Infos, Downloads u.v.m.
Deep Purple - Live 2000
Zwickau, Stadthalle, 11.10.2000
München, Olympiahalle, 31.10.2000

von Thomas Wehlt

Als im Jahr 1969 das "Concerto For Group And Orchestra" in der ehrwürdigen Londoner Royal Albert Hall unter der Leitung von Sir Malcolm Arnold uraufgeführt wurde, war ich gerade mal 3 Jahre jung. Circa 10 Jahre später begann ich, dieses Werk bewusst kennen zu lernen und in den kommenden 20 Jahren sollte sich das "Concerto" zum maßgeblichen und richtungsweisenden Orientierungspunkt in der Herausbildung meiner musikalischen Interessen entwickeln. Das "Concerto" stellte für mich immer ein musikhistorisch ziemlich einzigartig gebliebenes, interdisziplinäres musikalisches Experiment dar, dessen symbiotische Verflechtung der sogenannten U- und E-Musik wegweisend sein sollte. Geschaffen von einem jungen, kreativen Rockmusiker namens Jon Lord, in Verbeugung vor seinen großen Vorbildern der klassischen Musikgeschichte. Vergleichbares hatte es bis zu jenem Zeitpunkt nicht gegeben und somit war es der ungezügelten, kreativen Experimentierfreudigkeit Lords und dem, sich über die engstirnigen Konventionen der damaligen "seriösen" Musikwelt hinwegsetzenden, Weitblick Malcolm Arnolds zu verdanken, dass vor nunmehr 31 Jahren das "Concerto" das Gehör der Musikwelt erreichte. Dem Zögling stand eine widrige Geburt vor. Der radikale Bruch des Freigeistes Lord mit allen, bis dahin scheinbar unverrückbaren und einengenden Barrieren zwischen U- und E-Musik, machte es sowohl der Gilde der Klassikkonsumenten als auch der Rock-Klientel nicht gerade einfach, diesen tönenden Konventionsbruch zu werten. Und so ging es diesem rocksinfonischen Opus lange Zeit so, wie den meisten unverstandenen, ihrer Zeit vorausweisenden Kunstwerken: Es fand, insbesondere in der Welt, der in ehernen Fesseln gefangenen ernsten Musik, welche ohnehin nur schwerlich akzeptieren konnte, dass da das renommierte Royal Philharmonic Orchestra mit seinem hochgeschätzten Dirigenten und Komponisten Sir Malcolm Arnold und obendrein auch noch in der traditionsverpflichtenden Royal Albert Hall mit einigen langhaarigen, dahergelaufenen Rockern musizierte, kaum Verständnis. Es ist bis heute als großes Verdienst Malcolm Arnolds anzuerkennen, dass er damals, entgegen vieler Widerstände und Ressentiments, sein vorantreibendes Engagement entfaltete und somit dem "Concerto" zur Aufführung verhalf. Wenn man sich vergegenwärtigt, welchen Status Deep Purple damals auf der britischen Insel hatte; ihre großen Platten sollten alle erst noch folgen, so ist es um so bemerkenswerter, dass dieses Konzert seinerzeit stattfinden konnte. Und es sollte viele Epigonen finden: Die 70er Jahre entwickelten sich zu einer Hochphase der Rocksinfonik. Jedoch, diese einzigartige Symbiose von Orchester und Rockband in einer durchkomponierten, homogenen Melange, formvollendet in klar definierter
sinfonischer Form, sollte kaum jemals wieder erreicht werden. Zwar multipliziert sich die Wirkung des Miteinander von Sinfonieorchester und Rockband bis hin in die Metallica&Scorpions-Gegenwart, aber es bleibt zu hinterfragen, ob dieses wirklich ein Miteinander ist. Denn zumeist erfüllt das Orchester nur die Rolle eines begleitenden und schmückenden Beiwerkes, welches die originäre Komposition nunmehr nur mittels schwülstiger, aufwendiger Arrangements aufbauscht. Das wirkliche MITEINANDER-Musizieren in einer explizit für Orchester und Rockband geschaffenen Komposition, hat in dieser endgültigen Konsequenz eigentlich nur Jon Lord, auch in seinen späteren Solowerken mit Eberhard Schoener, realisiert.

