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CD 1: Smoke on the Water
CD 2: Child in Time
CD 3: Black Night
Wer meine bisherigen Reviews gelesen hat, wird
womöglich bemerkt haben, dass mir musikalische
Grenzgänge und -überschreitungen in aller
Regel gut gefallen, zeigen sie doch die sehr
variablen Möglichkeiten bestimmter
Künstler. So darf es nicht verwundern, wenn ich
gleich neugierig wurde, als ich diese Dreifach-CD
für wenig Geld erblickte.
Nun ist wahrlich nicht alles Gold, was
glänzt. Dieses Album zeigt auch deutliche
Schwächen, sowohl bezüglich der
Ausstattung als auch bezüglich der
Musikauswahl. Trotzdem lohnt die Anschaffung meines
Erachtens. Was es übrigens an keiner Stelle
dieses Albums gibt, ist die Band Deep Purple.
Einen großen Schwachpunkt des Albums muss man
monieren, wenn man nach Textinformationen sucht (die
hier besonders wichtig wären). Ein Booklet
fehlt völlig. Informationen sind lediglich auf
zwei Hüllenseiten zu entdecken. Dort sucht man
jedoch vergeblich nach den Besetzungen der
unterschiedlichen Bands (die mich zumindest
teilweise brennend interessiert hätten). Und
dann ist eine sehr wichtige Angabe auch noch falsch:
Die auf diesem Album vorhandene Version von
"Child in Time" stammt nicht von der Band
"Gillan", sondern von der "Ian Gillan
Band" (1976). Jenen, die weder die "Ian
Gillan Band" noch "Gillan" kennen,
mag diese Nörgelei kleinkariert vorkommen, aber
diese Differenzierung markiert für den Kenner
einen großen Unterschied in der Interpretation
dieses Schlüsselsongs der DP-Geschichte.
In einigen Reviews habe ich eine Einzelkritik
sämtlicher Songs versucht. Das wäre bei
dreimal zwölf Titeln auch für alle, die
diese Rezension lesen wollen, irgendwann sehr
ermüdend. Also verkürze ich das Verfahren
und kritisiere, wo es geht, en bloc. Selbstredend
spiegelt (wie in allen anderen Reviews
natürlich auch) die hier vertretene Position
meine eigene Meinung wider. Andere (auch
entgegengesetzte) Meinungen sind nicht nur erlaubt,
sondern geradezu erwünscht.
Auf dieser Triple-CD treffen wir überwiegend
aktuelle oder ehemalige DP-Mitglieder an, die in
anderen Projekten Musik sowohl von DP, als auch von
anderen Bands und Künstlern oder auch eigene
Kompositionen darbieten. Eine Ausnahme bildet eine
Band, deren Mitglieder nie bei DP spielten. Damit
möchte ich auch beginnen. 1970 taten sich
einige talentierte Iren (unter ihnen immerhin Phil
Lynott) zusammen, um die Rockwelt zu erobern. Ihre
Band nannten sie in Anspielung an das erste
Fließbandauto der Welt "Thin
Lizzy". Aber der Erfolg blieb zunächst
aus. Also entschloss man sich, schon erfolgreiche
Songs nachzuspielen, um ein wenig vom Kuchen
abzubekommen und wählte für dieses Projekt
Hits von Deep Purple. Man benannte sich in
"Funky Junction" um und orderte noch rasch
einen Sänger aus Irland für dieses
Projekt, weil dieser der irrigen Meinung war, er
könne so singen wie Ian Gillan. Das Ergebnis
ist meines Erachtens ernüchternd. Als Beispiele
gibt es "Fireball", "Strange Kind of
Woman" und "Speed King",
glattgestriegelte Versionen, die instrumental
anständig gespielt werden, denen aber die Ecken
und Kanten, der Kern und Biss fehlen, die die
DP-Versionen so auszeichnen. Über den Gesang
möchte ich mich eines Kommentars enthalten.
Glücklicherweise landeten "Thin
Lizzy" kurze Zeit später mit "Whiskey
in the Jar" den ersehnten Welthit, so dass sie
in der Folgezeit keinen Anlass mehr sahen, sich an
DP-Musik zu vergreifen.
Eine weitere Ausnahme bilden "Vargas, Bogert &
Appice" (und Paul Shortino) mit ihrer Version
von "Black Night". Sie interpretieren
diesen Song in der für "Vanilla
Fudge" (Bogert und Appice gehörten vormals
dieser Band an) typischen eher schwermütigen
und langsamen Art. Es muss eigentlich gar nicht
erwähnt werden, dass diese Gangart etwa so gut
zu diesem Song passt wie der Teufel zum Weihwasser.
