von Thomas Wehlt
Als im Jahr 1969 das "Concerto For Group And Orchestra"
in der ehrwürdigen Londoner Royal Albert Hall unter der Leitung
von Sir Malcolm Arnold uraufgeführt wurde, war ich gerade mal
3 Jahre jung. Circa 10 Jahre später begann ich, dieses Werk
bewusst kennen zu lernen und in den kommenden 20 Jahren sollte sich
das "Concerto" zum maßgeblichen und richtungsweisenden
Orientierungspunkt in der Herausbildung meiner musikalischen Interessen
entwickeln. Das "Concerto" stellte für mich immer
ein musikhistorisch ziemlich einzigartig gebliebenes, interdisziplinäres
musikalisches Experiment dar, dessen symbiotische Verflechtung der
sogenannten U- und E-Musik wegweisend sein sollte. Geschaffen von
einem jungen, kreativen Rockmusiker namens Jon Lord, in Verbeugung
vor seinen großen Vorbildern der klassischen Musikgeschichte.
Vergleichbares hatte es bis zu jenem Zeitpunkt nicht gegeben und
somit war es der ungezügelten, kreativen Experimentierfreudigkeit
Lords und dem, sich über die engstirnigen Konventionen der
damaligen "seriösen" Musikwelt hinwegsetzenden, Weitblick
Malcolm Arnolds zu verdanken, dass vor nunmehr 31 Jahren das "Concerto"
das Gehör der Musikwelt erreichte. Dem Zögling stand eine
widrige Geburt vor. Der radikale Bruch des Freigeistes Lord mit
allen, bis dahin scheinbar unverrückbaren und einengenden Barrieren
zwischen U- und E-Musik, machte es sowohl der Gilde der Klassikkonsumenten
als auch der Rock-Klientel nicht gerade einfach, diesen tönenden
Konventionsbruch zu werten. Und so ging es diesem rocksinfonischen
Opus lange Zeit so, wie den meisten unverstandenen, ihrer Zeit vorausweisenden
Kunstwerken: Es fand, insbesondere in der Welt, der in ehernen Fesseln
gefangenen ernsten Musik, welche ohnehin nur schwerlich akzeptieren
konnte, dass da das renommierte Royal Philharmonic Orchestra mit
seinem hochgeschätzten Dirigenten und Komponisten Sir Malcolm
Arnold und obendrein auch noch in der traditionsverpflichtenden
Royal Albert Hall mit einigen langhaarigen, dahergelaufenen Rockern
musizierte, kaum Verständnis. Es ist bis heute als großes
Verdienst Malcolm Arnolds anzuerkennen, dass er damals, entgegen
vieler Widerstände und Ressentiments, sein vorantreibendes
Engagement entfaltete und somit dem "Concerto" zur Aufführung
verhalf. Wenn man sich vergegenwärtigt, welchen Status Deep
Purple damals auf der britischen Insel hatte; ihre großen
Platten sollten alle erst noch folgen, so ist es um so bemerkenswerter,
dass dieses Konzert seinerzeit stattfinden konnte. Und es sollte
viele Epigonen finden: Die 70er Jahre entwickelten sich zu einer
Hochphase der Rocksinfonik. Jedoch, diese einzigartige Symbiose
von Orchester und Rockband in einer durchkomponierten, homogenen
Melange, formvollendet in klar definierter
sinfonischer Form, sollte kaum jemals wieder erreicht werden. Zwar
multipliziert sich die Wirkung des Miteinander von Sinfonieorchester
und Rockband bis hin in die Metallica&Scorpions-Gegenwart, aber
es bleibt zu hinterfragen, ob dieses wirklich ein Miteinander ist.
Denn zumeist erfüllt das Orchester nur die Rolle eines begleitenden
und schmückenden Beiwerkes, welches die originäre Komposition
nunmehr nur mittels schwülstiger, aufwendiger Arrangements
aufbauscht. Das wirkliche MITEINANDER-Musizieren in einer explizit
für Orchester und Rockband geschaffenen Komposition, hat in
dieser endgültigen Konsequenz eigentlich nur Jon Lord, auch
in seinen späteren Solowerken mit Eberhard Schoener, realisiert.
Zeitsprung: Nun also sollten anno 1999 zum 30jährigen "Concerto"-Jubiläum
zwei denkwürdige Konzerte in eben jener Royal Albert Hall stattfinden.
