von Wilfried Lilie
Es kommt ja nicht von ungefähr, dass viele von uns sich für
Gitarristen wie Ritchie Blackmore oder Steve Morse interessieren.
Bei mir war es ein Schlüsselerlebnis, das schon viele Jahre
zurückliegt. In meiner Jugend (das war Ende der 60er-Jahre)
habe ich mich natürlich auch für Musik interessiert. Es
gab viel Popmusik im Radio: Hollies-Bee Gees-Beatles usw. Plötzlich
knallte "Purple Haze" von Jimi Hendrix aus dem Lautsprecher,
ein Sound, wie keiner ihn bisher erlebt hatte. Unglaublich. Ein
neuer Gitarrenheld war geboren. So kam es dann ganz zwangsläufig,
dass ich das Glück hatte, Hendrix am 11. Januar 1969 live in
der Hamburger Musikhalle zu sehen und zu hören. Ein unglaubliches,
ein bis heute prägendes Erlebnis. Gitarristen waren von nun
an die wichtigsten Musiker für mich: Ich musste sie alle sehen.
So kam es dann, dass neben Peter Green (mit Fleetwood Mac), Rory
Gallagher (mit Taste) und Paul Kossoff (mit Free) auch Richie Blackmore
beim Pop-und Blues- Festival in Essen im Herbst `69 vier weitere
Gitarristen der Ersten Klasse auf meine Liste kamen. Im Laufe des
nächsten Jahrzehnts hatte ich dann Gelegenheit, weitere Spitzengitarristen
zu hören und zu beobachten. Unter ihnen waren: Alvin Lee, Joe
Walsh, Leslie West, John McLaughlin, Carlos Santana, Freddie King,
Muddy Waters, Jimmy Page, Eric Clapton, Jeff Beck, Robert Fripp,
Lowell George, Ronnie Montrose, Robin Trower, Dickey Betts, Ry Cooder,
Ted Nugent, Nils Lofgren, Eddie Van HaIen, Johnny Winter, John Cipollina,
Steve Miller und viele andere. Ich war stolz, so viele gute Gitarristen
schon gesehen zu haben. Schon damals gab es eine Band namens Dixie
Dregs (mit Steve Morse). Ich hatte zwar ihre erste LP gehört,
sie ging bei mir zugegebenermaßen unter und den Namen des
Gitarristen hatte ich mir auch nicht gemerkt. Die Band wurde damals
im Rahmen der Southern-Rock-Campagne vermarktet, bekam aber neben
den unheimlich starken Lynyrd Skynyrd kein Bein auf die Erde.
Szenenwechsel. Ich heiratete im Juni 1983 und ein paar Tage nach
einem geilen David Bowie-Open-Air-Konzert in Bad Segeberg flogen
meine Frau und ich nach Kalifornien auf Hochzeitsreise. Wir blieben
zu Beginn ein paar Tage bei Freunden in San José. Im
San Francisco Chronicle suchte ich dann die Konzertanzeigen durch.
Und siehe da: Auch bei uns im Silicon Valley/San José gab
es einen Club, der Interessantes zu bieten hatte. Er hieß
"Saddle Rack" und am Montag, dem 27. Juni `83 sollte dort
ein Gitarrist spielen, den ich schon lange toll fand: Les Dudek
(Wer kennt den noch?). Er hatte gerade ein paar tolle LPs herausgebracht.
Daneben wurde dann noch eine Steve Morse Band angekündigt,
die ich nicht kannte. Die erste LP wurde ja auch erst 1984 veröffentlicht.
Kleingedruckt stand dann da noch drunter: From the Dregs. Aha, der
Groschen fiel. Interessantes Vorprogramm, dachte ich. Also auf ging
es in das erste Konzert auf amerikanischen Boden. Der Eintrittspreis
von 7 Dollar war auch ok. Das "Saddle Rack" war ein toller
Laden, ganz im Westernstil. Ziemlich groß und überall
Tischsitzgruppen, wie es in den USA üblich ist. Die Stimmung
war großartig, der Laden gut gefüllt. Auf ging es: Als
Vorgruppe spielte die Mark Ford Band einen Set von 35 Minuten, solider
Rock und Bluesrock. Dann kam schon Les Dudek mit seiner Band auf
die Bühne. Ich war ein bisschen verunsichert, Dudek vor Steve
Morse? Naja, jedenfalls genoss ich das Konzert und die Menge war
ebenso begeistert. Les Dudek ist ein toller Gitarrist, der sich
mit seiner Musik im Bereich zwischen Southern Rock und Blues Rock
bewegt. In der nachfolgenden Pause wurden wir ein wenig müde.