Nachdem Rod Evans 1969 aufhörte, DP-Sänger
zu sein, gründete er die Band "Captain
Beyond". Diese Band ist hier mit "Dancing
madly backwards (on a Sea of Air)" und
"Distant Sun" vertreten, beide leider nur
in erbärmlicher
Bootleg-Qualität. Musikalisch kommt solider
Rock mit ordentlichem, wenn auch limitiertem Gesang
herüber.
Mk I-Bassist Nick Simper ist gleich mit zwei Bands
vertreten, mit "Warhorse" und
"Fandango". Die Fandango-Songs "Just
another Day" und "Rocky Road Blues"
mischen Blues- und Rock-Elemente mit deutlichen
Anklängen an die Sixties. Es fehlt ein wenig
die Originalität, die einen wirklich guten
Rock-Song auszeichnen sollte, zudem erscheint mir
der Gesang bei "Rocky Road Blues" etwas zu
gestelzt. Deutlich besser sind die Warhorse-Songs
"Vulture Blood" und "Back in
Time". Besonders letzterer Song besticht durch
eine ausgezeichnete Instrumentierung; das
Gitarrenspiel erinnert recht deutlich an Jimmy
Page. Selbst rhythmische Anklänge an
"Sabre Dance" sind zu entdecken.
Wo wir schon bei Ex-DP-Bassisten sind: Auch Glenn
Hughes trägt sein Scherflein zu diesem Album
bei. Wir wissen: Glenn hatte stets die Ambition,
neben seinem Job als Bassist auch noch ein richtig
guter Sänger zu sein. Das birgt die Gefahr der
Selbstüberhebung. Wenn er sich schon an
"Piece of my Heart" herantraut, dann muss
er sich auch gefallen lassen, mit Janis Joplin
verglichen zu werden. Aber da, wo Janis schreit (und
symbolisch eine ganze Generation mitschreit), da
hören wir von Glenn eher eine stilisierte
(einstudiert wirkende) laute Oberstimme, der die
große Ausstrahlung fehlt. Und die einmalige
Timbre-Schönheit von Janis Joplins Stimme ist
für Glenn eh unerreichbar. Der andere Song,
"Sad Eyes" passt besser zu Glenn. Hier, in
einem feinen Blues-Rock-Song, kommt seine Stimme
deutlich besser zur Geltung, wenn sie auch hier
nicht gänzlich frei von künstlichen
Stilisierungen rüberkommt. Es geht doch!
Apropos Selbstüberhebungen: Auch Joe Lynn
Turner ist ein wenig in diese Falle getappt. Wenn
man den Who-Song "The Seeker" mit der
Röhre von Roger Daltry kennt, möchte man
den Song nur noch eher widerwillig mit Turner
hören, denn mit Verlaub: Joe Lynn hat eher eine
Stimme, die für Pop, aber auch für
dezenten Jazz-Rock taugt, nicht aber für einen
Song wie "The Seeker". Dass der Bassist
nicht ans Original herankommt, gebongt, John
Entwistle ist an diesem Instrument ohnehin
unerreichbar. Gerettet wird diese Version durch das
exquisite Gitarrenspiel von Leslie West. Besser
passt "Jungle Love" zu Turners Stimme, ein
Song mit leichten Jazz-Elementen im Stile der Allman
Brothers. Getragen wird dieser sehr feine Song
jedoch durch Steve Morses großartiges
Gitarrenspiel.
Wo wir schon bei Steve Morse sind, gleich sein
anderer Beitrag. Es handelt sich um den Led
Zep-Klassiker "Heartbreaker". Mancher
Hardcore-Fan von Led Zeppelin wird das als Sakrileg
betrachten. Aber an der Instrumentierung ist gar
nichts auszusetzen und auch Steve spielt Jimmy Pages
Passagen routiniert und gekonnt. Wenn ich trotzdem
das Original vorziehe, so wegen des Gesangs. Ich
habe immer die etwas zu geringe Variabilität
von Robert Plants Stimme kritisiert - und dessen
Versuch, dieses kleine Manko durch ein Zuviel an
Testosteron im Gesang zu kompensieren, aber
nichtsdestotrotz besitzt Plant eine authentische,
unverwechselbare Stimme. Diese Eigenschaft geht dem
Sänger in der Morse-Version leider ab.