Als ich vor gut 2 Jahren von diesem Vorhaben erfuhr, konnte meine
Vorfreude kaum Halt finden. Zu unglaublich schien mir diese Verwirklichung
meines Traumes. Dank des großen Einsatzes aller Protagonisten
wurden diese Konzerte zu einem kaum noch in Worte zu fassenden phänomenalen
Highlight der DP-Karriere. Maestro Jon Lord, vom burschikosen Artwoods-Greenhorn
zu einer nunmehr fundamentalen Musikerpersönlichkeit von großem
Format gereift, sollte hier nun endlich die weltweite Anerkennung
für sein Schaffen erfahren, welche ihm längst gebührt.
Natürlich war davon auszugehen, dass diese Konzerte in ´99
einmalige Events bleiben würden und von nun an das "Concerto"
für alle, welche nicht in London dabei sein konnten, per CD
& Videokonserve nachvollziehbar wäre. Dieser Fakt allein
hätte für große Genugtuung in der DP-Community gesorgt.
Als mich dann die schier unglaubliche Nachricht erreichte, dass
Purple mit dem "Concerto" auf Tour gehen werden, verschlug
es mir die Sprache. Nochmals: Ein Traum sollte wahr werden. Ich
sollte Gelegenheit bekommen, dass "Concerto" livehaftig
zu erleben. Kann sich ein DP-Fan noch eine Steigerung vorstellen?
Wohl kaum, doch dazu später mehr. Es gab also kein Halten mehr,
es mussten schleunigst Karten besorgt werden. Diese bekam ich dann
auch für die Konzerte am 11. Oktober 2000 in Zwickau und am
31. Oktober 2000 in München. Also machte ich mich nun am 11.
Oktober mit zwei weiteren DieHard-Fans auf den Weg in die Zwickauer
Stadthalle. Die noch recht neue und einigermaßen gelungene
Halle sollte sich als geeignete Location erweisen, welche auch mit
einer akzeptablen Akustik dienen konnte. Dass die Sachsen eine große
bekennende DP-Fanschar ihr eigen nennen können, ist bekannt;
jahrzehntelanger Entzug wirkt bis heute nach; und somit war es nicht
verwunderlich, dass die schätzungsweise 4000 Leute fassende
Halle knüppelvoll gefüllt war. Es war ein sehr angenehmes
Publikum anwesend, vom Teenager bis hin zum mit DP ergrauten Frührentner.
Eine Mischung, die zeigt, dass auch in der heutigen, von Rap &
Pop verseuchten MusikUNkultur, Fannachwuchs heranwächst, welcher
nicht mit Britney Spears & Olli P.-Retorten-Dünnpfiff abzuspeisen
ist, sondern nach qualitativ höherwertigerem verlangt.
Leider konnte ja während der letztjährigen atemberaubenden
Jon Lord-Solotournee der großartige Miller Anderson nicht
teilnehmen, deshalb
freute es mich jetzt umso mehr, als Punkt 20.00 Uhr Jon Lord und
Miller Anderson die Zwickauer Bühne betraten. Hochkonzentriert
begannen sie im Verbund mit dem Romanian Philharmonic Orchestra
das Titelstück der aktuellen Lord-Solo-LP "Pictured Within"
zu intonieren und allein diese, unter die Haut gehende, emotionale
Interpretation dieses feinfühlig-ruhigen Stückes hätte
für die totale Glückseligkeit genügt. Miller´s
Stimme war kräftig und ausdrucksstark und kam genau so brillant
rüber wie auf CD. In London kam ja danach Sam Brown an die
Reihe, welche leider, leider dieses Mal nicht dabei war. Schade,
"Wait A While" mit großem Orchester hätte wohl
auch für Gänsehaut pur gesorgt. Was soll's, ich hatte
sie vergangenes Jahr während der Lord-Solotour erlebt und sie
sollte mehr als repräsentativ ersetzt werden, durch den Mann,
dessen Ankündigung Jon dann übernahm: RONNIE JAMES DIO.
