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Steve Morse Band - Live 1983
USA (Kalifornien), San José, Saddle Rack, 27. Juni 1983

von Wilfried Lilie

Es kommt ja nicht von ungefähr, dass viele von uns sich für Gitarristen wie Ritchie Blackmore oder Steve Morse interessieren. Bei mir war es ein Schlüsselerlebnis, das schon viele Jahre zurückliegt. In meiner Jugend (das war Ende der 60er-Jahre) habe ich mich natürlich auch für Musik interessiert. Es gab viel Popmusik im Radio: Hollies-Bee Gees-Beatles usw. Plötzlich knallte "Purple Haze" von Jimi Hendrix aus dem Lautsprecher, ein Sound, wie keiner ihn bisher erlebt hatte. Unglaublich. Ein neuer Gitarrenheld war geboren. So kam es dann ganz zwangsläufig, dass ich das Glück hatte, Hendrix am 11. Januar 1969 live in der Hamburger Musikhalle zu sehen und zu hören. Ein unglaubliches, ein bis heute prägendes Erlebnis. Gitarristen waren von nun an die wichtigsten Musiker für mich: Ich musste sie alle sehen. So kam es dann, dass neben Peter Green (mit Fleetwood Mac), Rory Gallagher (mit Taste) und Paul Kossoff (mit Free) auch Richie Blackmore beim Pop-und Blues- Festival in Essen im Herbst `69 vier weitere Gitarristen der Ersten Klasse auf meine Liste kamen. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts hatte ich dann Gelegenheit, weitere Spitzengitarristen zu hören und zu beobachten. Unter ihnen waren: Alvin Lee, Joe Walsh, Leslie West, John McLaughlin, Carlos Santana, Freddie King, Muddy Waters, Jimmy Page, Eric Clapton, Jeff Beck, Robert Fripp, Lowell George, Ronnie Montrose, Robin Trower, Dickey Betts, Ry Cooder, Ted Nugent, Nils Lofgren, Eddie Van HaIen, Johnny Winter, John Cipollina, Steve Miller und viele andere. Ich war stolz, so viele gute Gitarristen schon gesehen zu haben. Schon damals gab es eine Band namens Dixie Dregs (mit Steve Morse). Ich hatte zwar ihre erste LP gehört, sie ging bei mir zugegebenermaßen unter und den Namen des Gitarristen hatte ich mir auch nicht gemerkt. Die Band wurde damals im Rahmen der Southern-Rock-Campagne vermarktet, bekam aber neben den unheimlich starken Lynyrd Skynyrd kein Bein auf die Erde.

