von Andreas Heuer
Made in Rostock
Es war warm in Rostock, noch wärmer in der Stadthalle, am heissesten
sicherlich dort ab 21 Uhr und so ab etwa 22 Uhr stand die Temperatur
kurz vor dem Siedepunkt. Deep Purple und die Fans in der ausverkauften
Stadthalle bewiesen, dass auch im kühlen Norddeutschland
die Stimmung kochen kann.
Bereits eine Stunde vor dem Konzert ging überhaupt nichts
mehr auf dem Parkplatz der
Stadthalle, spätestens zu diesem Zeitpunkt war jedem klar,
dass das Konzert nicht in ein
Sommerloch fiel. Ich sah viele Leute, die eigentlich Mitte August
in Urlaub sein wollten,
irgendwo weit weg - aber sich dann doch wohl anders entschlossen
hatten.
Um 19:58 Uhr startete als Vorband eine sehr junge, deutsche Rockgruppe
(aprilDaze), mit gitarremlastigen Rock (3 Gitarren, Bass, Schlagzeug).
Die Stadthalle war im Innenraum (unbestuhlt) mit Menschen gefüllt,
auch die Tribünen besetzt. Als der Sänger der Vorgruppe
vor dem letzten Lied für seine CD warb und sagte, dass sie
gleich die CD in der Nähe des Mischpults (hinten im Innenraum)
verkaufen wollten, fiel ihm und seinem
Gitarristen wohl auf, dass das keine so gute Idee war ("besser
doch am Eingang"): Zum
Mischpult wäre kaum noch jemand durchgekommen. Um 20:35 Uhr
begann die Umbaupause, um 21:00 Uhr schließlich ging das Licht
aus, draußen ging langsam die Sonne unter ...
... in der Stadthalle dagegen flogen wir mit "Woman From Tokyo2 "into
the rising sun".
Während es draußen langsam abkühlte, ging in der
Stadthalle die Post ab. In den
nächsten 110 Minuten sollten die Fans folgende Songs genießen
können:
Woman From Tokyo
Ted The Mechanic
Mary Long
Lazy
No One Came
Fools
The Well Dressed Guitar
Perfect Strangers
When A Blind Man Cries
Guitar Intro Parade
Smoke On The Water
Speed King
mit den Zugaben
Black Night
Hush
Highway Star
Schon zu Beginn wurde klar, dass zwar Jon Lord wegen seiner Knieoperation
nicht dabei war, von Don Airey aber sehr gut vertreten wurde. Don
spielte manchmal wie Jon, brachte aber auch eigene Ideen mit ein,
so dass das Warten auf seine Soli ein Spannungsmoment des Abends
wurde.
Bruce
Payne, der Trainer, hatte seine Mannschaft wie üblich offensiv
aufgestellt. Hinten links Ian Paice an den Drums, hinten rechts
Don Airey an den Keyboards. Vorn war die Startaufstellung mit Roger
Glover am Bass links, Steve Morse an der Gitarre rechts und Ian
Gillan als Mittelstürmer die übliche, allerdings wurden
durch verwirrende Positionswechsel während des Konzerts alle
statischen Vorgaben aufgehoben. Ian Gillan war körperlich in
bester Form, schien rank und schlank. In zunächst buntem T-Shirt,
Dreiviertel-Hosen und barfuß wirkte er wie ein Urlauber, der
gerade vom Ostseestrand kam, - hatte aber natürlich kräftig
zu tun. Und stimmlich war er blendend in Form. Verglichen mit den
Reunion-Konzerten Mitte der 80er, und dann auch im Vergleich zu
den Konzerten 1996, 1998 und 2000 scheint seine Stimme sich immer
besser zu entwickeln. Es scheint Zeit zu sein für "Child
In Time"...
Zur Set-List: Der neueste Song wurde im Jahr 2002 (abschliessend)
komponiert ("The Well Dressed Guitar", jedenfalls wenn
man Ian Gillan glauben darf, dass Steve Morse immer noch im Bus
und eben gerade in der Umkleidekabine noch daran geschrieben hat),
dann gab es mit "Ted The Mechanic" noch einen aus den
90ern und mit "Perfect Strangers" einen aus den 80ern.