Zeitsprung: Nun also sollten anno 1999 zum 30jährigen "Concerto"-Jubiläum zwei denkwürdige Konzerte in eben jener Royal Albert Hall stattfinden. Als ich vor gut 2 Jahren von diesem Vorhaben erfuhr, konnte meine Vorfreude kaum Halt finden. Zu unglaublich schien mir diese Verwirklichung meines Traumes. Dank des großen Einsatzes aller Protagonisten wurden diese Konzerte zu einem kaum noch in Worte zu fassenden phänomenalen Highlight der DP-Karriere. Maestro Jon Lord, vom burschikosen Artwoods-Greenhorn zu einer nunmehr fundamentalen Musikerpersönlichkeit von großem Format gereift, sollte hier nun endlich die weltweite Anerkennung für sein Schaffen erfahren, welche ihm längst gebührt.
Natürlich war davon auszugehen, dass diese Konzerte in ´99 einmalige Events bleiben würden und von nun an das "Concerto" für alle, welche nicht in London dabei sein konnten, per CD & Videokonserve nachvollziehbar wäre. Dieser Fakt allein hätte für große Genugtuung in der DP-Community gesorgt. Als mich dann die schier unglaubliche Nachricht erreichte, dass Purple mit dem "Concerto" auf Tour gehen werden, verschlug es mir die Sprache. Nochmals: Ein Traum sollte wahr werden. Ich sollte Gelegenheit bekommen, dass "Concerto" livehaftig zu erleben. Kann sich ein DP-Fan noch eine Steigerung vorstellen? Wohl kaum, doch dazu später mehr. Es gab also kein Halten mehr, es mussten schleunigst Karten besorgt werden. Diese bekam ich dann auch für die Konzerte am 11. Oktober 2000 in Zwickau und am 31. Oktober 2000 in München. Also machte ich mich nun am 11. Oktober mit zwei weiteren DieHard-Fans auf den Weg in die Zwickauer Stadthalle. Die noch recht neue und einigermaßen gelungene Halle sollte sich als geeignete Location erweisen, welche auch mit einer akzeptablen Akustik dienen konnte. Dass die Sachsen eine große bekennende DP-Fanschar ihr eigen nennen können, ist bekannt; jahrzehntelanger Entzug wirkt bis heute nach; und somit war es nicht verwunderlich, dass die schätzungsweise 4000 Leute fassende Halle knüppelvoll gefüllt war. Es war ein sehr angenehmes Publikum anwesend, vom Teenager bis hin zum mit DP ergrauten Frührentner. Eine Mischung, die zeigt, dass auch in der heutigen, von Rap & Pop verseuchten MusikUNkultur, Fannachwuchs heranwächst, welcher nicht mit Britney Spears & Olli P.-Retorten-Dünnpfiff abzuspeisen ist, sondern nach qualitativ höherwertigerem verlangt.
Leider konnte ja während der letztjährigen atemberaubenden Jon Lord-Solotournee der großartige Miller Anderson nicht teilnehmen, Ian Gillan in Münchendeshalb freute es mich jetzt umso mehr, als Punkt 20.00 Uhr Jon Lord und Miller Anderson die Zwickauer Bühne betraten. Hochkonzentriert begannen sie im Verbund mit dem Romanian Philharmonic Orchestra das Titelstück der aktuellen Lord-Solo-LP "Pictured Within" zu intonieren und allein diese, unter die Haut gehende, emotionale Interpretation dieses feinfühlig-ruhigen Stückes hätte für die totale Glückseligkeit genügt. Miller´s Stimme war kräftig und ausdrucksstark und kam genau so brillant rüber wie auf CD. In London kam ja danach Sam Brown an die Reihe, welche leider, leider dieses Mal nicht dabei war. Schade, "Wait A While" mit großem Orchester