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von Florian Pritsch (Keyboarder
von Demon`s
Eye)
Nachdem sich der Hardrock-Dinosaurier Deep Purple nach den
desaströsen England-Konzerten im März 1976 aufgelöst
hatte, standen Keyboarder Jon Lord und Drummer Ian Paice zum
ersten Mal nach langer Zeit "arbeitslos" da, die
Band, die seit 1968 ihr Leben bestimmt hatte, existierte nicht
mehr. Nun verfolgten die ehemaligen Mitmusiker neue eigene
Ziele: Gitarrist Ritchie Blackmore, der Deep Purple ja bereits
1975 verlassen hatte und der durch den Amerikaner Tommy Bolin
nicht adäquat hatte ersetzt werden können, startete
mit Rainbow durch (Album "Rising"), Sänger
David Coverdale bereitete seine Solokarriere vor (aus der
sich schließlich die Band "Whitesnake" entwickelte)
und auch Lord und Paice beschlossen fast unmittelbar, ein
neues Projekt auf die Beine zu stellen: statt einer klassischen
Five-Piece-Rockband sollte allerdings eine Bläser-Section
dazukommen, für die wichtige Position eines Frontmans
(der ferner auch als zweiter Keyboarder fungieren würde)
war Lords Freund Tony Ashton vorgesehen, ein britischer Sänger/Keyboarder
(früher in der Trio-Formation "Ashton Gardner &
Dyke"). Lord und Ashton wollten an die Tradion ihres
gemeinsamen Albums "First Of The Big Bands" anknüpfen,
das im September 1974 in live vorgestellt worden war (Drummer
waren Ian Paice und Carmine Appice gewesen). Mithilfe von
Anzeigen gelangte man zu dem Bassisten Paul Martinez, als
Gitarrist bestand Bernie Marsden die Auditions, der durch
Blackmores Drummer Cozy Powell (in dessen Soloband "Hammer"
Marsden gespielt hatte) von dieser Sache in Kenntnis gesetzt
worden war. Abgesehen von seinem rock´n´roll-beeinflussten
und melodiösen Gitarrenspiel überzeugte Marsden
durch die Möglichkeit, ebenfalls als Sänger eingesetzt
werden zu können.
Nachdem Lord bereits im Juli sein bis heute wohl eindrucksvollstes
Soloalbum, "Sarabande", veröffentlicht hatte,
wird im August das PAL-Line up offiziell vorgestellt, im September/Oktober
1976 finden in den bekannten Musicland-Studios (München)
die Aufnahmen zum ersten "Paice
Ashton Lord"-Album statt, das im März 1977 veröffentlicht
wird.
Statt einer eigentlich geplanten Europa-Tour, die aus finanziellen
Erwägungen scheitert, bleiben schließlich nur fünf
England-Dates. Der erste findet statt im Rahmen einer BBC
TV Show "Sight And Sound In Concert" (10. März),
es folgen Konzerte im Birmingham Odeon (26. März), in
der Newcastle City Hall (28.) sowie im bekannten Londoner
Rainbow Theatre (1. April).
Die nun - dreißig Jahre später - veröffentliche
Live-DVD dieser Formation (die den BBC-Mitschnitt enthält)
ist ein bemerkenswertes Dokument, auch vor allem deswegen,
da es in jener Zeit leider kaum vernünftiges Video-Material
von Deep Purple-Musikern gibt! Im Gegensatz zu z.B. Led Zeppelins
Doppel-DVD (mit über fünf Stunden Live-Material)
sind in Bezug auf DP höchstens "Doin´ Their
Thing" (August 1970, BBC TV-Show mit einigen Ausschnitten,
in Farbe), "Scandinavian Nights" (März 1972
in Kopenhagen, schwarzweiß, mono) oder "Live In
Concert 1973" (Mai 1973 in New York, in Farbe, aber nur
drei Songs) zu nennen, außerdem der sehr gute "California
Jam"-Mitschnitt (April 1974, in Farbe). Die als oftmals
schlechte Kopie gehandelte schwache Vorstellung des Tokyo-Konzertes
(im Dezember 1975 mit Bolin, in Farbe) ist zu vernachlässigen.