Dass man Who-Songs auch sehr angemessen
interpretieren kann, beweist Ian Paices
hervorragende Version des "Who's
Next"-Songs "Bargain". Das muss sich
hinter dem Original nicht verstecken. Hinter
"Frumpy" gibt es einige 'zweitbeste'
deutsche Bands (zu denen ich, das darf ich an dieser
Stelle mal erwähnen, selbstredend auch
"Demon's Eye" zähle). Dazu
gehört auch die Band "Nektar", die
mit dem herrlichen, sowohl vom Jazz als auch vom
Psychedelic beeinflussten Instrumental "For
the Love of Money" vertreten sind
(ausgezeichnetes Saxophon-Spiel). An der
'Schießbude': Ian Paice. Paicey ist zudem noch
mit einer Funk-Version von "Space
Truckin'" vertreten, in der William Shattner
sprechsingt. Mein Fall ist das nicht, aber ich
fühle mich halt auch nicht so sehr mit dem Funk
verbunden.
Manchmal verstehe ich gar nicht, warum die Mick
Underwood-Band "Quatermass" oft so
erbarmungslos kritisiert wird. Auf diesem Album ist
"Quatermass II" mit zwei, wie ich finde,
feinen Songs ("River", "Long
Road") vertreten. An den Keyboards sitzt
(steht) Don Airey. Sein Pianospiel bei
"River" und sein Orgelspiel bei "Long
Road" erinnern an John Tout, der diese
Instrumente in den 70er Jahren bei
"Renaissance" großartig zum Klingen
gebracht hat.
Eine der verrücktesten Bands der 60er Jahre
waren wohl "Screaming Lord Sutch & The
Savages". Sie sind hier mit dem von 1965
stammenden Rock'n'Roll-Song "Train kept a
Rollin'" vertreten. Das feine Gitarrenspiel
stammt vom damals 20jährigen Ritchie Blackmore,
der ansonsten bis dato überwiegend als
Studio-Musiker arbeitete und mal langsam in die
Puschen kommen musste. Immerhin gelangte im selben
Jahr der drei Jahre jüngere Steve Winwood mit
"Keep on Running" ins Scheinwerferlicht
einer erstaunten Rockmusik-Welt - als Sänger,
Gitarrist und Keyboarder. Für
Rockmusik-Historiker ist diese Aufnahme ein
absolutes Muss! Ritchie ist noch mit einem weiteren
Song vertreten, dem David Bowie-Klassiker
"Space Oddity". William Shattner
zelebriert hier erneut den Sprechgesang und im
Hintergrund erahnt man die Stimme von Candice Night
(wobei anzumerken ist, dass ihre Stimme schöner
ist, wenn man sie erahnt, als wenn man sie wirklich
hört). Wenigstens ist die Instrumentierung sehr
fein.
Auch Tommy Bolin hat einst für kurze Zeit die
Gitarre bei DP gespielt. Leider starb er schon im
Alter von 25 Jahren. Ich bin gewiss nicht der
Einzige, der sich gewünscht hätte, dass
Tommy 75 Jahre älter geworden wäre, denn
er gehörte zu den größten
Gitarren-Talenten aller Zeiten. Hier ist er mit den
Jazz-Rockern "Hoka-Hay" und "Red
Skies" vertreten - durchaus vergleichbar mit
den Dixie Dregs - aber auch mit dem akustisch
begleiteten Folksong "Wild Dogs". Man hat
es hier durchweg mit kleinen Juwelen zu tun.
Roger Glover ist bekannt dafür, dass er sich
gern in sehr unterschiedlichen musikalischen
Gefilden aufhält. Erstaunlich daran ist, dass
er, wo auch immer er sich gerade befindet, daraus
mit geradezu schlafwandlerischer Stilsicherheit
eigene Musik kreiert. Diese wunderbare
Fähigkeit muss auf einer Mischung aus
Riesentalent und permanentem Fleiß beruhen
(was Roger, bescheiden, wie er nun mal ist,
natürlich in Abrede stellen würde). Sowohl
der Blues-Song "It's only Life" als auch
die Melange aus Blues, Soul und Rock "My
Turn" (In beiden Songs singt Roger selbst)
gefallen mir sehr. Diese Songs sind zudem ein
beeindruckendes Plädoyer für ein schon
lange von mir gefordertes Musikprojekt mit Roger,
Paicey, Steve Winwood und Randall Bramblett. Aber
auf mich will ja niemand hören!