hätte wohl auch für Gänsehaut pur gesorgt. Was soll's, ich hatte sie vergangenes Jahr während der Lord-Solotour erlebt und sie sollte mehr als repräsentativ ersetzt werden, durch den Mann, dessen Ankündigung Jon dann übernahm: RONNIE JAMES DIO. Eine der größten (nun, nicht gerade körperlich) Rockröhren dieses verkommenen Planeten gab sich in Zwickau die Ehre. UNGLAUBLICH!! Eine große Welle der Sympathie des Publikums empfing diese lebende Legende, welche viele unsterbliche Rock-Klassiker mit seiner ungeheuerlichen Stimme veredelt hat. Mit ihm erschienen Steve, Paicey und Roger auf der Bühne und demonstrierten erstmals an diesem Abend die Anwesenheit einer Hardrock-Band. Zunächst noch etwas verhalten mit "Sitting In A Dream" und dem swingenden "Love Is All" und anschließend mit der ganzen Power eines explodierenden Metal-Infernos bei den Dio-Songs "Fever Dreams" und "Rainbow In The Dark" (Assoziation zum Ableben von Blackmore´s Rainbow?!?). Es freute mich ganz besonders, dass endlich einmal die "Butterfly Ball"-Perlen des Roger Glover dem Dunkel des Vergessens entrissen wurden und eine angemessene Darbietung erfuhren. Man weiß, wie sehr der bescheidene, sympathische Roger unter der geringen Resonanz auf seine Solowerke litt und deswegen war es mir und ihm sicherlich auch eine große Genugtuung, seine Kompositionen einmal in einer solch herausragenden Interpretation zu hören. Bei "Love Is All" war dann erstmals auch das spürbar engagiert musizierende Rumänische Philharmonie-Orchester und die grandiose Bläser-Sektion in voluminöser Klanggewalt zu hören und sehr schnell lösten sich alle, vielleicht unterschwellig vorhandenen Vorurteile gegen einen rumänischen Klangkörper förmlich in Luft auf. Dass diese Tour mit dem London Symphony Orchester wirtschaftlich nicht machbar gewesen wäre, leuchtet wohl jedem, halbwegs realistisch Denkenden, ein. Dank eines, entgegen allen Konventionen, völlig ungezwungen agierenden, teilweise regelrecht headbangenden "seriösen" Dirigenten Paul Mann, dessen Anteil am Zustandekommen dieses Projektes wohl nicht hoch genug gewertet werden kann, sollte das Orchester auch im weiteren Verlauf des Abends zur klanglichen und spieltechnischen Hochform auflaufen. Die hohe gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung der "Rocker" auf der einen und der "Klassiker" auf der anderen Seite, lies sich während des Konzertverlaufes auch immer wieder an zahlreichen herzlichen Gesten, Umarmungen und Shakehands festmachen. Man spürte, die Chemie auf der Bühne stimmt; - auch zwischen Gitarrist und Sänger -, und den Leuten machte das gemeinsame Musizieren spürbar Vergnügen und jeder war bestrebt, den Fans "value for money" zu bieten. In Zwickau hatte an diesem Abend einer der Schlagwerker des Orchesters Geburtstag und die Band ließ es sich natürlich nicht nehmen, ein beschwingtes "Happy Birthday" für ihn anzustimmen. Auch an Intermezzos dieser Art ließ sich erkennen, dass die Distanz zwischen "seriösen" Sinfonikern auf der einen und "Rockern" auf der anderen Seite de facto nicht bestand und einem gegenseitig respektierenden und akzeptierenden Miteinander gewichen war. Vorgelebte musikalische Toleranz per excellence.