Szenenwechsel. Ich heiratete im Juni 1983 und ein paar Tage nach einem geilen David Bowie-Open-Air-Konzert in Bad Segeberg flogen meine Frau und ich nach Kalifornien auf Hochzeitsreise. Wir blieben zu Beginn ein paar Tage bei Freunden in San José. Konzertankündigung im San Francisco ChronicleIm San Francisco Chronicle suchte ich dann die Konzertanzeigen durch. Und siehe da: Auch bei uns im Silicon Valley/San José gab es einen Club, der Interessantes zu bieten hatte. Er hieß "Saddle Rack" und am Montag, dem 27. Juni `83 sollte dort ein Gitarrist spielen, den ich schon lange toll fand: Les Dudek (Wer kennt den noch?). Er hatte gerade ein paar tolle LPs herausgebracht. Daneben wurde dann noch eine Steve Morse Band angekündigt, die ich nicht kannte. Die erste LP wurde ja auch erst 1984 veröffentlicht. Kleingedruckt stand dann da noch drunter: From the Dregs. Aha, der Groschen fiel. Interessantes Vorprogramm, dachte ich. Also auf ging es in das erste Konzert auf amerikanischen Boden. Der Eintrittspreis von 7 Dollar war auch ok. Das "Saddle Rack" war ein toller Laden, ganz im Westernstil. Ziemlich groß und überall Tischsitzgruppen, wie es in den USA üblich ist. Die Stimmung war großartig, der Laden gut gefüllt. Auf ging es: Als Vorgruppe spielte die Mark Ford Band einen Set von 35 Minuten, solider Rock und Bluesrock. Dann kam schon Les Dudek mit seiner Band auf die Bühne. Ich war ein bisschen verunsichert, Dudek vor Steve Morse? Naja, jedenfalls genoss ich das Konzert und die Menge war ebenso begeistert. Les Dudek ist ein toller Gitarrist, der sich mit seiner Musik im Bereich zwischen Southern Rock und Blues Rock bewegt. In der nachfolgenden Pause wurden wir ein wenig müde. Meine Frau döste vor sich hin; ich hörte aus Langeweile den Gesprächen am Nachbartisch zu. Der eine Typ erzählte seinem Freund vom "greatest guitarist ever seen" und er meinte damit Steve Morse. Ich dachte noch: Der spinnt, wie kann der jemanden als größten Gitarristen auf der Welt bezeichnen, den ich noch nicht einmal kenne.
Aber dann: Steve Morse betrat mit Jerry Peek am Bass und Rod Morgenstein am Schlagzeug die Bühne. Los ging`s. Die Band spielte ein Instrumentalstück. Die Tracks erkannte ich natürlich nicht, so kann ich auch nicht einmal annähernd eine Setlist präsentieren. Jedenfalls blieb mir von Anfang an die Spucke weg. Ein wirklich großartiger Gitarrist, ein geiler Sound und eine souveräne Bühnenpräsenz. Im Laufe des Konzerts stellte sich heraus, dass die Band nur Instrumentals spielt. Naja, soll mir recht sein, wir sind ja wegen des Gitarristen hier. Und der zeigte in 1 1/2 Stunden, was er drauf hatte. So gesellten sich zu seinen jazzrockigen Tracks gefühlvolle Akustiknummern von klas-sischen Komponisten. Steve spielte mit einer Leichtigkeit und Präzision, wie ich es noch nie erlebt hatte, selbst meine Frau wurde wieder wach. Sie war es dann auch, die feststellte, dass Steve ausgesprochen gut aussah. War mir gar nicht so aufgefallen. Aber Steve hat ja heute mehr weibliche Fans als je zuvor. Zudem ist Steve ein offensichtlich sehr freundlicher und ausgeglichener Typ. Er kommunizierte zwischen den Stücken ausgiebig mit dem Publikum und den Schreihälsen in den ersten Reihen. Aber er behielt immer sein Lächeln im Gesicht, das macht ihn bis heute zu einem sehr sympathischen Menschen. EintrittskarteAber wenn er dann seine Fender Telecaster aufheulen ließ, im irrsinnigen Tempo das Griffbrett rauf- und runterlief, harte Riffs einstreute und in den Soli einen unglaublichen Ideenreichtum entwickelte, dann standen mir regelrecht die Haare zu Berge. Kein Jetlag mehr, nur noch totale Begeisterung. Ein Erlebnis erster Güte. Völlig aus dem Häuschen gerieten die Fans dann, als Steve auf seiner Gitarre einen flotten Bluegrass spielte. Insgesamt eine irre Mischung, 90 Minuten instrumentale Gitarrenmusik ohne Langeweile. Meine neue Nummer 1 war geboren. Der Typ am Nebentisch sollte Recht behalten. Wer hätte das gedacht. Und ich wusste jetzt auch, warum die Steve Morse Band Hauptact an diesem Abend war.
In den darauffolgenden Jahren hatte ich das Glück, Steve Morse in Deutschland noch öfters zu sehen. Im Jahre 1984 spielte er am 15. Februar mit Jerry und Rod in einem winzigen Club in Hamburg ("Onkel Pö`s Carnegie Hall"). Der Set ähnelte dem in San José sehr und war ebenso geil. Dort hatten wir auch Gelegenheit zu einem Gespräch mit Steve und Rod. Wir erzählten von unseren Erlebnissen in San José und erhielten Autogramme von allen Musikern. Das Herz lachte. Weitere Konzerte folgten: Am 29.5.84 trat Steve im Kuppelsaal Hannover mit Richard Thompson und David Lindley als New Acoustic Guitar Trio auf. Ein halbes Jahr später spielte er wieder mit seiner Band im Hannover, diesmal im Ballroom Blitz. Und am 6. April 1989 spielte die Steve Morse Band im Vorprogramm von Kansas und Blue Öyster Cult. Dabei spielte Steve dann aber auch als Gitarrist bei Kansas.
Nach so einigen wechselhaften Jahren war ich dann hocherfreut, zu hören, dass Steve Morse neuer Gitarrist bei einer meiner Lieblingsbands wurde. Bei Deep Purple kann er endlich mal einem größeren Publikum zeigen, was er kann. Und das tut er nun auch, wie wir alle wissen.

Quelle: The Aviator No. 4, Oktober 1997