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von Monika Schwarz
Als Flying Colors ihr erstes (selbstbetiteltes)
Album veröffentlichten, stellten sich viele
Fans die Frage, ob es sich hier um eine 'echte'
Band, oder 'nur' um ein Neben-Projekt von bekannten
Musikern neben deren jeweiligen Hauptbands (Deep
Purple, Transatlantic, Winery Dogs etc.)
handelte. Die Qualität von 'Flying Colors'
sollte für Viele eine Beruhigung sein, und auch
die nachfolgende Tour zeigte eine gut eingespielte,
auf höchstem Niveau professionell agierende
Band, die mit Spielfreude und viel Enthusiasmus zu
Werke ging. Dementsprechend groß war dann auch
die Erwartung, als mit 'Second Nature' ein
Nachfolger zu 'Flying Colors' angekündigt
wurde.
Einige Bemerkungen zu den Musikern: Nein, keine
Sorge, ich gehe davon aus dass sie alle
hinlänglich bekannt sind, und keiner eigenen
Vorstellung mehr bedürfen. Aber ich möchte
herausheben, was mir besonders auffällt:
Steve Morse spielt in gewohnt virtuoser Art und
Weise. Was jedoch einen (für mich
schwerwiegenden) Unterschied zu seinem 'Hauptjob' in
Deep Purple ausmacht, ist, dass er wesentlich
weniger Verzerrungseffekte verwendet, was seinen
Sound klarer, und teilweise fast
flötenähnlich werden lässt. Mitunter
fühle ich mich tatsächlich an Brian May
erinnert, und das ist absolut positiv gemeint.
Mike Portnoy liefert einen breiten
Schlagzeugteppich, der immer interessant ist, aber
niemals dominant wird. Dazu steuert er
Hintergrundgesang bei, und ich für meinen Teil
schätze seine etwas rauhe, kehlige Stimme
überaus, da sie einen willkommenen Gegensatz zu
denen von Casey McPherson und Neal Morse bietet.
Neal Morse ist für die Keyboards
zuständig, bietet einige erstaunliche Soli und
bestimmt mit seinem Spiel oftmals die Stimmung der
jeweiligen Songs. Außerdem teilt er sich mit
Casey die Gesangparts.
Casey McPherson ist die eigentliche 'Stimme' von
Flying Colors. Er liefert all die Qualitäten,
die schon vom ersten Album her bekannt sind, also
Dramatik im Ausdruck, Falsettgesang, und nicht zu
vergessen enorm starke Texte. Was mir aber
auffällt ist, dass er diesmal weitgehend auf
starkes Vibrato verzichtet. Ob das Absicht oder
Zufall ist, ist mir nicht bekannt, aber ich
würde lügen, wenn ich sagen würde, dass
ich es vermisse.
Dave LaRues Basslinien scheinen auf den ersten Blick
eher unauffällig, aber bei näherem
Hinhören ist überdeutlich, was für
ein solides und mitunter überraschendes
Fundament er den jeweiligen Songs bietet. Sein
Zusammenspiel mit Mike ist absolut makellos.
Die Songs der Reihe nach:
Open Up Your Eyes
Der Opener beginnt schlicht, mit einem Pianosolo, in
das bald Schlagzeug und Gitarre einsetzen. Piano
wechselt zu Keyboards, und das Tempo nimmt etwas
Fahrt auf. Danach ein abrupter Wechsel in Rhythmus
und Instrumentierung. Aber immer noch kein Gesang,
und erst als man schon annehmen könnte, dass es
sich um ein Instrumentalstück handelt,
fällt auch Casey McPherson ein. Dieser Titel
ist mit 12:24 der Längste des ganzen Albums,
ist beinahe eine kleine Symphonie für sich, und
er demonstriert damit auch gleich die Richtung, in
die es weiterhin geht. Eben Prog in Reinkultur.
Mask Machine
Die erste Singleauskoppelung, und dies überaus
zu Recht. Der Refrain ist extrem eingängig, und
nach ein-oder zweimaligem Hören von absolut
unwiderstehlicher Ohrwurmqualität. Allerdings
ist es auch der 'düsterste' Titel, aggressiv,
mit treibenden Drums und Saiten (sowohl die Hoch-
als auch die Tieftönenden).