Nun aber zum weiteren Verlauf des Konzertes. Nach den relaxten "Butterfly Ball"-Songs lief Dio zur stimmlichen Hochform bei der Interpretation seiner eigenen Songs auf. Purple spielten hierbei ohne Unterstützung des Orchesters auf Volldampf und ließen dabei nix anbrennen. Für mich ist es immer wieder faszinierend, was dieser kleine, schmächtige Ronnie James Dio für ein unglaubliches Organ hat, mittels welchem er leicht gegen die brachialste Soundwand ansingen kann. Besonders, wenn man weiß, in welchem hohen Alter er sich mittlerweile befindet. Man stelle sich nur mal zum Vergleich seinen eigenen 60jährigen, hardrockenden Vater auf der Bühne vor?! Na ja, Dio wurde also nach seinen 4 Songs frenetisch verabschiedet, aber man wusste natürlich, dass dieser Abschied nur temporärer Natur sein sollte. Der außergewöhnliche Stellenwert dieser Konzerte lässt sich natürlich auch an einem solchen Fakt festmachen, dass ein Mann wie RJ Dio; eine Rock-Institution, eine lebende Legende, der nun wirklich niemandem mehr etwas beweisen muss; dass solch eine Persönlichkeit also, für eine 4 Titel umfassende Gastrolle die komplette Tour einer, in gewisser Weise auch konkurrierenden, Band mitfährt, dafür seine eigene Karriere ruhen lässt, sich somit zwangsläufig unterordnet und in die zweite Reihe stellt. Dies steht wohl auch deutlich im Wiederspruch zu einem, in der Vergangenheit gelegentlich von diversen HM-Publikationen geäußerten, Klischee eines übersteigerten Egos. Noch weiter in die Defensive stellte sich aber Miller Anderson, welcher, außer seiner "Pictured Within"-Interpretation, weitestgehend als Backgroundsänger fungierte und nur hin und wieder mal die Rhythmus-Klampfe bedienen durfte. Hier hätte ich mir gern noch eine vertiefende Einflechtung Miller´s in das Konzert gewünscht, warum nicht z.B. ein Duett mit Ian Gillan. Nach den Dio-Songs sollte ein weiterer Höhepunkt folgen, der Instrumental-Klassiker "Wring That Neck", gespielt ohne Gitarristen, dafür aber mit einem furios aufspielenden Bläser-Trio und einem entfesselt musizierenden Orchester. Die Solopassagen wurden abwechselnd von den drei Blasinstrumenten übernommen und auch Jon haute gewaltig in die Tasten. Der Song war ungemein peppig arrangiert und sorgte für tolle Stimmung in der Halle. Nun folgte ein unerwartetes Highlight des Abends. Ich sage nur: "FOOLS" Live. Eigentlich genügt das, was soll man da noch hinzufügen, wann hat man "Fools" jemals live zu Gehör bekommen. Dargeboten von einem stimmlich exzellent aufgelegten Ian Gillan, der offenbar wieder zu den herausragendsten stimmlichen Leistungen in der Lage ist und die verblüfft lauschenden Fans glauben lässt, seine Stimmbänder seien genmanipuliert um 30 Jahre verjüngt worden. Also, die Zeit ist wieder reif für "Child In Time", Ian! Besonders erfreulich war natürlich auch, dass mit "Fools" ein Stück ins Programm aufgenommen wurde, welches die Musiker in London nicht gespielt hatten. Doch bei diesem einen Titel sollte es nicht bleiben, denn es folgte gleich noch der nächste Hammer, Ian´s Lieblings-Blues "When A Blind Man Cries". Schauer der Emotionen durchliefen die verzücken Fans und es konnte wohl kaum noch besser werden. Während des Songs ließ sich eine besonders bewegende Geste beobachten. Ian Gillan reichte Jon während der Textzeile "Had a friend onced in a room" die Hand zu einem langen, warmen Händedruck, so als wolle er Jon für das Spielen dieses Songs danken, welcher in der Blackmore-Ära ein Schattendasein fristete. Nach diesen beschaulichen Klängen wurde es Zeit, dass Ted, der Mechaniker für ein bisschen Action in der Halle sorgte und dies tat er dann auch mit nachdrücklicher Konsequenz. Nun sollte die Stunde des "Erretters" folgen. Ich bezeichne Steve Morse gern als solchen, weil er es war, der Purple aus dem Tal der Blackmore-Tränen führte, sie reanimierte und dazu verhalf, dieses Urgestein des Hardrock wieder zu einem Albtraum für all die Pop-Looser werden zu lassen, welche anno 2000 nur in Ehrfurcht und Demut vor der wiedererstarkten Souveränität und Professionalität der Purpleschen "Dampframme" erstarren können. Steve spielte ein einzigartiges Gitarren-Stück namens "Guitar String" und zeigte den Anwesenden einmal mehr, dass auch ein Ritchie Blackmore ersetzbar ist, nach welchem allerdings heutzutage im Zusammenhang mit Deep Purple ohnehin kaum noch einer fragt. Es sollte ein weiterer Klassiker folgen: Eingeleitet durch eine wunderschöne Ouvertüre des Orchesters folgte "Pictures Of Home", wie immer mit einem glänzend aufgelegten Roger Glover, dessen Earthquake-Bass in diesem Stück immer besonders gut zur Geltung kommt. Die tolle Stimmung auf der Bühne ließ sich mehrfach auch im eher selten zu sehenden Status Quo-like Doppel-Ausfallschritt-Headbanging von Roger & Steve bewundern. Einfach köstlich. Nun folgte noch einer meiner Lieblingssongs aus den 90er Jahren: "Sometimes I Feel Like Screamin´". Mit diesem Meisterwerk ist Purple ein weiterer, ganz großer Wurf gelungen, welcher sich ohne Abstriche in die bedeutendsten Stücke Ihrer langen Karriere einreiht.
