihr habt nie `ne Platte gemacht?
J.L.T.: Nein, nur Demos.
CMzN:...die irgendwann mal in der Zukunft
veröffentlicht werden?
J.L.T.: Ja, das wäre cool.
CMzN: So, ich denke mal, das war`s.
J.L.T.: OK. Vielen Dank für`s Interview.
CMzN: Wir haben zu danken!
Übersetzung + pics: Christian Meyer zu Natrup
Quelle: The Aviator No. 5, April 1998
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