Eine der größten (nun, nicht gerade körperlich)
Rockröhren dieses verkommenen Planeten gab sich in Zwickau
die Ehre. UNGLAUBLICH!! Eine große Welle der Sympathie des
Publikums empfing diese lebende Legende, welche viele unsterbliche
Rock-Klassiker mit seiner ungeheuerlichen Stimme veredelt hat. Mit
ihm erschienen Steve, Paicey und Roger auf der Bühne und demonstrierten
erstmals an diesem Abend die Anwesenheit einer Hardrock-Band. Zunächst
noch etwas verhalten mit "Sitting In A Dream" und dem
swingenden "Love Is All" und anschließend mit der
ganzen Power eines explodierenden Metal-Infernos bei den Dio-Songs
"Fever Dreams" und "Rainbow In The Dark" (Assoziation
zum Ableben von Blackmore´s Rainbow?!?). Es freute mich ganz
besonders, dass endlich einmal die "Butterfly Ball"-Perlen
des Roger Glover dem Dunkel des Vergessens entrissen wurden und
eine angemessene Darbietung erfuhren. Man weiß, wie sehr der
bescheidene, sympathische Roger unter der geringen Resonanz auf
seine Solowerke litt und deswegen war es mir und ihm sicherlich
auch eine große Genugtuung, seine Kompositionen einmal in
einer solch herausragenden Interpretation zu hören. Bei "Love
Is All" war dann erstmals auch das spürbar engagiert musizierende
Rumänische Philharmonie-Orchester und die grandiose Bläser-Sektion
in voluminöser Klanggewalt zu hören und sehr schnell lösten
sich alle, vielleicht unterschwellig vorhandenen Vorurteile gegen
einen rumänischen Klangkörper förmlich in Luft auf.
Dass diese Tour mit dem London Symphony Orchester wirtschaftlich
nicht machbar gewesen wäre, leuchtet wohl jedem, halbwegs realistisch
Denkenden, ein. Dank eines, entgegen allen Konventionen, völlig
ungezwungen agierenden, teilweise regelrecht headbangenden "seriösen"
Dirigenten Paul Mann, dessen Anteil am Zustandekommen dieses Projektes
wohl nicht hoch genug gewertet werden kann, sollte das Orchester
auch im weiteren Verlauf des Abends zur klanglichen und spieltechnischen
Hochform auflaufen. Die hohe gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung
der "Rocker" auf der einen und der "Klassiker"
auf der anderen Seite, lies sich während des Konzertverlaufes
auch immer wieder an zahlreichen herzlichen Gesten, Umarmungen und
Shakehands festmachen. Man spürte, die Chemie auf der Bühne
stimmt; - auch zwischen Gitarrist und Sänger -, und den Leuten
machte das gemeinsame Musizieren spürbar Vergnügen und
jeder war bestrebt, den Fans "value for money" zu bieten.
In Zwickau hatte an diesem Abend einer der Schlagwerker des Orchesters
Geburtstag und die Band ließ es sich natürlich nicht
nehmen, ein beschwingtes "Happy Birthday" für ihn
anzustimmen. Auch an Intermezzos dieser Art ließ sich erkennen,
dass die Distanz zwischen "seriösen" Sinfonikern
auf der einen und "Rockern" auf der anderen Seite de facto
nicht bestand und einem gegenseitig respektierenden und akzeptierenden
Miteinander gewichen war. Vorgelebte musikalische Toleranz per excellence.
Nun aber zum weiteren Verlauf des Konzertes. Nach den relaxten "Butterfly
Ball"-Songs lief Dio zur stimmlichen Hochform bei der Interpretation
seiner eigenen Songs auf. Purple spielten hierbei ohne Unterstützung
des Orchesters auf Volldampf und ließen dabei nix anbrennen.
Für mich ist es immer wieder faszinierend, was dieser kleine,
schmächtige Ronnie James Dio für ein unglaubliches Organ
hat, mittels welchem er leicht gegen die brachialste Soundwand ansingen
kann. Besonders, wenn man weiß, in welchem hohen Alter er
sich mittlerweile befindet. Man stelle sich nur mal zum Vergleich
seinen eigenen 60jährigen, hardrockenden Vater auf der Bühne
vor?! Na ja, Dio wurde also nach seinen 4 Songs frenetisch verabschiedet,
aber man wusste natürlich, dass dieser Abschied nur temporärer
Natur sein sollte. Der außergewöhnliche Stellenwert dieser
Konzerte lässt sich natürlich auch an einem solchen Fakt
festmachen, dass ein Mann wie RJ Dio; eine Rock-Institution, eine
lebende Legende, der nun wirklich niemandem mehr etwas beweisen
muss; dass solch eine Persönlichkeit also, für eine 4
Titel umfassende Gastrolle die komplette Tour einer, in gewisser
Weise auch konkurrierenden, Band mitfährt, dafür seine
eigene Karriere ruhen lässt, sich somit zwangsläufig unterordnet
und in die zweite Reihe stellt. Dies steht wohl auch deutlich im
Wiederspruch zu einem, in der Vergangenheit gelegentlich von diversen
HM-Publikationen geäußerten, Klischee eines übersteigerten
Egos. Noch weiter in die Defensive stellte sich aber Miller Anderson,
welcher, außer seiner "Pictured Within"-Interpretation,
weitestgehend als Backgroundsänger fungierte und nur hin und
wieder mal die Rhythmus-Klampfe bedienen durfte. Hier hätte
ich mir gern noch eine vertiefende Einflechtung Miller´s in
das Konzert gewünscht, warum nicht z.B. ein Duett mit Ian Gillan.