Jetzt aber sollte der ultimative Höhepunkt des Abends folgen, wegen dem der Großteil des anwesenden Auditoriums überhaupt erschienen war. Ian gab eine kurze Einführung und dann begann der Traum Realität zu werden. Ich sah und hörte das "Concerto For Group And Orchestra" live. WAAAAAHHNSINN!!!! Es war interessant, jede Note, die ich tausendfach zuvor gehört hatte, mit einem leibhaftigen, großen Orchester zu hören, und was soll ich sagen, mir wurden Details und Nuancen bewusst, welche ich, trotz meiner vermeintlich exakten Werkkenntnis, nie zuvor so deutlich wahrgenommen hatte. Die Komposition begann zu leben, sie drang ein in die musische Empfindsamkeit der Anwesenden und nahm die ganze Aufmerksamkeit des Hörers in Beschlag. Die Akustik war sehr gut und der exakt differenzierte und transparente Sound ließ jedes Instrument in aller Deutlichkeit zur Geltung kommen. Zum Glück war das Zwickauer Publikum weitestgehend konzentriert und ruhig und es waren wohl viele Leute da, die über hinreichend Werkkenntnis verfügten, um genau an den richtigen Stellen zu applaudieren. Dies fiel mir rückblickend ganz besonders positiv auf, als ich in München während des "Concertos" diverse unterbelichtete Störenfriede am liebsten aus der Halle gebeamt hätte. In Zwickau jedoch konnte man sich relativ ungestört auf das Werk konzentrieren und es war sehr angenehm zu sehen, mit welcher Hingabe Orchester, Dirigent und Rockband interagierten. Es war mir eine große Genugtuung, den Gipfelpunkt des Lordschen Schaffens in solch vollendeter Interpretation zu hören und zu sehen. Ergreifend, mit welcher Inbrunst auch Ian Gillan seinen legendären Vokalpart im zweiten Satz absolvierte, wie werkdienlich sich Allround-Gitarrist Steve Morse in die Komposition integrierte und ihr auch neue Aspekte abzugewinnen wusste. Definitiv stelle ich die These in den Raum, Steve Morse in Münchendass diese Tour so mit Blackmore nie hätte stattfinden können. Wir kennen ja nur zu gut den vielbeschriebenen Dissens zwischen Lord´s Vorlieben für klassische Musik und Blackmores Hardrock-Faible, welcher nur selten zu Zugeständnissen bereit war. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er bereit gewesen wäre, sich eine komplette Tour weitestgehend in den Dienst einer formal klassischen Komposition zu stellen. Allerdings, wenn ich mir da heute so manches "Blackmore´s Night"-Stück anhöre, so ist es vielleicht doch denkbar, dass Ritchie mittlerweile auch einige Klassikeinflüsse akzeptiert (wer hätte sich vor 30 Jahren vorstellen können, dass dieser Derwisch von einst dem Minnesang frönen würde?).
Wie auch immer, auch dieses Monumentalwerk endete irgendwann und es folgten Standing Ovations der begeisterten Fans. Nun brauchte man sich allerdings auch nicht mehr hinzusetzen, denn es sollte eine finale Tour de force mit drei weiteren Alltime-Klassikern folgen. Einer, der sich meiner Meinung nach mit am besten für eine Orchestrierung eignende DP-Titel, ist der 84er Überflieger "Perfect Strangers", das mit Abstand nachhaltigste Meisterwerk aus den 80er Jahren. Dies sollte sich in der nunmehr folgenden voluminösen Interpretation massiv bestätigen. Unverständlich, dass Purple diesen Song nicht schon im Londoner Konzert gebracht hatten. Nun hat also doch die substantiell fülligere Komposition obsiegt und es wurde dafür auf "Watching The Sky", nicht ganz zu unrecht, verzichtet. Recht so! "Perfect Strangers" hat definitiv Hymnen-Charakter und den gewissen orientalischen Touch dieses Stückes illustrierte Gillan in München mit adäquaten, lustig anzuschauenden Tanzeinlagen. Es fehlte nun eigentlich nur noch ein essentieller Song: "Smoke On The Water". Was könnte ich hierzu denn noch schreiben, was nicht schon Tausende Male in Worte gefasst wurde. Well, auch dieses mal entfesselte dieser Song natürlich den kollektiven Begeisterungstaumel und es hielt endgültig keinen der Anwesenden mehr auf den Sitzen. Grandios, wie sich die beiden "Voices of Hardrock" Gillan & Dio die Vocals teilten und diesen Song, nach all den Jahren, immer noch mit phänomenaler Frische und Überzeugungskraft rüberbrachten.