Klang- und Bildqualität sind - nach den damaligen Maßstäben
- sehr gut, PAL bieten ein einstündiges Konzert mit zehn
Songs. Im Zentrum eines großen Bühnenaufbaus stehen
die Keyboardburgen von
Jon Lord und Tony Ashton, der sich beim Singen auch fast ein
bisschen an seinen Tasten "festzuhal-
ten" scheint. Auf einer zweiten erhöhten Ebene befinden
sich Bernie Marsden (rechts, vor dessen Marshall-Amps-Wand)
und Paul Martinez (links), dahinter im Zentrum schließlich
thront Ian Paice hinter seinem Ludwig-Drumset. Brass-Section
sowie zwei Backgroundsängerinnen sind links daneben
postiert.
Wie klingt die Musik von Paice Ashton Lord? Rockig, mit rollenden
Clavinet-Figuren oder Piano-Akkorden (Lord), mit charakteristischer
Gitarrenarbeit und prägnanten Soli (Marsden), swingendem
funky-Drumming (Paice), trockenem Bass (Martinez), darüber
präzisen Brass-Akzenten und einem reizvollen, ein bisschen
an Soul und Gospel erinnernden Kontrast von gravitätischen
Lead-Vocals (Ashton) und helleren Backings.
Obwohl auch Ashton seine kleinen solistischen Freiräume
bekommt, ist Lord mit seiner zupackenden Attitüde und
seinem Feeling der Solist des Abends. Neben den groovigen
Titeln ("Ghost Story", "Silas And Jerome",
"Remember The Good Times" und natürlich "Malice
In Wonderland") sind das bluesig "kriechende"
"Sneaky Private Lee" und der "Steam Roller
Blues" hervorzuheben; hier kann Marsden auch mit souveränen
Vocals überzeugen. Ein Höhepunkt ist die schmerzvolle
Ballade "I´m Gonna Stop Drinkin´".
Obwohl Lord und Paice mit diesem Stil etwas eigenes Charakteristisches
geschaffen hatten, das sie vom übergroßen Schatten
Deep Purple emanzipierte, wissen wir, dass dieses Projekt
bald darauf scheiterte. Warum? Aus zwei Gründen:
Einmal hatten beide sehr viel Geld in dieses Vorhaben gepumpt,
das sich schneller rentieren sollte, als es das schließlich
konnte; die Zeit, sich einen Markt für diese Musik aufzubauen,
gab es nicht. Das Hauptproblem indes bestand in der Tatsache,
dass Ashton mit seiner Rolle als Frontman einer größeren
Band - dazu auf größeren Bühnen, vor viel
Publikum - nicht klarkam. Er, dessen Wortwitz und Humor sich
eher in der intimen Kneipenatmosphäre ausleben konnte
und dort zur Wirkung kam, half hier wenig, zumal wenn mancher
Besucher sich in ihm einen Nachfolger so überragender
Persönlichkeiten wie Ian Gillan oder Coverdale vorstellte!
Noch eine kleine Geschichte am Rande (die hier erzählt
werden kann, da Lord sie selbst auf seiner letzten "Beyond
The Notes"-Solotour launig zum besten gab): die wohl
zur Stärkung seines angeknacksten Selbstbewußtseins
notwendig gewordene übermäßige Einnahme von
Alkohol führte dazu, dass Ashton im London-Konzert von
der Bühne in den Orchestergraben stürzte! Arg lädiert
hinkte er danach wieder ins Scheinwerferlicht, aber dieser
Vorfall war wohl zu symptomatisch ...
Das Ende dieser kurzen Episode: Es wurden noch einige Backing
Tracks zu einem nächsten Album aufgenommen (wiederum
in den Musicland-Studios), aber die Luft war raus, das Ganze
wurde nie zuende geführt. Im Frühjahr 1978 fiel
die Entscheidung, die Band aufzulösen. Marsden ging dann
im Februar 1978 zu Whitesnake, ihm folgten Lord (im August)
und Paice ein Jahr später (Juli 1979).
Einen weiteren Höhepunkt stellt die 50minütige
Dokumentation dar, die dem Konzert angefügt wurde; unter
dem Titel "Lifespan" lief sie damals in manchen
Kinos. Gezeigt werden Szenen hinter den Kulissen - u.a. die
Arbeit der Band im Studio und on Tour. Für Fans von Lord
und Paice ein absolutes Muss, auch wenn die Ton- und Bildqualität
von "Lifespan" eher durchschnittlich ist.
Live-DVD:
Ghost Story / On The Road Again, Again / Silas And Jerome
/ Arabella (Oh Tell Me) / The Ballad Of Mr. Giver / Im
Gonna Stop Drinkin / Steam Roller Blues / Remember The
Good Times / Malice In Wonderland / Sneaky Private Lee
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