Abgeschickt von Crazy Horst am 16 Februar, 2010 um 22:33:45
Antwort auf: Re: Mensch Mike von Mike am 15 Februar, 2010 um 19:27:20:
Ich frag auch deshalb so penetrant nach Ian Paice, weil ich es bei Platten wie sie in den 80ern gemacht wurden, sehr schwer finde, auf die Qualität des Drummers zu schließen. Nicht dass mir sein Spiel in den 80ern gefallen würde.
Bei einem Gitarristen kann man noch mehr persönliche Verantwortung zuweisen, wenn sein Gitarrensound schlecht klingt - was ich für Ritchie in den 80ern mal als ein Grundproblem behaupten würde. Aber bei einem Drummer? Ist es der Drumsound, ist es das Songmaterial, die angestrebte Gesamtwirkung oder tatsächlich der Drummer selbst?
Ich denke, die Position des Rockdrummers an sich im Bandgefüge hat sich zwischen 1970 und 1985 nachhaltig verschlechtert. In Zeiten, in denen Songs aus langen Jams entstanden bzw. richtig heftig geprogt wurde, als lange Instrumentalpassagen en vogue waren, die Scheiben im Studio vielleicht auch noch live eingespielt wurden, konnten Drummer der Musik viel mehr ihren Stempel aufdrücken.
In den 80ern bestand ein Hardrocksong oft nur noch aus den Standardzutaten Riff, Refrain und Solo (aber ja nicht zu lang!), zum Vers wurde meist zu einem simplen 4/4 Beat die Instrumentierung radikal zurückgenommen: ein durchlaufender dumdum-Bass, die Gitarre spielt dasselbe oder gar nur einen ausgehaltenen Akkord.
Wenn Du Dir etwa die megalahmen Winger anhörst, dann wird da zwar das volle Rockerimage gefahren, aber die Musi ist halt am Ende nicht rockiger als Nena (und die hatte wenigstens noch Achselhaare!!!). Aber auch die späten Rainbow waren nicht mehr so weit davon entfernt, ich denke da an Songs wie "Stranded". Und was für Akzente willst Du bei so einem reduzierten Schema als Drummer setzen, wo soll hier noch die rhythmische Arbeit mit den anderen Instrumenten sein? Was soll man zu einem Song wie "Knocking At Your Backdoor" schon groß bringen außer drauf zu hauen? Selbst "Under The Gun" mit einem richtig abgehenden Rhythmusgitarrenpattern ist doch recht simpel - das ist irgendwo "Speed King" ohne Jazzanteil. Wenn man sich die Credits anschaut, sieht man, dass genau das stimmt was Du sagst: Es fehlen Songs, in denen Paice sich einbringen konnte.
Dann kommt noch die veränderte Studiotechnik, dass man ganz für sich allein zu Klick und Pilotspur seinen Drumpart einspielte, eine aufgeblasene Soundproduktion mit einem Haufen Hall und möglicherweise Computersamples (mehrere Freunde behaupteten in den 80ern, DP würde auch live mit getriggerten Drums spielen, die Show von Adelaide 1984 hört sich auch ziemlich danach an) - dann ist die innige Verbindung von Bass und Drums dahin und Du hastwenig verwunderlich so ziemlich genau die leblos klingende Musik der Achtziger.
Wenn man Deep Purple als Hardrock hört und mit anderem Achtziger Hardrock vergleicht, ist das alles noch ziemlich gut, aber es ist halt nicht mehr das besondere Etwas wie früher - ob Paicey nun im Formtief war oder unter den gegebenen Umständen gar nicht anders konnte.
Wenn wir schon Kaffesatzleserei betreiben, was 1984 ff falsch lief: Ich denke es ist halt für einen Kreativen ein Unterschied, ob er sich an der Spitze des Zeitgeists befindet - die 70er waren die Zeit der Longtracks und DP haben diese Zeit mitbegründet - oder ob man diesem ein Stück weit hinterherhechelt und sich dafür auch noch "kastrieren" muss, wie Du Dich ausdrückst. Das muss er selbst in dem Moment gar nicht mal als so negativ empfinden, aber auf die eine oder die andere Art wird man von den musikalischen Strömungen um sich herum beeinflusst. Den 5 Herren dürfte 1984 klar gewesen sein, dass aufgrund veränderter Hörgewohnhheiten eine Vorgehensweise wie 1969 nicht mehr in Frage kam (es sei denn auf Clubtourneen mit 200 Gästen), gleichzeitig hatten sie aber Erwartungshaltungen all der Classic Rock Fans zu bedienen und noch mit den BAnds der jüngeren Generation zu wetteifern. Ich denke, der Spagat zwischen Rückwärts und Vorwärts wurde umso schwerer, je affiger und klischehafter die Rockmusik ab Mitte der 80er wurde. Und in diesem Spagat haben sie (und viele andere) sich trefflich verrenkt. 1993 kam dann der Totengräber aus Seattle - da wars dann sowieso vorbei - von da an war die Band einfach nur retro. Der Morse Besetzung kommt hier für mich trotzdem das Verdienst zu, modernere Einflüsse konsequenter und lebendiger mit dem klassischen Purple zu verweben als die Reunion Besetzung.
Das Alkoholproblem würde ich da nicht ganz so hoch hängen: Es ist ja öfter im Begleitmaterial von Schallplatten zu lesen (vgl Procol Harum, King Crimson), dass die Explosion der britischen Rockmusik mit dem Konsum der "richtigen Drogen" begann. Insofern ist Nüchternheit nicht überall der Zustand großen künstlerischen Schaffens gewesen. Purple waren im Unterschied zu vielen anderen wohl immer schon eine Trinkerband (We weren't drunk, we just drank a lot), das aber von Beginn an und nicht erst post 84. Glover sagt auf dem Highwaystar Video über Gillan, dieser habe zu Fireball Zeiten eine Flasche Scotch pro Tag getrunken, Gillan selbst sagt im Booklet der Anniversary Edition über die Aufnahmen zu Fireball " I can't remember anything".
Klar ist aber auch, dass ein 40-Jähriger das auf einer Tournee nicht mehr so wegsteckt wie ein 25-jähriger und dass darunter die Intensität von Konzerten schon mal leiden kann. Wobei meines Wissens sich Blackmore über die mangelnde Professionalität von Gillan beklagte - war er auch angesoffen? Wohl eher angepisst...
Nun denn, bei aller künstlerischen Verwirrung und Underperformance, die Kassen klingelten ja heftig: Perfect Strangers fünfmal Top 5 in Europa, HOBL sogar 3x Platz 1, Nobody's Perfect immerhin noch zweimal Top Ten und UK Platz 38. Das ist nicht ganz, aber fast so gut wie 1971 - 1974. Das dürfte dann wie Du sagst, so manches Finanzloch aus den 70igern eingeebnet haben. Von Big Ian weiß man ja, dass sein MAnager Phil Banfield ihm Anfang der 80er pro Woche 50 Pfund zusteckte, dass er seine Miete und sein Hackfleisch bezahlen konnte.