Wenn mir vor 10 Jahren, als ein gewisser Joe Lynn Turner mit einer demotivierten, am kreativen Tiefpunkt angelangten Rudiment-Band eine ernüchternde Tour absolvierte, also wenn mir da einer prophezeit hätte: "Thomas, Du wirst diese Band auferstehen sehen und in nie zuvor gehörter, Sinne- und Ohren weitender Klasse, "Smoke On The Water" spielen hören"- Ich hätte ihm wohl kaum Glauben schenken können. Nun aber erfüllte sich diese fiktive Prophezeiung und es war einfach nur noch GENIAL!!!! Punkt. Aus.
Klar, dass nun erst mal Schluss war. Es war ja mittlerweile auch schon 2 1/2 Stunden effektive Spielzeit vergangen. Aber die hungrigen Freaks wollten mehr, viel mehr! Und Purple ließen sich nicht all zu lange bitten und zimmerten noch einen, die Grundfeste der Halle zum Beben bringenden "Highway Star"-Ritt auf die Bretter, nach dessen Ankunft dann allerdings endgültig Schicht war.
Für das Münchener Konzert bleibt nicht viel zu ergänzen. Am 31. Oktober waren "the boys are back in town" und sie hatten wieder die riesige Münchner Olympiahalle gebucht. Ich gestehe, dass ich schon recht skeptisch war, was den Run des Publikums auf dieses Konzert anbelangte. München ist ein ganz schwieriges Pflaster, zu groß ist das Angebot und bei einem Ticketpreis von 110.-DM überlegt es sich so manch einer schon zweimal, zu welchem Konzert er geht. Auf der "Abandon"-Tour schafften es Purple nicht, die Halle komplett zu füllen und auch dieses mal war sie nicht ausverkauft. Aber verkaufe mal 12.000 Karten zu 110.- DM in München. Das schaffen nur noch ganz wenige Hardrock-Bands. Meines Erachtens wäre die Münchener Philharmonie die geeignetere Konzertstätte gewesen. Aber sei's drum, Purple waren da und die Halle war zu gut 80% gefüllt. Natürlich war auch hier die Arena komplett bestuhlt und machte echt was her. Vor dem Konzert kam ich mit ein paar Leuten ins Gespräch, die Eltern mit ihrer ca. 18jährigen Tochter, welche gerade stolze Besitzerin eines sündteuren Purple-T-Shirts geworden war. DEEP PURPLE-Generationen übergreifend, Generationen verbindend.
Die Setlist des Abends war weitestgehend identisch mit Zwickau. Die Unterschiede waren im Detail zu finden, kein Solo der Protagonisten war gleich der Zwickauer Version. Steve Morse improvisierte immer wieder munter drauf los und so war auch sein Gitarren-Solostück meinem Gehör nach ein anderes als in Zwickau. Es war ein absolut mitreisendes, sehr schnell gespieltes furioses Duell zwischen Gitarre und Orchester in einer aberwitzigen Geschwindigkeit Namens "Guitar String". Ich würde mal sagen "Speed Metal meets Symphonic".