Nach den Dio-Songs sollte ein weiterer Höhepunkt folgen, der
Instrumental-Klassiker "Wring That Neck", gespielt ohne
Gitarristen, dafür aber mit einem furios aufspielenden Bläser-Trio
und einem entfesselt musizierenden Orchester. Die Solopassagen wurden
abwechselnd von den drei Blasinstrumenten übernommen und auch
Jon haute gewaltig in die Tasten. Der Song war ungemein peppig arrangiert
und sorgte für tolle Stimmung in der Halle. Nun folgte ein
unerwartetes Highlight des Abends. Ich sage nur: "FOOLS"
Live. Eigentlich genügt das, was soll man da noch hinzufügen,
wann hat man "Fools" jemals live zu Gehör bekommen.
Dargeboten von einem stimmlich exzellent aufgelegten Ian Gillan,
der offenbar wieder zu den herausragendsten stimmlichen Leistungen
in der Lage ist und die verblüfft lauschenden Fans glauben
lässt, seine Stimmbänder seien genmanipuliert um 30 Jahre
verjüngt worden. Also, die Zeit ist wieder reif für "Child
In Time", Ian! Besonders erfreulich war natürlich auch,
dass mit "Fools" ein Stück ins Programm aufgenommen
wurde, welches die Musiker in London nicht gespielt hatten. Doch
bei diesem einen Titel sollte es nicht bleiben, denn es folgte gleich
noch der nächste Hammer, Ian´s Lieblings-Blues "When
A Blind Man Cries". Schauer der Emotionen durchliefen die verzücken
Fans und es konnte wohl kaum noch besser werden. Während des
Songs ließ sich eine besonders bewegende Geste beobachten.
Ian Gillan reichte Jon während der Textzeile "Had a friend
onced in a room" die Hand zu einem langen, warmen Händedruck,
so als wolle er Jon für das Spielen dieses Songs danken, welcher
in der Blackmore-Ära ein Schattendasein fristete. Nach diesen
beschaulichen Klängen wurde es Zeit, dass Ted, der Mechaniker
für ein bisschen Action in der Halle sorgte und dies tat er
dann auch mit nachdrücklicher Konsequenz. Nun sollte die Stunde
des "Erretters" folgen. Ich bezeichne Steve Morse gern
als solchen, weil er es war, der Purple aus dem Tal der Blackmore-Tränen
führte, sie reanimierte und dazu verhalf, dieses Urgestein
des Hardrock wieder zu einem Albtraum für all die Pop-Looser
werden zu lassen, welche anno 2000 nur in Ehrfurcht und Demut vor
der wiedererstarkten Souveränität und Professionalität
der Purpleschen "Dampframme" erstarren können. Steve
spielte ein einzigartiges Gitarren-Stück namens "Guitar
String" und zeigte den Anwesenden einmal mehr, dass auch ein
Ritchie Blackmore ersetzbar ist, nach welchem allerdings heutzutage
im Zusammenhang mit Deep Purple ohnehin kaum noch einer fragt. Es
sollte ein weiterer Klassiker folgen: Eingeleitet durch eine wunderschöne
Ouvertüre des Orchesters folgte "Pictures Of Home",
wie immer mit einem glänzend aufgelegten Roger Glover, dessen
Earthquake-Bass in diesem Stück immer besonders gut zur Geltung
kommt. Die tolle Stimmung auf der Bühne ließ sich mehrfach
auch im eher selten zu sehenden Status Quo-like Doppel-Ausfallschritt-Headbanging
von Roger & Steve bewundern. Einfach köstlich. Nun folgte
noch einer meiner Lieblingssongs aus den 90er Jahren: "Sometimes
I Feel Like Screamin´". Mit diesem Meisterwerk ist Purple
ein weiterer, ganz großer Wurf gelungen, welcher sich ohne
Abstriche in die bedeutendsten Stücke Ihrer langen Karriere
einreiht.