Meine Frau döste vor sich hin; ich hörte aus Langeweile
den Gesprächen am Nachbartisch zu. Der eine Typ erzählte
seinem Freund vom "greatest guitarist ever seen" und er
meinte damit Steve Morse. Ich dachte noch: Der spinnt, wie kann
der jemanden als größten Gitarristen auf der Welt bezeichnen,
den ich noch nicht einmal kenne.
Aber dann: Steve Morse betrat mit Jerry Peek am Bass und Rod Morgenstein
am Schlagzeug die Bühne. Los ging`s. Die Band spielte ein Instrumentalstück.
Die Tracks erkannte ich natürlich nicht, so kann ich auch nicht
einmal annähernd eine Setlist präsentieren. Jedenfalls
blieb mir von Anfang an die Spucke weg. Ein wirklich großartiger
Gitarrist, ein geiler Sound und eine souveräne Bühnenpräsenz.
Im Laufe des Konzerts stellte sich heraus, dass die Band nur Instrumentals
spielt. Naja, soll mir recht sein, wir sind ja wegen des Gitarristen
hier. Und der zeigte in 1 1/2 Stunden, was er drauf hatte. So gesellten
sich zu seinen jazzrockigen Tracks gefühlvolle Akustiknummern
von klas-sischen Komponisten. Steve spielte mit einer Leichtigkeit
und Präzision, wie ich es noch nie erlebt hatte, selbst meine
Frau wurde wieder wach. Sie war es dann auch, die feststellte, dass
Steve ausgesprochen gut aussah. War mir gar nicht so aufgefallen.
Aber Steve hat ja heute mehr weibliche Fans als je zuvor. Zudem
ist Steve ein offensichtlich sehr freundlicher und ausgeglichener
Typ. Er kommunizierte zwischen den Stücken ausgiebig mit dem
Publikum und den Schreihälsen in den ersten Reihen. Aber er
behielt immer sein Lächeln im Gesicht, das macht ihn bis heute
zu einem sehr sympathischen Menschen. Aber
wenn er dann seine Fender Telecaster aufheulen ließ, im irrsinnigen
Tempo das Griffbrett rauf- und runterlief, harte Riffs einstreute
und in den Soli einen unglaublichen Ideenreichtum entwickelte, dann
standen mir regelrecht die Haare zu Berge. Kein Jetlag mehr, nur
noch totale Begeisterung. Ein Erlebnis erster Güte. Völlig
aus dem Häuschen gerieten die Fans dann, als Steve auf seiner
Gitarre einen flotten Bluegrass spielte. Insgesamt eine irre Mischung,
90 Minuten instrumentale Gitarrenmusik ohne Langeweile. Meine neue
Nummer 1 war geboren. Der Typ am Nebentisch sollte Recht behalten.
Wer hätte das gedacht. Und ich wusste jetzt auch, warum die
Steve Morse Band Hauptact an diesem Abend war.
In den darauffolgenden Jahren hatte ich das Glück, Steve Morse
in Deutschland noch öfters zu sehen. Im Jahre 1984 spielte
er am 15. Februar mit Jerry und Rod in einem winzigen Club in Hamburg
("Onkel Pö`s Carnegie Hall"). Der Set ähnelte
dem in San José sehr und war ebenso geil. Dort hatten wir
auch Gelegenheit zu einem Gespräch mit Steve und Rod. Wir erzählten
von unseren Erlebnissen in San José und erhielten Autogramme
von allen Musikern. Das Herz lachte. Weitere Konzerte folgten: Am
29.5.84 trat Steve im Kuppelsaal Hannover mit Richard Thompson und
David Lindley als New Acoustic Guitar Trio auf. Ein halbes Jahr
später spielte er wieder mit seiner Band im Hannover, diesmal
im Ballroom Blitz. Und am 6. April 1989 spielte die Steve Morse
Band im Vorprogramm von Kansas und Blue Öyster Cult. Dabei
spielte Steve dann aber auch als Gitarrist bei Kansas.
Nach so einigen wechselhaften Jahren war ich dann hocherfreut, zu
hören, dass Steve Morse neuer Gitarrist bei einer meiner Lieblingsbands
wurde. Bei Deep Purple kann er endlich mal einem größeren
Publikum zeigen, was er kann. Und das tut er nun auch, wie wir alle
wissen.
Quelle: The Aviator No. 4, Oktober 1997
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