Ian Gillan ist mit drei Songs vertreten. "Smoke
on the Water" ist meines Erachtens
verzichtbar. Stattdessen hätte ich es gern
gesehen, wenn man die Live-Version von
"Fighting Man" (aus "Live Tokyo
October 1978") in verbesserter technischer
Qualität (falls so etwas möglich ist) auf
das Album gepackt hätte. "No Laughing in
Heaven" ist ein Song in typischer DP-Manier, in
dem Ian die Stärken seiner Stimme (Vibrato und
Variabilität) hervorragend ausspielt. Gewiss
höchst umstritten ist die 1976er Variante des
DP-Schlüsselsongs "Child in
Time". Als ich diesen Song 1970, natürlich
auf "In Rock" zum ersten Mal hörte,
war das wie ein Urknall. Man war geneigt, Hegels
Weltgeist am Werke zu sehen, in dem Sinne, dass alle
vorherige Musik nur die einzige Funktion hatte, auf
genau diese Stück hinauszulaufen. Und auch die
folgenden Live-Versionen hatten sich gefälligst
genau an dieses Muster zu halten. Gerade deshalb
fand ich es anfangs sehr befremdlich, ausgerechnet
diese stark abweichende Version überhaupt zu
akzeptieren. Nichts von der Wucht des Originals,
stattdessen unterkühlte Jazz-Rock-Art, immerhin
mit Ians gesamtem Stimmenspektrum. Also habe ich mal
einen ganz komischen Versuch unternommen. Ich
stellte mir nämlich vor, genau diese Version
sei die erste, die ich jemals von "Child in
Time" gehört hätte. Und siehe da: Sie
stand gar nicht so schlecht da. Zu Ians
großartigem Gesang kommen sehr gekonnte
Instrumentalpassagen, die zum Ende hin deutliche
Parallelen zur Musik von "Focus" aufweisen
(Focus I - XXXIII, Questions & Answers
etc. pp.). Focus war stets eine glänzende Band,
Tijs van Leer und Jan Akkermann (später
Philippe Catérine) brillante Instrumentalisten,
hatte aber nie einen guten Sänger (Tijs'
Tonleiter-Auf und Ab bei "Hocus Pocus",
seine gregorianischen Anwandlungen beim
"Hamburger Concerto" oder seine
klischeehaften Lobgesänge auf das
Straßburger Münster sind wirklich nicht
ernst zu nehmen). Aber Focus und Ian Gillan: Das
wäre richtig lecker gewesen!
Auch Jon Lord trägt drei Songs zum Album bei -
alle vom Feinsten. Die Version von "Lazy"
mit dem glänzenden "Jon Lord
Blues-Project" kann es allemal mit den
DP-Versionen aufnehmen und wenn der Hurrikan
"Cathrina" "Back at the Shicken
Shack" gehört hätte, dann hätte
er respektvoll einen riesigen Bogen um New Orleans
gemacht, da bin ich mir sicher. Zu
allergrößter Form lief Jon stets auf,
wenn es musikalisch um "Rogers
Hosentascheninhalt" (Ian Gillan) ging, also um
"Pictures of Home". Diese Version wird mit
großem Sinfonieorchester dargeboten und
erinnert an die Royal Albert Hall-Version von
1999. Auch die Begleitband spielt schlicht
großartig und in die Sängerin (Kasia
Laska?) kann man(n) sich aus dem Stand heraus einzig
und allein wegen dieser magischen Stimme
verlieben. Kurzum: Für mich der Höhepunkt
des gesamten Albums.
Zum Ende hin wird noch "You keep me hangin'
on" in der Vanilla Fudge-Version
präsentiert, wohl, um zu dokumentieren, dass DP
Mk I sich sehr stark an Vanilla Fudge
orientierten. Zudem gibt es "River Deep,
Mountain High" von Ike & Tina Turner, leider
nicht in der extrem schwungvollen Originalversion,
aber immerhin so, dass man Tinas
außergewöhnliche Stimme gut hören
kann. DP interpretierten diesen Song auf ihrem Album
"The Book of Taliesyn" in absoluter No
Go-Manier, nämlich nach Art von Vanilla Fudge.
Ach ja, am Ende gibt es doch noch "Deep
Purple" - nein, nicht als Band, sondern als
Titel eines typischen Mid-Sixties-Songs, gesungen
von Nino Tempo & April Stevens. Ich hätte es
besser gefunden, wenn der Song von Sonny & Cher oder
von Jane Birkin & Serge Gainsbourg gesungen worden
wäre, denn diese Pärchen hätten ihn
mit viel mehr Erotik dargeboten - und das
hätten Deep Purple allemal verdient.
Fazit: Trotz mehrerer Schwächen lohnt sich
(schon angesichts des günstigen Preises) die
Anschaffung des Albums, insbesondere für
Rockmusik-Historiker und für Leute, die sich
für das (musikalische) Umfeld von Deep Purple
interessieren.
Hans-Jürgen Küsel
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