Jetzt aber sollte der ultimative Höhepunkt des Abends folgen,
wegen dem der Großteil des anwesenden Auditoriums überhaupt
erschienen war. Ian gab eine kurze Einführung und dann begann
der Traum Realität zu werden. Ich sah und hörte das "Concerto
For Group And Orchestra" live. WAAAAAHHNSINN!!!! Es war interessant,
jede Note, die ich tausendfach zuvor gehört hatte, mit einem
leibhaftigen, großen Orchester zu hören, und was soll
ich sagen, mir wurden Details und Nuancen bewusst, welche ich, trotz
meiner vermeintlich exakten Werkkenntnis, nie zuvor so deutlich
wahrgenommen hatte. Die Komposition begann zu leben, sie drang ein
in die musische Empfindsamkeit der Anwesenden und nahm die ganze
Aufmerksamkeit des Hörers in Beschlag. Die Akustik war sehr
gut und der exakt differenzierte und transparente Sound ließ
jedes Instrument in aller Deutlichkeit zur Geltung kommen. Zum Glück
war das Zwickauer Publikum weitestgehend konzentriert und ruhig
und es waren wohl viele Leute da, die über hinreichend Werkkenntnis
verfügten, um genau an den richtigen Stellen zu applaudieren.
Dies fiel mir rückblickend ganz besonders positiv auf, als
ich in München während des "Concertos" diverse
unterbelichtete Störenfriede am liebsten aus der Halle gebeamt
hätte. In Zwickau jedoch konnte man sich relativ ungestört
auf das Werk konzentrieren und es war sehr angenehm zu sehen, mit
welcher Hingabe Orchester, Dirigent und Rockband interagierten.
Es war mir eine große Genugtuung, den Gipfelpunkt des Lordschen
Schaffens in solch vollendeter Interpretation zu hören und
zu sehen. Ergreifend, mit welcher Inbrunst auch Ian Gillan seinen
legendären Vokalpart im zweiten Satz absolvierte, wie werkdienlich
sich Allround-Gitarrist Steve Morse in die Komposition integrierte
und ihr auch neue Aspekte abzugewinnen wusste. Definitiv stelle
ich die These in den Raum, dass
diese Tour so mit Blackmore nie hätte stattfinden können.
Wir kennen ja nur zu gut den vielbeschriebenen Dissens zwischen
Lord´s Vorlieben für klassische Musik und Blackmores
Hardrock-Faible, welcher nur selten zu Zugeständnissen bereit
war. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er bereit gewesen wäre,
sich eine komplette Tour weitestgehend in den Dienst einer formal
klassischen Komposition zu stellen. Allerdings, wenn ich mir da
heute so manches "Blackmore´s Night"-Stück
anhöre, so ist es vielleicht doch denkbar, dass Ritchie mittlerweile
auch einige Klassikeinflüsse akzeptiert (wer hätte sich
vor 30 Jahren vorstellen können, dass dieser Derwisch von einst
dem Minnesang frönen würde?).
Wie auch immer, auch dieses Monumentalwerk endete irgendwann und
es folgten Standing Ovations der begeisterten Fans. Nun brauchte
man sich allerdings auch nicht mehr hinzusetzen, denn es sollte
eine finale Tour de force mit drei weiteren Alltime-Klassikern folgen.
Einer, der sich meiner Meinung nach mit am besten für eine
Orchestrierung eignende DP-Titel, ist der 84er Überflieger
"Perfect Strangers", das mit Abstand nachhaltigste Meisterwerk
aus den 80er Jahren. Dies sollte sich in der nunmehr folgenden voluminösen
Interpretation massiv bestätigen. Unverständlich, dass
Purple diesen Song nicht schon im Londoner Konzert gebracht hatten.