Trotz der Oldie-Parade der Songs aus der Mark-I und Mark-II-Phase
entwickelte sich ein abwechslungsreiches Programm: Wer hatte in
Deutschland denn "Fools" schon einmal live gehört?
Nur diejenigen, die die Concerto-Tour in 2000 besucht hatten. Und
wer hatte "Mary Long" schon einmal live gehört?
Zum Ablauf: Nach "Woman From Tokyo" und "Ted The
Mechanic" kam die erste Überraschung: "Mary Long".
Der Song wirkte extrem kraftvoll. Da ich in letzter Zeit "Who
Do We Think We Are" einige Mal als "Vorbereitung"
auf das Konzert gehört hatte, war ich überrascht, wie
gut der Song live wirkte - und hier war gerade im langsameren Schlussteil
schon klar, wie gut Ian Gillans Stimme war.
Vor "Lazy" dann die Ansage von Ian Gillan, die auf die
Knieoperation von Jon Lord hinwies
und Don Airey an den Keyboards vorstellte. Obwohl einige der Zuschauer
hier wohl negativ überrascht wurden, gab es bereits einen stürmischen
Beifall für den Neuen, auf den dann auch gleich die erste Herausforderung
wartete - das Intro von "Lazy". Don Airey meisterte es
gut, mit eigenen Ideen, nicht ganz so lang und virtuos vielleicht
wie Jon Lord - aber den gibt es ja auch nur einmal. Nach "Lazy"
kam dann die nächste
Überraschung, "No One Came", mit Soli von Steve und
Don. Don hatte mittendrin ein
technisches Problem, das Solo stoppte, Deep Purple spielte mit Bass-Drum
weiter, dann
stieg Steve wieder ins Solo ein und überspielte die technischen
Probleme.
Bei "Fools" war das Keyboard wieder in Ordnung, es spielte
auch eine der Hauptrollen in
diesem Song. Schon bei der Ansage hörte man aus dem Publikum,
dass sich sehr viele auf dieses Lied freuten. Und tatsächlich:
Es war der erste Höhepunkt des Abends, wobei sich das Konzert
ab "Fools" dann wirklich von Höhepunkt zu Höhepunkt
steigerte. Falls Ian Gillan wieder verantwortlich für die Setlist
war, hier schon einmal ein dickes
Kompliment für Auswahl und Reihenfolge der Titel.
In "Fools" kam nur einmal die Blackmore-Sehnsucht auf,
als im langsamen Mittelteil die
"Streicherpassagen" nicht von der E-Gitarre, sondern von
Don Airey kamen. Aber Morse ist nicht Blackmore - und Blackmore
nicht Morse. Steve Morse hatte andere Stärken, die er schon
im nächsten Lied voll ausspielte.
Es
kam nämlich "The Well Dressed Guitar". Ein Lied,
an dem nach Ian Gillan immer noch komponiert wird von Steve, und
er wird wohl auch in den nächsten Konzerten damit nicht fertig
werden. Wer diesen Song von der Concerto-Tour kennt: Das große
Symphonie-Orchester fehlt zwar, aber es wird durch das Keyboard
ersetzt. Welche Version einem besser gefällt, ist eher Geschmackssache.
Da ich mir nach dem Konzert noch die Ahoy-Live-CD von der Concerto-Tour
gekauft hatte, hatte ich den direkten Vergleich, in dem mir die
Orchester-Variante noch besser gefiel. Aber trotzdem: Die Morse-Zeichen
waren hiermit heftig gesetzt und beim Publikum angekommen.
Und der nächste Höhepunkt: "Perfect Strangers".
Ein Song aus der 80er Reunion-Phase, der aus den Setlists nicht
mehr wegzudenken ist. Die LightShow (die einzige, die Deep Purple
in Konzerten einstreut) war wieder gelungen. Toll aber insbesondere
das lange Keyboard-Intro von Don Airey, das Ian Gillan sich hinter
den Boxen stehend andächtig und zufrieden anhörte - "Don,
klasse gemacht" muss er gedacht haben.