Bombs Away
Dieser Titel besticht mit seinem schleppenden
Rhythmus, der unwiderstehlich zum Mitwippen
verleitet, sowie mit einem Gitarrensolo, bei dem
Steve Morse seine Qualitäten voll und ganz
ausspielt.
The Fury Of My Love
Das erste 'Liebeslied', und die erste
annähernde Ballade. Sparsame Instrumentierung,
die Caseys Gesang um so dramatischer wirken
lässt.
A Place in Your World
Mäandernde Keyboards, wunderbarer
Harmoniegesang, hinreissende Tonartwechsel, ein
absoluter 'Feel-Good' Song. Eine Textzeile lautet 'I
surrender', und das ist es, was man hier einfach nur
tun kann. Sich der Musik, den vielfältigen
Harmonien ergeben, darin eintauchen und 'abheben'.
Lost Without You
Der kürzeste, und meines Erachtens nach
'unauffälligste' Titel des Albums. Damit soll
nicht gesagt werden dass es der 'schlechteste' ist
(davon gibt es überhaupt keinen auf dem
Album!), sondern in einer Menge von
außerordentlichen musikalischen Einfällen
vielleicht das, was man am ehesten als 'gängig'
bezeichnen könnte.
One Love Forever
Das Intro hat wiederum einen faszinierenden
synkopischen Rhythmus, diesmal ähnlich zu Deep
Purple's 'Aviator', der ja ursprünglich
'Highlander' geheißen hat. Also schottische
Anklänge, die einmal mehr in vielstimmigem
Gesang münden, wobei sich hier Casey und Neal
die Haupt-Gesangsparts teilen. Steve glänzt
wieder mit einem kurzen, aber äußerst
prägnanten Gitarrensolo. War der Bass bislang
an der Grenze zu unauffällig, so nimmt er hier
einen einigermaßen dominanten Platz im
Gesamtklang ein.
Peaceful Harbor
Diesen Titel könnte man ohne Weiteres 'Caseys
Showcase' nennen. Er beginnt über schwebenden
Keyboardklängen mit seinem typischen Falsett,
zu dem sich kurz darauf eine akustische Gitarre
gesellt. Die zweite Strophe übernimmt
allerdings wiederum Neal, abgelöst von einem
Gitarrensolo. Die Dramatik steigert sich immer mehr,
bis schließlich ein ganzer Gospelchor
einsetzt. Absolut wunderbar, und für mich der
Höhepunkt des Albums. Auf eine eventuelle
Liveaufführung darf man absolut gespannt sein.
Cosmic Symphony
Besteht aus drei Teilen - Still Life Of The World,
Searching For The Air und Pound for
Pound. Ähnlich wie in 'Open Up Your Eyes' sind
auch hier die unterschiedlichsten melodischen Themen
in einem Song verpackt, was diese beiden Titel zu
einer Art thematischer Klammer und somit
programmatisch für das Album werden lässt.
Bemerkenswert ist ein rares Bass-Solo von Dave
LaRue, was eigentlich schade ist, weil er ein so
brillanter Techniker ist.
Mit diesem Album bekommt man neun Titel, von denen
kein einziger als 'Füller' herhalten muss. Was
um so bemerkenswerter ist, als dies der Band
(Jawohl, die Jungs haben einmal mehr bewiesen dass
dies eine Band, und nicht nur ein Projekt ist!)
bereits zum zweiten Mal gelungen ist.
Was den Sound angeht: Der Gesamtklang ist
kristallklar, jede Nuance, jeder Ton ist perfekt
hörbar. Trotzdem entsteht kein steriler oder
gar klinischer Eindruck. Im Gegenteil, der
Gesamtklang kann durchaus als 'warm' bezeichnet
werden, ein Kompliment an den Toningenieur, der das
Album abgemischt hat!
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass dieses
Album sämtliche Erwartungen erfüllt, ja
bei Weitem übertrifft. Was beim ersten Album
Prog war, ist hier PROG, soll heißen, all die
Qualitäten, die die Fans beim ersten Album
überzeugten, sind hier vorhanden, und noch
stärker als zuvor. Die Songs sind noch etwas
länger, es gibt noch mehr Varietät bei der
Instrumentation, noch mehr Tonartwechsel, einfach
mehr von allem. Wer 'Flying Colors' mag, wird
'Second Nature' von Anfang bis Ende einfach nur
lieben.
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