Nun hat also doch die substantiell fülligere Komposition obsiegt
und es wurde dafür auf "Watching The Sky", nicht
ganz zu unrecht, verzichtet. Recht so! "Perfect Strangers"
hat definitiv Hymnen-Charakter und den gewissen orientalischen Touch
dieses Stückes illustrierte Gillan in München mit adäquaten,
lustig anzuschauenden Tanzeinlagen. Es fehlte nun eigentlich nur
noch ein essentieller Song: "Smoke On The Water". Was
könnte ich hierzu denn noch schreiben, was nicht schon Tausende
Male in Worte gefasst wurde. Well, auch dieses mal entfesselte dieser
Song natürlich den kollektiven Begeisterungstaumel und es hielt
endgültig keinen der Anwesenden mehr auf den Sitzen. Grandios,
wie sich die beiden "Voices of Hardrock" Gillan &
Dio die Vocals teilten und diesen Song, nach all den Jahren, immer
noch mit phänomenaler Frische und Überzeugungskraft rüberbrachten.
Wenn mir vor 10 Jahren, als ein gewisser Joe Lynn Turner mit einer
demotivierten, am kreativen Tiefpunkt angelangten Rudiment-Band
eine ernüchternde Tour absolvierte, also wenn mir da einer
prophezeit hätte: "Thomas, Du wirst diese Band auferstehen
sehen und in nie zuvor gehörter, Sinne- und Ohren weitender
Klasse, "Smoke On The Water" spielen hören"-
Ich hätte ihm wohl kaum Glauben schenken können. Nun aber
erfüllte sich diese fiktive Prophezeiung und es war einfach
nur noch GENIAL!!!! Punkt. Aus.
Klar, dass nun erst mal Schluss war. Es war ja mittlerweile auch
schon 2 1/2 Stunden effektive Spielzeit vergangen. Aber die hungrigen
Freaks wollten mehr, viel mehr! Und Purple ließen sich nicht
all zu lange bitten und zimmerten noch einen, die Grundfeste der
Halle zum Beben bringenden "Highway Star"-Ritt auf die
Bretter, nach dessen Ankunft dann allerdings endgültig Schicht
war.
Für das Münchener Konzert bleibt nicht viel zu ergänzen.
Am 31. Oktober waren "the boys are back in town" und sie
hatten wieder die riesige Münchner Olympiahalle gebucht. Ich
gestehe, dass ich schon recht skeptisch war, was den Run des Publikums
auf dieses Konzert anbelangte. München ist ein ganz schwieriges
Pflaster, zu groß ist das Angebot und bei einem Ticketpreis
von 110.-DM überlegt es sich so manch einer schon zweimal,
zu welchem Konzert er geht. Auf der "Abandon"-Tour schafften
es Purple nicht, die Halle komplett zu füllen und auch dieses
mal war sie nicht ausverkauft. Aber verkaufe mal 12.000 Karten zu
110.- DM in München. Das schaffen nur noch ganz wenige Hardrock-Bands.
Meines Erachtens wäre die Münchener Philharmonie die geeignetere
Konzertstätte gewesen. Aber sei's drum, Purple waren da und
die Halle war zu gut 80% gefüllt. Natürlich war auch hier
die Arena komplett bestuhlt und machte echt was her. Vor dem Konzert
kam ich mit ein paar Leuten ins Gespräch, die Eltern mit ihrer
ca. 18jährigen Tochter, welche gerade stolze Besitzerin eines
sündteuren Purple-T-Shirts geworden war. DEEP PURPLE-Generationen
übergreifend, Generationen verbindend.
Die Setlist des Abends war weitestgehend identisch mit Zwickau.
Die Unterschiede waren im Detail zu finden, kein Solo der Protagonisten
war gleich der Zwickauer Version. Steve Morse improvisierte immer
wieder munter drauf los und so war auch sein Gitarren-Solostück
meinem Gehör nach ein anderes als in Zwickau. Es war ein absolut
mitreisendes, sehr schnell gespieltes furioses Duell zwischen Gitarre
und Orchester in einer aberwitzigen Geschwindigkeit Namens "Guitar
String". Ich würde mal sagen "Speed Metal meets Symphonic".
Wider Erwarten hatten es die Soundhexer doch tatsächlich geschafft,
in der akustisch eher unglücklichen Olympiahalle, einen recht
akzeptablen Sound hinzumixen und so war dank eines differenzierten
Klangbildes auch hier für detailliertes Zuhören gesorgt.