Mit "When A Blind Man Cries" folgte ein Blues, der wieder
Ians stimmliche Qualitäten
zeigte. Ein langes Steve-Morese-Intro, ein langes Airey-Solo, ...
Und ein Dank von Ian
Gillan an Don Airey, der ihn in der Strophe nach dem Solo sogar
in den Liedtext einbaute!
An der "Guitar Intro Parade" konnte man erahnen, dass
"Smoke On The Water" wartete. Auch diese Riffs aber wurden
nicht in den mir bekannten Fassungen der Jahre 1998 und 1999 gespielt,
sondern erstens andere und zweitens in ausführlicherer Fassung.
So wurden "House Of The Rising Sun" und "Honky Tonk
Woman" sogar angesungen von Ian Gillan, die "Intro Parade"
wurde zum Klassiker-Medley, bis...
...
"Smoke on The Water kam". Dab-dab-daaa dab-dab-daa-daaa
reichten, um den Siedepunkt in der Stadthalle zu überschreiten.
Aber es kam noch besser: "Speed King" folgte und ich schaute
auf die Uhr: 70 Minuten Spielzeit hatten wir erreicht, am Ende von
"Speed King" waren es 85 Minuten. "Speed King"
wurde wie auf "Total Abandon" angereichert um - ein Duell
Gitarre/Keyboard (auch Don kann sich duellieren, wenn er auch eher
komplizierten Angriffen von Steve geschickt auswich, während
Jon selbst angriff, aber auch Cassius Clay hat ja früher Angriffe
im Duell geschickt ausgependelt :-) )
- ein Bass-Solo von Roger (länger als das, was ich aus 1998
kannte), mit geschickter Überleitung zu
- Paiceys Drum-Solo, als Höhepunkt sicher das einhändige
Spiel zwischendurch (andere sind mit zwei Händen nur halb so
schnell)
- einen Dialog zwischen Ian und Steve: richtig gehört, das
Duell Stimme gegen Gitarre wurde abgelöst durch einen Dialog
über Getränke (Wein, Bier, Whiskey, Wasser, Power Drinks
:-) ), wobei Ian die Frage stellte und Steve mit der Gitarre antwortete
- eine grandiose Alternative zum bis 1999 üblichen Duell.
Nach "Speed King" war dann das "normale" Konzert
zu Ende, es warteten aber noch drei
Zugaben. Zu Beginn dirigierte Ian Gillan das Publikum, das sofort
wusste, was es zu
"singen" hatte - die "Black Night"-Hymne wartete.
"Black Night", mit dem Publikum als
Dialogpartnern auch bei Steves Solo, wurde in üblicher "Total
Abandon"-Qualität
präsentiert.
Danach die Ansage von Ian Gillan, nun "back to the roots",
der Titel, mit dem alles
begann. "Hush" folgte. Als vorletzte Zugabe perfekt platziert,
weil auch das Nananana vom Publikum mitgesungen werden kann und
die Stimmung so oben blieb. Und schließlich folgte als Krönung
"Highway Star". Steve Morse kam nicht ganz so zum Zuge
als Motorradfahrer wie etwa bei "Total Abandon", dafür
hatte Don Airey einen kleinen Teil am Intro von "Highway Star"
bekommen.
Nach dem Ritt auf dem Motorbike war es leider zu Ende - nach 110
Minten doch eigentlich zu früh. Wenn man an der Setlist Kritik
üben will, dann vielleicht die, dass die zweite bis vierte
Zugabe fehlten mit Klassikern wie "Strange Kind of Woman"
und "Space Truckin", mit Hymnen wie "Child in Time"
oder mit neueren Titeln wie "69".
Naja, im Jahr 2003 wird es hoffentlich wieder ein Deep Purple-Konzert
in Rostock geben -
vielleicht mal zur Abwechslung im nagelneuen Ostseestadion Open
Air vor 40.000 Zuschauern, mit Rainbow und Whitesnake als Support
Acts, Blackmore spielt dann mit Morse zusammen "Highway Star",
Coverdale singt "Burn", ach ja, ...., nun ja, bei diesen
Temperaturen darf man schon mal spinnen....
E-Mail
Andreas Heuer
pics: Kerstin und Bernd Lautenschläger
|