von Klaus Horn
Lange
Zeit hatte ich mir eingeredet, dass es zu aufwendig sei, wegen eines
einzigen Konzertes die lange Reise nach London anzutreten. Doch
eines Tages traf mich die Erkenntnis, dass ich unbedingt bei der
Wiederaufführung von Jon Lord`s "Concerto For Group and
Orchestra" dabei sein mußte. Und so kam es schließlich
zu meinem spontanen Kurzurlaub in England mit dem Konzertereignis
des Jahrzehnts als Höhepunkt.
Als ich vor der Halle stand, wunderte ich mich darüber, dass
die meistgesprochene Sprache hier deutsch zu sein schien. Aber es
waren sicherlich Fans aus der ganzen Welt anwesend.
Nach der Schlacht im Royal Albert Hall-Shop begab ich mich dann
voller Erwartung auf meinen recht guten Platz. Allein in dieser
Halle zu sitzen war schon ein Erlebnis. In ihrer Erhabenheit strömt
sie eine Feierlichkeit aus, die der ideale Rahmen für das bevorstehende
Ereignis war.
Zunächst führte das London Symphony Orchestra (LSO) die
"Four Scottish Dances, Op. 59" von Sir Malcolm Arnold
auf. Arnold, der vor 30 Jahren das "Concerto" dirigiert
hatte, konnte aufgrund einer Erkrankung leider nicht zu dem Konzert
erscheinen.
Das LSO wurde von Paul Mann dirigiert, der dann den Mann ansagte,
den er als einen der besten Menschen bezeichnete, die er jemals
getroffen hat: Jon Lord.
Als dieser - ganz in schwarz gekleidet - die Bühne betrat,
gab es die ersten stehenden Ovationen an diesem Abend; es sollten
nicht die letzten bleiben.
Sichtlich gerührt nahm Jon an seinem Piano platz und spielte
zwei der wundervollen Stücke seiner "Pictures Within"-
CD, zunächst den Titelsong mit Miller Anderson als Sänger,
dann "Wait a Little While" mit der bezaubernden Sam Brown
am Mikrophon.
Als
nächstes betrat Roger Glover die Bühne. Er hatte zwei
Songs von "Butterfly Ball" mitgebracht, "Sitting
in a Dream" und "Love is all". Beide Songs wurden
gesungen von Ronnie James Dio. Eddie Hardin saß am Piano;
Jon, Little Ian und Steve spielten ihre gewohnten Instrumente und
Graham Preskett spielte Geige.
Danach begrüßten sich Roger und Big Ian mit einem dicken
Schmatz. Überhaupt waren die Begrüßungen und später
die Verabschiedungen von einer unermesslichen Herzlichkeit geprägt.
Ian trug so etwas wie ein knielanges indisches Gewand, das so weiß
glänzte, dass es fast schon blendete. Irgendwie sah er aus
wie ein indischer Elvis nach einer Abmagerungskur. Er begann mit
"Via Miami", begleitet von Jon und Mickey Lee Soule vierhändig
am Piano, Roger, Ian und Steve Morris, den mancher im Publikum zunächst
für George Harrison hielt. Als zweiten Song hatte Ian "That's
Why God is Singing the Blues" ausgewählt.
Danach sagte Gillan das neueste Mitglied der Familie an: Steve Morse.
Dieser spielte mit der Steve Morse Band und dem Geiger Graham Preskett
zwei Instrumentalstücke; "Night Meets Light" und
"Take it Off the Top".
Dann folgte Little Ians Part: Deep Purple (minus Steve Morse) spielten,
unterstützt von Graham Preskett an der Geige und den Kick Horns
(die mit mir weder verwandt noch verschwägert sind), "Wring
that Neck", das nicht wenige Zuschauer von den Sitzen riss;
natürlich kam Ian`s Drumsarbeit nicht zu kurz.
Danach folgte eine Pause. Insgesamt gesehen war es schon bis dahin
ein besonderes Erlebnis gewesen, und man spürte, dass die meisten
in der Halle genauso empfanden. Der Hauch der Einmaligkeit dieses
Ereignisses schwebte ständig durch die Halle, so dass einem
manche Beiträge eine Gänsehaut bescherten. Ich habe auch
noch nie ein Konzert erlebt, bei dem so viel fotografiert wurde.