Besonders Rogers Basspiel kam wunderbar zur Geltung und es war famos
anzuhören, was dieser stille Meister seines Instrumentes diesem
immer wieder an irrwitzigen Läufen entlockte. Wunderbar auch
immer wieder die symbiotischen Duelle von Ian´s Stimme und
Jon´s Orgel bzw. Steve´s Gitarre. Nur ein Gillan in
Hochform ist dazu in der Lage. Und er war in Hochform, wie er auch
immer wieder mit seinen hohen, legendären screams und den unverzichtbaren
"I thank you"-Schreieskapaden unter Beweis stellte. Und
Paicey, ja was soll man zu ihm noch sagen. Ich kann mich da nur
Jon Lord anschließen, welcher Ian in München bei "Wring
That Neck" als den "Best drummer in the world" ankündigte.
Dass dessen Trommelkunst mittlerweile auch die allerhöchste
Wertschätzung in der Elite-Liga der Rockmusik genießt,
lässt sich nicht zuletzt durch das Engagement bei der aktuellen
McCartney-Platte belegen. Was könnte ein Drummer noch erreichen?
Absolute Referenzklasse. Hoffentlich setzt Ian bald sein Vorhaben
einer Soloplatte in die Tat um und zeigt allen Appice´s, Powell´s
(R.I.P.) und Ward´s dieser Welt einmal, dass auch sie ihren
Meister finden. Weil ich gerade über Trommler rede. Dem Schlagwerker
der Rumänischen Philharmoniker empfehle ich schnellstmöglich
einer Rockband beizutreten, denn wie sieht das denn aus, ein headbangender,
Air-Gitarre spielender Sinfoniker im Smoking inmitten eines Sinfonieorchesters.
Ansonsten, Dank dem großartigen Orchester für beseeltes
und blutvolles Spielen einer sicherlich nicht gerade alltäglichen
musikalischen Materie. Aber ich hatte schon den Eindruck, dass die
meisten der Musiker auch mit dem Herzen dabei waren. Und Entschuldigung
für all jene bayrischen Dilletanten und Schrumpfköpfe,
welche in München an den unmöglichsten Stellen des "Concertos"
in unmotiviertes Pfeifen, Johlen, Klatschen und Rufen ausbrachen
und dadurch nachhaltig störten. Fehlte nur noch der Ruf eines
ewig Gestrigen nach Ritchie. Dennoch war auch in der Olympiahalle
die Stimmung allerbestens und zur Krönung dieses letzten Deutschland-Auftrittes
gab es sogar noch "Black Night" als zweite Zugabe.
In selbige entschwanden wir hernach voller Zufriedenheit und hoffen
nun auf das hoffentlich in Bälde erscheinende neue DP-Album.
Ist diese Tour noch zu toppen? Ja! - Lasst mich tagträumen:
Im Jahre 2003 zum 35jährigen Jubiläum der Band findet
eine Abschiedstour statt (als Realist muss man erkennen, dass auch
die Tage dieser Band gezählt sind und es nicht mehr ewig weiter
gehen kann.) Während dieses Konzertes werden alle noch lebenden
Member der Band auf der Bühne stehen und in Eintracht einer
epochalen Karriere der Rockgeschichte huldigen. Steve, Joe und Ritchie
werden ein nie zuvor gehörtes Gitarreninferno entfachen, zu
welchem Glenn, David, Ian, Rod und von mir aus auch Joe Lynn Turner
die Rhythmen in Texte kleiden. Die gewaltigste Bass-Army des Universums
wird durch Nick, Glenn und Roger die Fundamente erbeben lassen und
im Verbund mit Jon´s Orgelsound und Paicey´s Powerdrumming
ein Tondokument für die Ewigkeit mit Endgültigkeitsstatus
erschaffen. "Our brother in heaven" Tommy Bolin wird mit
Wohlwollen nach unten blicken, in seliger Zufriedenheit einen Joint
genießen und hoffen, dass er noch recht lange auf seine Kumpels
da unten warten muss.
Ob es jemals dazu kommt? Wer weiß? Hat jemals jemand an eine
"Concerto"-Tour mit Gillan und Dio geglaubt?
Die Zeit wird es zeigen!
PS.: "April" hätte verdammt noch mal perfekt in
die Setlist gepasst.
PPS.: Man vergebe mir, wenn ich zu oft mit Worten wie "legendär"
und anderen Superlativen agierte, aber es ist nicht leicht, für
überbordende Begeisterung immer neue Vokabeln zu finden.
E-Mail
Thomas Wehlt
pics: Hagen Wolf
|