Wider Erwarten hatten es die Soundhexer doch tatsächlich geschafft, in der akustisch eher unglücklichen Olympiahalle, einen recht akzeptablen Sound hinzumixen und so war dank eines differenzierten Klangbildes auch hier für detailliertes Zuhören gesorgt. Besonders Rogers Basspiel kam wunderbar zur Geltung und es war famos anzuhören, was dieser stille Meister seines Instrumentes diesem immer wieder an irrwitzigen Läufen entlockte. Wunderbar auch immer wieder die symbiotischen Duelle von Ian´s Stimme und Jon´s Orgel bzw. Steve´s Gitarre. Nur ein Gillan in Hochform ist dazu in der Lage. Und er war in Hochform, wie er auch immer wieder mit seinen hohen, legendären screams und den unverzichtbaren "I thank you"-Schreieskapaden unter Beweis stellte. Und Paicey, ja was soll man zu ihm noch sagen. Ich kann mich da nur Jon Lord anschließen, welcher Ian in München bei "Wring That Neck" als den "Best drummer in the world" ankündigte. Dass dessen Trommelkunst mittlerweile auch die allerhöchste Wertschätzung in der Elite-Liga der Rockmusik genießt, lässt sich nicht zuletzt durch das Engagement bei der aktuellen McCartney-Platte belegen. Was könnte ein Drummer noch erreichen? Absolute Referenzklasse. Hoffentlich setzt Ian bald sein Vorhaben einer Soloplatte in die Tat um und zeigt allen Appice´s, Powell´s (R.I.P.) und Ward´s dieser Welt einmal, dass auch sie ihren Meister finden. Weil ich gerade über Trommler rede. Dem Schlagwerker der Rumänischen Philharmoniker empfehle ich schnellstmöglich einer Rockband beizutreten, denn wie sieht das denn aus, ein headbangender, Air-Gitarre spielender Sinfoniker im Smoking inmitten eines Sinfonieorchesters. Ansonsten, Dank dem großartigen Orchester für beseeltes und blutvolles Spielen einer sicherlich nicht gerade alltäglichen musikalischen Materie. Aber ich hatte schon den Eindruck, dass die meisten der Musiker auch mit dem Herzen dabei waren. Und Entschuldigung für all jene bayrischen Dilletanten und Schrumpfköpfe, welche in München an den unmöglichsten Stellen des "Concertos" in unmotiviertes Pfeifen, Johlen, Klatschen und Rufen ausbrachen und dadurch nachhaltig störten. Fehlte nur noch der Ruf eines ewig Gestrigen nach Ritchie. Dennoch war auch in der Olympiahalle die Stimmung allerbestens und zur Krönung dieses letzten Deutschland-Auftrittes gab es sogar noch "Black Night" als zweite Zugabe.
In selbige entschwanden wir hernach voller Zufriedenheit und hoffen nun auf das hoffentlich in Bälde erscheinende neue DP-Album.
Ist diese Tour noch zu toppen? Ja! - Lasst mich tagträumen: Im Jahre 2003 zum 35jährigen Jubiläum der Band findet eine Abschiedstour statt (als Realist muss man erkennen, dass auch die Tage dieser Band gezählt sind und es nicht mehr ewig weiter gehen kann.) Während dieses Konzertes werden alle noch lebenden Member der Band auf der Bühne stehen und in Eintracht einer epochalen Karriere der Rockgeschichte huldigen. Steve, Joe und Ritchie werden ein nie zuvor gehörtes Gitarreninferno entfachen, zu welchem Glenn, David, Ian, Rod und von mir aus auch Joe Lynn Turner die Rhythmen in Texte kleiden. Die gewaltigste Bass-Army des Universums wird durch Nick, Glenn und Roger die Fundamente erbeben lassen und im Verbund mit Jon´s Orgelsound und Paicey´s Powerdrumming ein Tondokument für die Ewigkeit mit Endgültigkeitsstatus erschaffen. "Our brother in heaven" Tommy Bolin wird mit Wohlwollen nach unten blicken, in seliger Zufriedenheit einen Joint genießen und hoffen, dass er noch recht lange auf seine Kumpels da unten warten muss.
Ob es jemals dazu kommt? Wer weiß? Hat jemals jemand an eine "Concerto"-Tour mit Gillan und Dio geglaubt?
Die Zeit wird es zeigen!

PS.: "April" hätte verdammt noch mal perfekt in die Setlist gepasst.
PPS.: Man vergebe mir, wenn ich zu oft mit Worten wie "legendär" und anderen Superlativen agierte, aber es ist nicht leicht, für überbordende Begeisterung immer neue Vokabeln zu finden.

E-Mail Thomas Wehlt

pics: Hagen Wolf