Jeder wollte eben diese magischen Momente irgendwie festhalten.
Als nächstes folgte das "Concerto For Group And Orchestra".
Zwar gehört die CD des alten "Concerto" nicht zu
den CDs, die ich
jeden Tag höre (was ich, seit ich von London wieder zurückgekehrt
bin, aber tatsächlich getan habe), doch hatte ich es noch so
gut im Gedächtnis, dass ich glaube, fast alle Veränderungen,
die Jon vorgenommen hat, herausgehört zu haben.
Die beiden Änderungen, die am meisten auffielen, waren folgende:
Ian Gillan durfte im 2. Movement den letzten Vers zwei Mal singen,
und am Anfang des 3. Movements gab es ein liebliches Zusammenspiel
zwischen Orgel und Gitarre.
Natürlich waren auch die Soli anders als man sie von der CD
kannte. Manch einer wartete wohl gespannt darauf, ob Steve Morse
seine Soli genauso spielen würde wie Ritchie Blackmore 30 Jahre
zuvor. Er tat es nicht; er meisterte diese Passagen auf seine Art
- als Steve Morse eben und nicht als Blackmore-Imitator. Doch auch
bei den anderen Soli wurde improvisiert, ganz gleich ob es sich
um Orgel oder Oboe handelte.
Überhaupt muss man feststellen, dass das London Symphony Orchestra
keine solchen Beerdigungsmienen wie seinerzeit das Royal Philharmonic
Orchestra zur Schau stellte. Man konnte sehen, dass es den Musikern
Spaß machte. Vor allem dem Mann hinter dem Xylophon merkte
man an, dass er seinen Einsatz gar nicht abwarten konnte.
Auch Steve Morse war in guter Stimmung; desöfteren stellte
er, wenn er gerade Pause hatte und auf seinem Stuhl saß, diverse
Orchestermusiker pantomimisch dar und spielte breit grinsend "Air-Xylophon".
Alle drei Movements waren - auch wenn man sie schon von der alten
CD her kannte - absolut mitreißend, und so wurden Band und
Orchester auch mit Applaus überschüttet.
Abgesehen von einer niederen Kreatur, die gelegentlich glaubte,
irgend etwas schreien zu müssen, war das Publikum übrigens
großartig, und ich bin stolz, ein Teil davon gewesen zu sein.
Danach spielten Deep Purple noch ein paar Songs - mit mehr oder
weniger Unterstützung durch das Orchester. Bei "Ted the
Mechanic" wurden Purple sowohl durch den Background-Chor, der
schon im Solo-Teil zeitweise zu hören gewesen war, die Kick
Horns und das Orchester begleitet. Dann folgten "Watching the
Sky" und "Sometimes I feel like going down to the Pub
and drink a few beers with my friends". Mit diesen neueren
Songs aus der Morse-Ära machten sie deutlich, dass es sich
hier nicht um eine Nostalgie- Sache handelte, sondern dass hier
eine lebendige, atmende Band spielte, von der noch einiges zu erwarten
ist.
Dann erzählte Ian Gillan, dass er den folgenden Song, mit dem
der Abend beendet werde, schon immer einmal mit einem
Orchester aufführen wollte und wie froh er sei, dass er es
jetzt sogar mit dem besten Orchester der Welt tun könne: "Pictures
of Home". Das LSO lieferte auch sogleich ein sagenhaftes Intro,
bevor Deep Purple dann loslegten.
Als sich alle umarmt und gegenseitig von der Bühne geführt
hatten, wurden sie vom donnernden Applaus wieder herbeigerufen,
und so kam es, wie es kommen musste...
Unterstützt vom Background-Chor, den Kick Horns und allen
Gastmusikern, die im ersten Teil des Konzerts aufgetreten waren,
sowie vom Publikum, dass es in Sachen Lautstärke durchaus mit
dem beim "Last Night of the Proms"- Konzert aufnehmen
konnte, spielten Deep Purple "Smoke On The Water". Den
zweiten Vers durfte übrigens der kleine Herr Dio singen.
Dieses Grand Finale rundete ein in seiner Art absolut einmaliges
Ereignis ab, und ich bin verdammt froh, dabeigewesen zu sein. Ich
werde wohl noch oft an diesen Abend zurückdenken.
pic oben (Konzertplakat): Wolfram Reeg
restliche pics: Axel Dauer
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